Endeavor

Very British: Endeavor

Colin Dexters Inspector Morse ist in Großbritannien zu einem Phänomen geworden. Die Originalserie ist aus unerfindlichen Gründen bis heute nicht synchronisiert worden (das Prequel und das Sequel aber schon), und zog – wie das immer so ist – die bereits sehr guten Buchverkäufe weltweit noch einmal kräftig nach oben (außer natürlich in Deutschland), so dass Morse zeitweilig sogar zu einer echten Gefahr für das Heiligtum Sherlock Holmes wurde.

Es gelingt Filme- und Serienmachern selten, aus einer guten Buchreihe auch eine gute Adaption hervorgehen zu lassen. Die beiden Medien sind einfach zu unterschiedlich, und so kommt es, dass viele enthusiastische Leser die Glotze unter der Vogeldecke stehen lassen, was im Übrigen sehr vernünftig ist, und es bei den Büchern belassen. Ab und zu aber – und die Briten sind geradezu Spezialisten dafür, ihre Monolithen perfekt in Szene zu setzen – gelingt das scheinbar Unmögliche, und Text und Bild bewegen sich auf gleicher Höhe.

Als das Morse-Prequel Endeavor (dt. Der junge Inspector Morse) angekündigt wurde, waren viele Kenner voller Zweifel, weil man sich nicht anders als einig darüber sein kann, dass in der Hauptserie John Thaw Morse nicht nur spielte, sondern Morse war. Er war es, der der Figur Leben einhauchte, und zwar so sehr, dass Colin Dexter in seinem Testament verfügte, dass kein anderer Schauspieler Morse im mittleren und hohen Alter spielen darf.

Sieben Staffeln der Kultserie sind abgedreht, aber es wird noch eine weitere geben, bevor zwangsläufig Schluss gemacht werden muss, bevor dann folgerichtig die Hauptserie beginnt. Für viele Leser gibt es, was heutige Serien betrifft, selten ein derartiges Gewese zu machen (und für das Netflix-Lastige Allgemeinpublikum ohnehin nicht, aber wenn – wie oben erwähnt – das seltene Kunststück gelingt, die Bücher nicht vom Bildschirm trennen zu können und das vorhandene „Universum“ perfekt erweitert zu finden, dann darf man endlich einmal zurecht von einem Meisterwerk sprechen. Ein Begriff, der viel kursiert und so gut wie nie zutrifft.

Ein großer Teil dieses Verdienstes liegt bei Shaun Evans, der eine bravouröse Leistung abliefert. Er hat nicht versucht, John Thaw zu imitieren (Shaun hat erklärt, dass er die Original-Morse-Serie nie gesehen hat), was sich im Nachhinein als einzig richtiger Weg erwiesen hat. Dennoch gab es durchaus leichte Kritik dafür, denn viele Fans hätten sich zumindest gewünscht, einige typische Morse-Eigenschaften auch bei Evans zu sehen. In Deutschland kennen viele, die ihre Serien nicht mit Originalton schauen, dieses Problemchen nicht, und ob es Leser der Bücher gibt, die sich darum scheren, wage ich ebenfalls zu bezweifeln.

Aber nicht nur Shaun Evans gebührt das Lob, die Serie zu einem fulminanten Erfolg gemacht zu haben. Die Entscheidung nämlich, Roger Allam als Fred Thursday zu besetzen, kann gar nicht hoch genug gehängt werden. Besonders interessant ist an diesem Aspekt, dass Russell Lewis, Autor und Schöpfer der Serie, hier eine Figur entwickelt hat, die es im Morse-Universum bis dahin nicht gab.

Alle Morse-Fans wissen, dass Morses Mentor Desmond McNutt hieß, aber keiner weiß, warum Lewis ihn bisher außen vor gelassen hat. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass es nicht zu viel Referenzen geben sollte, um eine weniger gebundene Geschichte erzählen zu können. McNutt hätte diese Freiheit möglicherweise etwas eingeschränkt und „Endeavor“ bereits in vorhandene Bahnen gelenkt. Außerdem gibt es natürlich viele Anspielungen auf das Original. Für Fans sind das die sogenannten „Ostereier“; wer die Originalserie nicht kennt, wird um den Genuss jedoch nicht betrogen. Sie sind geschickt eingebaut und kein integraler Bestandteil der Handlung.

Der Look und das Tempo der Serie ist schlicht herausragend. Das Sepia in weiten Teilen der Serie lässt die 1960er Jahre lebendig erscheinen, und der Kostüm- und Requisitenabteilung sollte man ebenfalls einen Orden verleihen.

Wir alle kennen Prequels, Sequels und Reboots, die den guten Namen einer Originalserie beschmutzt haben, aber Endeavor kam glücklicherweise nie auch nur in die Nähe, die John Thaw-Serie abzuwerten oder zu entehren.

MEP

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Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber des Phantastikon.

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