Poes Grab

Ein Toast auf Edgar Allan Poe

Baltimore: Jahrzehntelang schlich eine mysteriöse Gestalt, gänzlich in schwarz gekleidet, das Gesicht von einem weitkrempigen Hut sowie einem Schal verdeckt, auf den Westminster-Friedhof, um dort drei Rosen und eine Flasche Cognac auf dem Grab von Edgar Allan Poe niederzulegen. 2007 war es dann, dass der 92jährige Sam Porpora bekannte, für diese Idee verantwortlich zu sein.

“Ich und meine Stadtführer, wir haben das getan”, erklärte Sam Porpora. “Es war eine Werbekampagne. Wir dachten nicht im Traum daran, dass dies für ein weltweites Aufsehen sorgen würde.”

Niemand hatte bis dahin je Anspruch auf diese Legende erhoben. Warum rückte also Porpora jetzt damit heraus?

“Kann ich nicht sagen. Ich liebe Poe. Ich liebe es, über ihn zu sprechen.”

Porpora glaubt, dass die internationale Bedeutung Poes, diesem Meister des Mysteriums und der Melancholie, durch einige Poe-Jünger ihre Form erst angenommen hat. Aber die Rettung des Friedhofs an der Westminster Presbyterian Church, wo der Autor begraben liegt, ist Porporas Verdienst.

Poe Grab
Cognac und Rosen, die am 19. Januar 2008 an Poes heutigem Grab (es gab bis 1875 ein anderes) gefunden wurden, wahrscheinlich von einem Nachahmer hinterlassen.

“Ich weiß nicht, was ich sagen soll”, erklärte Jeff Jerome, der Verwalter des Poe-Hauses in Baltimore, das all die Jahre von der Legende des sogenannten Poe-Toasters profitierte. Mit Porporas Aussage, dass das Ganze ein Scherz war, konfrontiert, reagierte Jerome wie ein Mann, der von seinem Großvater in den Magen getreten wurde. Er war traurig und fühlte sich betrogen. Trotzdem war er nicht gewillt, zurückzutreten.

“Er ist wie ein Mentor für mich”, sagte Jerome über Porpora. “Ohne ihn gäbe es den Westminster-Friedhof nicht mehr. Aber zu behaupten, der ‘Toaster’ sei ein Werbe-Gag, nun, alles was ich sagen kann ist, dass das nicht stimmt.”

Porporas Geschichte beginnt in den späten 60er Jahren. Er hatte gerade seine Historie über die Westminster Presbyterian Church, 1852 erbaut, abgeschlossen . Es gab weniger als 70 Gemeindemitglieder und Porpora, in seinen 60ern, war eines der jüngsten. Der von Unkraut überwucherte Friedhof war ein beliebter Treffpunkt für Trunkenbolde. Man benötigte Geld und Öffentlichkeitsarbeit, erinnert sich Porpora. Das, sagte er, war der Zeitpunkt, als ihm die Idee für den ‘Poe-Toaster’ kam.

Seit 1949 wurden jedes Jahr am 19. Januar drei Rosen – eine für Poe, eine für seine Frau und eine für seine Schwiegermutter – und eine Flasche Cognac an seinem Grab niedergelegt, weil er das Zeug so gern mochte, auch wenn er es sich nicht leisten konnte, es sei denn, jemand anders kaufte es ihm.

Das romantische Bild des mysteriösen Mannes in Schwarz beflügelte die Fantasie der Poe-Fans und die Legende wuchs. 1977 begann Jerome jedes Jahr eine Handvoll Leute einzuladen, um eine Nachtwache für den seltsamen Fremden abzuhalten. Die Medien begannen damit, Ankunft und Abreise ‘Poe-ähnlicher-Gestalten’ festzuhalten.

1990 veröffentlichte das Life Magazine ein Bild des verhüllten Mannes. 1993 hinterließ der eine Notiz mit dem Wortlaut: “Die Fackel wurde übergeben.” Eine andere Notiz von 1998 gab an, dass der Begründer der Tradition gestorben sei. Spätere Ehrenwächter gaben an, dass mindestens zwei ‘Toaster’ die ‘Fackel’ in all den Jahren angenommen hatten. Für Jeffrey A. Savoye, Sekretär und Schatzmeister der Poe Society of Baltimore, hat sich die Tradition längst verselbständigt.

“Sogar wenn Sams Geschichte wahr ist, na und? Es ist eine schöne Tradition, ob sie nun zurück geht auf das Jahr 1949 oder 70”, sagte Savoye.

Mitglieder der alten Gemeinde, die jetzt alle bereits verstorben sind, sprachen über den Poe-Toaster, bevor Porpora sagte, er wäre der Initiator. Geschichten kursieren seit den 70ern, die sich auf alte Zeitungsberichte beziehen. Jerome fand in der Baltimore Evening Sun von 1950 einen Zeitungsausschnitt über einen anonymen Bürger, der jedes Jahr um den Friedhof herumschleicht, um eine leere Flasche eines ausgezeichneten Cognacs gegen den Grabstein zu lehnen.

Porporas Bericht weist indes einige Widersprüche auf und Jerome kündigte an, dass die jährliche Nachtwache weitergehe.

Und das tat sie. Aber der Poe-Toaster ließ sich zum letzten Mal im Jahre 2009 blicken, also zu Poes 200. Geburtstag. Offiziell gilt die Tradition als beendet.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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