Geister

Der Ursprung der Geister und berühmte Darstellungen in der Literatur

Seit der Mensch sich seiner selbst bewusst ist, scheint er sich auch der Geister bewusst zu sein. Das Konzept der Geister, aber auch der Geistergeschichten lässt sich bereits in den Anfängen der Menschheitsgeschichte finden und fasziniert uns seit Generationen. Ein Rascheln im Gebüsch, ein knarrendes Geräusch, und die Angst, die sich mit unserem Überlebensinstinkt verbindet, lässt uns Dinge sehen oder fühlen, die vielleicht nicht da sind.

Aber auch der Glaube, dass etwas jenseits des Todes existieren könnte, hält uns gefangen. Was wir heute als Geist interpretieren, hat seine Wurzeln und den Mythen und Überzeugungen der alten Kulturen. Gespenster waren und sind manchmal die Geister von Personen oder von Tieren, die nach dem Tod des Körpers weiterexistieren. es liegt zum Teil an diesem Glauben, dass viele Beerdigungsrituale ursprünglich stattfanden und praktiziert wurden, um zu verhindern, dass der besagte Geist auf der Erde verbleibt und die Lebenden verfolgt. Darüber hinaus wird an die Existenz von Geistern oft aufgrund der menschlichen Erfahrung festgehalten, sich verfolgt oder verflucht zu fühlen. Dieses Gefühl wird noch heute nicht gerade selten damit erklärt, sich in der Gegenwart von Geistern zu befinden. Dies kann vom Hören, Sehen, Fühlen von seltsamen Wahrnehmungen bis hin zu anderen unerklärlichen unheimlichen Ereignissen reichen. So wird beispielsweise ein unbelebtes Objekt, das sich von selbst und ohne Zutun bewegt, oft als von einem Geist verursacht zitiert.

Geistergeschichten sind alles andere als ein zeitgenössisches Phänomen. Sie werden seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben, entweder mündlich oder durch das geschriebene Wort. Alte Kulturen glaubten, dass eine menschliche Seele oder der Geist weiterexistiert, wenn der physische Körper das längst nicht mehr tut, und dass es eine jenseitige Welt geben muss. Deshalb war das Erscheinen von Geistern in der lebendigen Welt ein verstörender Gedanke. Der Grund, warum ein Geist in die Welt der Lebenden übergehen sollte, war ein traumatisches Ereignis oder ein unerledigtes Geschäft. Man glaubte, dass dies in der Regel auf eine unsachgemäße Bestattung, Ungerechtigkeit oder die Notwendigkeit zurückzuführen war, dass der Tod gerächt werden musste. Eine wirklich unangenehme Erfahrung für die Hinterbliebenen.

Diese Geschichten wurden in allen Kulturen auf der ganzen Welt erzählt, von Japan bis Irland. Die Orestie – eine Trilogie griechischer Tragödien, die erstmals 458 vChr. aufgeführt wurde, erzählt die Geschichte von Mord, Rache und Gerechtigkeit. Die Trilogie, die weithin als Aischylos bestes Werk gilt, zeigt eine Figur namens Klytaimnestra, einem weiblichen Geist, der Gerechtigkeit gegenüber ihrem Sohn sucht, der sie ermordet hat. Dies ist eine der ersten Erscheinungen eines Geistes in der Literatur und typisch für den altgriechischen Glauben an das Leben nach dem Tod und den Übergang der Geister in die Welt der Lebenden.

Geister bei den Römern

Plinius der Jüngere erzählte seine berühmte Geistergeschichte um 100 nChr., und beweist damit, dass diese furchterregenden Geschichten seit mindestens 2000 Jahren alltäglich sind. Seine Geschichte handelt von einem gespenstischen alten Mann mit einem langen Bart und rasselnden Ketten, der in einem großen Haus in Athen herumspukt. Obwohl die Geschichte vor so langer Zeit erzählt wurde, enthält sie alle wichtigen Bestandteile einer klassischen Geistergeschichte. Unerklärliche Geräusche, Ruhelosigkeit und unheimliche Albträume.

In der modernen westlichen Kultur gehen wir davon aus, dass Geister typischerweise einem unerledigten Geschäft nachgehen. Das war bereits bei Plinius der Fall, der in seiner Geschichte erwähnt, dass der kettenrasselnde Geist erst seinen Frieden fand, als seine Leiche entdeckt wurde.

Die Römer hatten viele Vorstellungen von Geistern, und obwohl nicht gesagt werden kann, dasss ie alle an sie glaubten, kann man doch zu dem Schluss kommen, dass Geistergeschichten beliebt waren. Die Römer glaubten an zwei Arten von Geistern. Der Geist von Plinius fällt in die erste Kategorie, bekannt als Lemuren. Diese wütenden Geister verfolgten und belasteten die Lebenden, wurden aber dennoch mit einer Reihe von jährlichen Festtagen geehrt. Im Gegensatz zu den Lemuren standen die Manen, Geister, die ihre nahen lebenden Verwandten führten und schützten. Die oft als Götter bezeichneten Manen wurden mit dem Parantella-Fest gefeiert und galten als in oder unter der Erde existent. Um den Manen zu gefallen, brachten die Römer ihnen Opfer dar und ließen oft Speis und Trank an ihrem Grab zurück.

Der antike Satiriker Lukian von Samosata formulierte in seinem Roman „Der Lügenfreund“ den Unglauben an Geister. Lukian, geboren 120 nChr., war ein gelehrter Mann mit einem einzigartigen Sinn für Humor, und nutzte seine akademischen Fähigkeiten, um seine Zeitgenossen zu verspotten. In diesem Roman zieht er von der Warthe des gesunden Menschenverstandes und der Logik alle Register, um all jenen eins auszuwischen, die auch nur im Entferntesten an das Übernatürliche glaubten. In seiner Geschichte erzählt Lukian von einer Figur namens Demokrit, die in einem Grab vor den Stadttoren haust, nur um zu beweisen, dass Friedhöfe nicht von Geistern heimgesucht werden. Er berichtet, dass junge Einheimische versuchten, Demokrit zu erschrecken, indem sie sich in schwarze Roben und Totenkopfmasken kleideten, aber trotz dieser effektiven Witze weigerte er sich, an das Übernatürliche zu glauben. Auch wenn Lukian ein entschiedener Ungläubiger gewesen sein mag, ist es interessant, auf seine klassische Idee des Aussehens eines Geistes hinzuweisen, weil diese bis heute Bestand hat.

William Shakespeares Geister

Ob er nun an Geister glaubte oder nicht – William Shakespeare war furchtlos in seinem Streben, sie zu einem integralen Bestandteil seiner Stücke zu machen. Während er sicher nicht der einzige Dramatiker war, der Geister in seinen Aufführungen zeigte, unterscheiden sich jene Shakespeares in ihrer Bedeutung doch durch ihre Interaktion mit den Lebenden. Das früheste Shakespeare-Drama, das Geister vorstellt, ist Richard III., in dem der gleichnamige Charakter von den Geistern seiner Opfer heimgesucht wird. Diese Geister verspotten Richard mit den Geschichten über ihr Ableben und sagen voraus, dass er in seinem nächsten Kampf eine Niederlage erleiden wird. Es scheint dem Publikum so, als ob die Geister Richard in seinen Träumen erschienen sind, was die Beziehung zwischen Geistern und Albträumen festigt. Wenn sie jedoch auf der Bühne aufgeführt werden, sind die Geister physisch präsent, besetzt mit Schauspielern, die sich and ie klassische Geisterdarstellung halten: aufgehellte Haut und ein untotes Aussehen.

Shakespeares Behandlung der Geister wurde zum zentralen Werkzeug zum Erzählen von Geschichten verwendet, wie er es in seinem berühmten Stück Macbeth gezeigt hat. Auf völlig unkonventionelle Weise erscheint der Geist von Banquo nur Macbeth und ist für alle anderen Gäste unsichtbar. Shakespeare nutzt den Geist, um zu vermitteln, dass die Last von Banquos Mord allein bei Macbeth liegt.

Hamlet, geschrieben zwischen 1599 und 1602 ist eine der berühmtesten Geistergeschichten der Literatur. Das Stück, das sich um Hamlets Wunsch dreht, Gerechtigkeit für den Mord an seinen Vater zu suchen, gilt als eines der mächtigsten literarischen Werke aller Zeiten. Wesentlich für die Handlung ist der Geist von Hamlets verstorbenem Vater. In den Bühnenanweisungen als „Geist“ bezeichnet, erscheint er nur drei Mal im Stück und wirkt als Impulsgeber der Handlung. Shakespeares Darstellung des Geistes steht im Einklang mit alten Geistergeschichten, wo sie stehts ein ungelöstes Verbrechen oder Ungerechtigkeit symbolisieren und vermitteln. Der Geist sucht Rache, um aus dem Fegefeuer befreit zu werden.

Es sei darauf hingewiesen, dass es unter Akademikern und Dramatikern viele Diskussionen darüber gibt, ob der Geist wirklich eine Darstellung des verstorbenen Königs ist, oder tatsächlich eine phantastische Erfindung des jungen Hamlet. Aber Shakespeare hat im Grunde wieder einmal das Konzept eines Geistes dazu genutzt, um eine ganze Erzählung voranzutreiben. Die Existenz des Geistes offenbart ebenso viel über das Innenleben der lebenden Charaktere wie über den verstorbenen König.

Geister bei Charles Dickens

Geister, die sich über Shakespeares Jahre und darüber hinaus bewegen, begründen in der viktorianischen Epoche ihr eigenes literarisches Genre. Der Schriftsteller und Sozialkritiker Charles Dickens war sehr einflussreich, was die Etablierung und die Beliebtheit der Geistergeschichte betrifft. Von David Copperfield bis Oliver Twist schuf er einige der berühmtesten fiktiven Figuren aller Zeiten. 1843 schrieb Charles Dickens mit „A Christmas Carol“, die wir uns hier im Phantastikon bereits näher angesehen haben, die wohl berühmteste Geistergeschichte aller Zeiten, die die Wandlung von Ebenezer Scrooge vom geizigen Geldgeber zu einem freundlichen und liebevollen Mann zum Inhalt hat. Die Geschichte wird in fünf Kapiteln – oder Stäben, wie Dickens sie nannte – erzählt. Scrooge wird an Heiligabend von vier Geistern besucht, von denen jeder seine Wahrnehmung für die Welt um ihn herum öffnet. Zunächst wird er vom Geist seines ehemaligen Geschäftspartners Jacob Marley besucht. In schweren Ketten dargestellt und von schweren Geldtruhen nach unten gezogen, versucht Marley Scrooge sein Schicksal zu zeigen, sollte er nicht seine gierigen und egoistischen Wege ändern. Ihm wird gesagt, dass er von drei geistern, den Geistern der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Weihnacht besucht wird, denen er zuhören soll, oder dazu verdammt sein wird, die Last von Ketten zu tragen, die noch schwerer sind als die von Marley.

Wie Shakespeares Geist von Banquo erscheinen Dickens Geister ausschließlich Scrooge allein. Die Erscheinungen reichen von einem unheimlich kindlichen Mann bis hin zum phantomartigen Geist der zukünftigen Weihnacht. Charles Dickens selbst hatte ein persönliches Interesse an Geistern, wobei sein Freund und Biograf John Foster bemerkte, dass er leicht ganz vom Übernatürlichen hätte verzehrt werden können, wenn er nicht durch seinen eigenen gesunden Menschenverstand eingeschränkt worden wäre. Dickens erinnerte sich, dass er von seinem Kindermädchen Miss Mercy vor dem Schlafengehen als Kind schreckliche Geistergeschichten erzählt wurden. Als Teenager verschlang er Geistergeschichten und genoss es, sich bis ins Mark zu erschrecken. Als er ins Erwachsenenalter eintrat, wurde Dickens dem gegenüber eher skeptisch, aber seine Fantasie wurde durch die Faszination für Geister in seiner Kindheit angeheizt. Die Erzählung „A Christmas Carol“, die sich an nur einem Abend innerhalb einer einfachen und logisch gestrickten Struktur abspielt, veranschaulicht, dass Geistergeschichten am besten innerhalb einer Kurzgeschichte oder im Novellenformat funktionieren. Auch heute noch. Kurze und prägnante Geschichten wie diese können leicht mündlich erzählt werden, wie viele andere der besten Geistergeschichten auch.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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