Nachtkurier

Das Spiel mit der Angst

Angenommen, es wäre so. Die Bahn steht, wir sitzen am Fenster, blicken hinaus, und da tauchen sie auf. Zombies. Zumindest sehen sie so aus. Könnten echt sein. Könnten sie tatsächlich?

Sie wanken, schlurfen, staksen, kommen. Sie rütteln an den Türgriffen, kratzen am Glas, schlagen ihre Köpfe gegen die Scheiben, glotzen uns sabbernd an. Würden wir denken, das sei ein schlechter Witz? Wären wir so verdammt realistisch, dass wir nicht ernsthaft in Erwägung ziehen würden, das könnte jetzt tatsächlich wahr sein? Glauben wir Verschworenen, die wir uns ständig auf dem Papier mit den tiefsten Abgründen des Möglichen beschäftigen, dass dort keine Zombies sein können? Nicht sein dürfen. Weil es sowas nicht gibt. Nein?

Ich habe als Kind nie auf die Erwachsenen gehört, die behaupten, es gäbe keine Monster. Woher diese Erkenntnis? Ich habe stets gezweifelt. Mir zwar gewünscht, dass ich mich irre, dass ich mich völlig unnötig quäle mit meinen Blicken in dieses dunkle, geheimnisvolle, böse Irgendwas. Dass sie die Wahrheit sagen, nicht lügen, um mich zu beruhigen. Aber ich habe mir immer etwas vorgestellt. Immer nachgesehen. Immer dieses Gefühl gehabt. Nie würde ich sagen, dass das, was ich mir vorstelle, nicht sein kann. Und würde ich allein in der letzten Metro auf dem Weg nachhause sitzen und sie da draußen sehen, und würden sie dann kommen, hineinkommen, auf mich zukommen…ich wäre, falls ich überleben sollte, niemals wieder gesund zu kriegen. Das könnte sich jeder Seelendoktor abschminken. Mein Wahnsinn wäre mein alter ego. Schachmatt der Ratio.

Walking Dead zum Anfassen

In Brasilien wurde so was gemacht. Falsche Zombies, für versteckte Kameras von der Maske excessiv furchtbar hergerichtet, versetzten Menschen, die zu später Stunde in die U-Bahn stiegen und sich auf ihren Feierabend freuten, in Panik. Sie saßen oder standen dort einsam in der Bahn, es waren nicht mehr viele unterwegs um diese Zeit, und plötzlich waren sie da. Walking Dead zum Anfassen. Eiseskälte aus der Hölle. Übertrieben gesagt? Wahrhaftig: Nein!

Walking Dead
The Walking Dead mit Andrew Lincoln; (c) AMC

Der TV-Schocker von Medienmogul Silvio Santos, weltweit vor einigen Jahren als absoluter Angst-Tip und krasser Joke gehandelt, Millionenfach angeklickt und heiß diskutiert, war Part einer Show der Marke Verstehen Sie Spaß?, eine Sendung, in der nichtsahnende Personen aufs Glatteis geführt werden. Man wird verulkt, dann wird aufgeklärt und herzhaft gelacht. Über die irre komische Situation, darüber, dass man auf den Leim gegangen ist und wie witzig blöd das alles war. Im Regelfall sind das harmlose Scherze.

Vielleicht mag es bereits grenzwertig sein, wenn ein unheimliches, auf untot geschminktes Mädchen einen Aufzug betritt und die verstörten Mitfahrenden finster fixiert. Wenn irgendwann gegen Mitternacht an einer Bushaltestelle eine Horrorfigur aus einem Kinoplakat steigt und mit einem Messer auf die Leute zustürmt. Ist so was als Extrem-Gaudi geeignet? Gut. Man kann. Wir sind hartgesotten. Wir kennen uns aus in finsteren Gassen. Aber ist es dort spaßig?

Bild 01
(C) Splendid

Der brasilianische Zombie-Dreh war/ist es nur bedingt. Irgendwie passt er nicht. Nicht zu uns, nicht für uns, die wir uns Geschichten über die eine, die echte Angst zuflüstern, deren Namen, – sie hat viele -, tief unten sind und lauern, dass wir sie rufen. Über diese Angst können wir nicht lachen. Dürfen wir nicht. Wir sind der Pakt. Wir wissen mehr.

Der südkoreanische Film Train to Busan war ein sensationeller Publikumserfolg. Peninsula folgte. Pflichtkür für verwöhnte Grusel-Visionäre? Vielleicht. Es geht um Zombies. Zombies im Zug. Dann Zombies irgendwie überall. Und basta. Schlachtfeld garantiert. Die Show-Angst auch. Aus der Distanz schmeckt beim Anblick herausgerissener Eingeweide auch das Popcorn. Aber das ist eben eine andere Liga. Das ist Kino. Da sitzen wir auf rotem Samt und wollen Blut. Dafür haben wir bezahlt.

Um schlechte Träume zu bringen

Als Kind habe ich mich nachts ans Bett meiner Schwester geschlichen, um sie zu erschrecken. Meist stand ich in meinem Nachthemd einfach nur da, direkt neben ihr, sah zu, wie sie schlief und wartete darauf, dass sie die Augen öffnete. Dauerte mir das zu lange, gab ich Geräusche von mir oder kniff sie. Das war grundsätzlich böse, weil meine Schwester entsetzt aufschrie, wenn sie mich spürte oder sah. Mich oder das, was sie in diesem einen Moment glaubte, zu sehen. Mir gefiel ihre Furcht, und obgleich sie mir meine nächtlichen Besuche ernsthaft drohend verbot, ging ich immer wieder, wenn ich selbst nicht schlafen konnte, auf Zehenspitzen in ihr Zimmer, um ihr schlechte Träume zu bringen. Das ist ewig her, natürlich, aber sie weiß das heute noch sehr genau. Und weil ich selbst längst schon weiß, wie ernsthaft tiefgründig wirkliche Angst ist, senke ich denn doch bekümmert meinen Kopf.

Mein Spaß war nicht ihrer. Mein Spiel war Angst.

Karin Reddemann

Karin Reddemann

Karin Reddemann, Jahrgang 1963, Studium Germanistik/Romanistik, Journalistin und Autorin; von 2015 - 2018 Redakteurin im Phantastikon-Magazin; Mitarbeiterin beim Online-Magazinn Fantasyguide; Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien, Buch Gottes kalte Gabe, Dr. Ronald-Henss-Verlag Saarbrücken (auch e-books).

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