Nyos

Der böse See

Es gibt in allen Kulturen den Welt Mythen und Legenden. Mythen darüber, wie die Welt erschaffen wurde, wie die Jahreszeiten zustande kamen, wieso der Mond und die Sterne am Himmel hängen. Auch gibt es Legenden, denen eine Warnung zugrunde liegt; urbane Legenden über den Mann mit der Hakenhand, der Verliebte angreift, die an einem abgelegenen Ort vorehelichen Sex haben, oder Legenden über Geister in den Wäldern, die Kinder entführen und sie bestrafen, wenn sie nicht gehorchen. Diese Legenden werden jedoch nur sehr selten bewiesen. Aber manchmal zeugen Legenden davon, dass sie einst auf Tatsachen beruhten.

Der Nyos-See ist ein See in Kamerun, Westafrika. Man erzählte sich Geschichten über einen bösen Geist, der tief im See hauste und darauf wartete, herauszukommen und alle zu töten, die in seiner Nähe lebten. Die Einheimischen nannten ihn „den bösen See“ und versuchten, sich so weit wie möglich von ihm fernzuhalten.

Am 21. August 1986 geschah es dann. Die Wissenschaft ist sich bis heute nicht sicher, was da eigentlich genau passiert ist. Entweder brach ein Unterwasservulkan aus oder ein Erdrutsch wirbelte Gase auf. In jedem Fall stieg eine große Kohlendioxidwolke aus dem See und tötete 1746 Menschen und 3500 Stück Vieh, die in der Nähe des Sees lebten.

Überlebende und Ermittler beschrieben eine Szene wie aus einem Horrorfilm. Überall lagen tote Körper herum. Das Gas wirkte auf Menschen und Tiere, sogar auf kleine Insekten. Leichen lagen in ihren Betten, noch in ihrer Bettkleidung. Im Freien gefundene Opfer schienen plötzlich zusammengebrochen zu sein. Einige hatten einen verkrusteten, klebrigen Rückstand über den unterschiedlichste Verletzungen, andere Opfer hatten überhaupt keine Sichtbaren Spuren an sich.

Manche überlebten und waren in der Lage, den Ermittlern das schreckliche Ereignis zu schildern: Halima Suley, eine Kuhhirtin, und ihre vier Kinder hatten sich für die Nacht zurückgezogen. Auch sie hörte das Grollen; es klang, wie sie sich erinnerte, wie „das Rufen vieler Stimmen“. Ein heftiger Wind brauste durch die kleinen, strohgedeckten Hütten ihrer Großfamilie, und sie wurde sofort ohnmächtig – „als wären wir tot“, sagt sie.

Ephriam Che saß in seinem Lehmziegelhaus auf einer Klippe über dem Nyos, einem Kratersee im vulkanischen Hochland im Nordwesten Kameruns. Ein Halbmond beleuchtete das Wasser und die Hügel und Täler dahinter. Gegen 21 Uhr hörte Che ein Grollen, das sich wie ein Steinschlag anhörte. Dann stieg ein seltsamer weißer Nebel aus dem See auf. Er meinte zu seinen Kindern, dass es so aussähe, als würde es bald regnen, und ging mit einem unguten Gefühl ins Bett.

Beim ersten Licht des Tage verließ Che die Klippe. Der Nyos, normalerweise kristallblau, hatte sich mattrot verfärbt. Als er den einzigen Abfluss des Sees erreichte, einen Wasserfall, der von einer niedrigen Stelle des Ufers herabstürzte, stellte er fest, dass der Wasserfall – untypischerweise – trocken war. In diesem Moment bemerkte er die Stille; selbst der übliche morgendliche Chor von Singvögeln und Insekten war nicht zu hören. Vor lauter Angst zitterten ihm die Knie, und er ging weiter am See entlang. Dann hörte er ein Kreischen. Es war Suley, die sich in einem Anfall von Trauer und Entsetzen ihre Kleider vom Leib gerissen hatte. „Ephriam!“, rief sie. „Komm her! Warum liegen diese Menschen hier? Warum bewegen sie sich nicht mehr?“

Einige Überlebende wurden ohnmächtig und wachten zwei Tage lang nicht mehr auf. Als sie wieder zur Besinnung kamen, waren die meisten oder alle ihre Familienmitglieder tot, erstickt durch die tödliche Gaswolke. Rettungskräfte und Ermittler trafen innerhalb weniger Tage ein, um Aufräumarbeiten durchzuführen und zu untersuchen, was vor sich gegangen war.

Im und um den See wurden Kohlendioxid-Monitore und Gaspumpen installiert, um zu verhindern, dass sich eine solche Katastrophe wiederholt. Da aber niemand weiß, was da wirklich los war, wie kann man dann verhindern, dass sich eine solches Szenario wiederholt?

Dara Barnwell

Dara Barnwell

Dara Barnwell hat ihre Wurzeln in den Volksüberlieferungen und dem Aberglauben der Ozark Mountains. Später zog sie in die Great Smoky Mountains und erforscht dort weiterhin Folklore, Aberglauben, Geister und andere unheimliche Phänomene. Am liebsten ist sie mit ihrer Familie und ihren Hunden in den Wäldern auf der Jagd nach Kryptiden.

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