Horror-Kolumne

Das Verwandeln der Knochen

Ich mag heute vielleicht agnostisch sein, aber ich bin mit der katholischen Kirche aufgewachsen. Eine Kindheit, die vom Geruch verbrannter Kerzen und mit Folterbildern als Objekten der Träumerei geprägt war. Hier erfuhr ich vom Schrecklichsten, das mein Kleinkind-Geist je erleben würde: das, was die Kirche Transsubstantiation nannte. Diese Vorstellung, dass etwas auf der spirituellen Ebene in ein anderes Ding verwandelt werden kann.

Dass dieses Stück Waffel in Wirklichkeit das Teil einer Leiche war. Dass dieses Glas Wein in Wirklichkeit Blut war. Eine Idee, die mich bis ins Mark erschreckte, und die der Schlüssel zu dieser unfassbaren Idee des ontologischen Horrors ist. Dass nach außen hin etwas normal und unverändert erscheint. Aber irgendwie, tief im Mark des Ganzen, ist es eigentlich verfault.

Geister spielen dabei eine Rolle, Heimsuchungen und Geisterhäuser. Besessenheit und Rituale spielen dabei eine Rolle. Ein Schlüsselbeispiel, auf das ich so oft verweise (abgesehen von zahlreichen Shirley Jackson-Romanen und -Geschichten), ist Kelly Links „Stone Animals“.

In dieser Geschichte wird alles im Haus einer kleinen Vorstadtfamilie heimgesucht. Äußerlich ändert sich nichts. Nichts scheint anders zu sein. Nichtsdestotrotz fürchten sie den Spuk. Und das breitet sich wie eine Plage aus, infiziert das Mark der Familie und reißt sie auseinander.

Das ist das perfekte Beispiel für ontologischen Horror. Diese Idee des Spuks enthüllte auf einen Schlag das ganze Konzept der Weird Fiction. Die Zahnpasta ist verflucht, sie wird nicht mehr angefasst. Der Fernseher ist verflucht, sie werden ihn nicht einschalten.

Die Objekte sehen aus wie immer. Irgendwie wurden sie auf ontologischer Ebene verändert.

Hindernisse in der Realität

Das ist nicht die einzige Möglichkeit, ontologischen Horror in einem Stück Weird Fiction zu erkennen. Es gibt noch andere Möglichkeiten, Dinge auf symbolischer Ebene zu verändern. Man spürt die Veränderung visuell, ohne dass man etwas davon erfährt.

Die Realität selbst beginnt sich ein wenig zu verzerren. Das ist nicht ganz fremd, gerade genug, um uns auf einer imaginären Gedankenebene zu stören. Die Furcht vor einem Ding, das sich symbolisch auflädt, indem es seltsame Verbindungen schafft, die unsere eigenen Wahrnehmungen in Frage stellen. Und wir fragen uns allen Ernstes, warum uns das so sehr beunruhigt?

Und doch fühlen wir uns merkwürdig. Es ist das Sein an sich, das etwas Falsches ausstrahlt. Aber auf eine Art und Weise, die schwer zu begreifen und zu erklären ist. Es fühlt sich … abseitig an.

Ein schwarzer Lappen, der an einem Zaun hängt. Grobe Steinkreise in frisch gemähten Vorgärten. Ein unscharfer Farbfleck, den man aus dem Augenwinkel wahrnimmt. Die Gestalt eines Hundes, der sich durch den Nebel bewegt.

Diese Dinge verunsichern uns. Aber warum? Weil sich etwas falsch anfühlt. Wir können es nicht erklären. Die Realität hat unheimliche Züge angenommen, ohne dass uns das überhaupt bewusst wurde. Es wirkt sich definitiv auf unser Innerstes aus.

Masken zeigen und verbergen

Eine weitere Form der ontologischen Störung ist der Begriff der Maske. Sie verändert die äußere Erscheinung, ja. Aber wichtiger ist: sie verdeckt die Person dahinter, die dadurch in ein Symbol verwandelt wird. Der Träger schweigt oder spricht nur in geflüsterten Rätseln.

Die Person, die eine Maske trägt, hat sich verändert. Von Grund auf. Blockiert den bekannten Körper. Die Maske selbst ist die Veränderung, und indem sie die Person dahinter verdeckt, erzeugt sie dieses Gefühl ontologischen Schreckens, weil es daran eine Unrichtigkeit gibt, die sich nicht erklären lässt. Eine Falschheit, die nicht ganz falsch ist. Es stört uns.

Unsere Körper verraten uns

Das unterscheidet sich von dem üblichen Bodyhorror eines Cronenberg oder Clive Barker, zwei Künstler, die den Körper in groteske Parodien verwandeln. Diese beiden schmelzen und zerquetschen und formen sie zu Monstern. Aber hier ist der ontologische Horror ein anderer.

Hier befindet sich ist der Horror unter der Haut. Du fühlst dich normal. Äußerlich mag alles in Ordnung sein, aber innerlich verändert sich etwas. Deine Haut brennt und juckt. Deine Glieder bewegen sich, ohne dass du etwas dafür tust. Dein eigener Körper greift dich an.

Vor etwa zehn Jahren wurde bei mir Multiple Sklerose diagnostiziert. Und ich kann sagen, dass ich das Beispiel als Wahrheit kenne: dass der Körper normal aussehen und trotzdem ein Feind der eigenen Existenz sein kann. Es verändert sich alles im Verborgenen. Unsichtbar. Es ist, als würde sich deine eigene Haut gegen dich wenden.

Erklärungen sind Bannsprüche

Mehrdeutigkeit ist der Schlüssel zum ontologischen Horror. Man kann nicht ganz verstehen, warum sich etwas falsch anfühlt. Es ist wie ein Nebel, der sich ständig bewegt und verdunkelt. Die Ungereimtheiten sind da, direkt unter der Oberfläche, nur eine Armlänge entfernt. Das gibt dir das Gefühl, dass du dich seltsam, distanziert und einfach merkwürdig fühlst.

Die Welt ist auf eine Seite geneigt und du wirst nie herausfinden, warum. Und das ist eines der besten Vergnügungen dieser Art von Literatur. Um geneckt und verunsichert zu werden, um die Schichten der Welt abzuschälen und sich selbst zu beobachten, wie man dort steht. Und das Spiegelbild ist schief. Gerade so weit, dass deine Augen nicht mehr ganz so aussehen wie deine Augen das gewöhnlich tun. Dein Spiegelbild grinst und du verstehst nicht, warum. Warum lächelst du?

Aber du kannst nicht damit aufhören. Und das, meine Freunde, ist ontologischer Horror. Das ist der Schlüssel zur Weird Fiction.

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Paul Jessup

Paul Jessup ist ein von der Kritik gefeierter und preisgekrönter Autor von seltsamen und abgründigen Romanen. In seiner über zehnjährigen Karriere wurden seine Werke in so vielen Zeitschriften veröffentlicht, dass er nicht mehr weiß, wie viele es sind.

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