Phantom der Oper

Das Phantom der Oper

Seit 1986 immer wieder aufgeführt, fällt einem eher der Name Andrew Lloyd Webber ein, als jener des tatsächlichen Urhebers. Der da hieß: Gaston Louis Alfred Leroux. Der ein französischer Schriftsteller und Journalist war, der seinen Roman Le fantôme de l’opéra 1910 schrieb. Der große Durchbruch dieses Werkes ist jedoch nicht allein Webber zu verdanken, der es gemeinsam mit Richard Stilgoe im Her Majesty’s Theatre in London zum ersten Mal auf die Bühne brachte, sondern auch Rupert Julian, der es schon 1925 über die Leinwand laufen ließ. Weitere Verfilmungen folgten bis heute. Veröffentlicht wurde das Das Phantom der Oper zum ersten Mal in Fortsetzungen in der Zeitung Le Gaulois vom 23. September 1909 bis zum 8. Januar 1910. Zudem existieren 4 Bühnenfassungen des Stücks.

Dass dieses Werk dem klassischen Schauerroman zugeordnet wird, kann ich jedoch nur bedingt verstehen. Es entpuppt sich mir im Verlaufe seines Plots doch eher als abenteuerlicher Kriminalroman mit hochmelodramatischen Zügen. Abenteuerlich, nicht phantastisch! Obwohl die Anlagen da sind. Leider! Und so frage ich mich nicht zum ersten Mal, warum man dieses Werk für Bühne, Film und Hörspiel immer wieder adaptiert.

Mögliche Antworten wären: Vielleicht weil man es insgesamt gelungen findet. Oder, was die Bühne betrifft: Weil sich das bzw. dieses Melodram besonders eignet, geht man von der Nachfrage aus. Zumal sich die Oper sicher auch gern verstoffwechselt sieht. Insgesamt aber: Weil der Stoff vielleicht als solches verführt, der durchaus sein Potenzial hat. Da man das, was darin schlummert, zum Leben erwecken will, indem man es schafft den Figuren eine Atmosphäre um den Leib zu geben, in der sie überzeugend sind. Überzeugender als es die meisten Adaptionen zu zeigen vermögen. Und so habe ich gebangt, ob Titania Medien es denn schafft, diese erhoffte Atmosphäre zu erzeugen, denn ich halte es für möglich, eben aufgrund der Anlage dieser Figur, des Phantoms, das sich uns und Christine nach einer Weile und näherer Betrachtung als Erik vorstellt.

Ähnlich wie Der Glöckner von Notre-Dame (Originalname: Notre-Dame de Paris) von Victor Hugo steht eine Figur im Mittelpunkt einer Architektur, eines Gebäudes. Bei Hugo ist es die Kathedrale Notre-Dame de Paris. Bei Leroux die labyrinthische Pariser Opéra Garnier, die tatsächlich ihre eigene Schauergeschichte birgt. Beide Bauwerke sind somit jeweils vom Original hergenommen. Auch gleichen sich die beiden Protagonisten. Zwar nicht in ihrem Wesen bzw. Genie, doch aber was ihre ‘Hässlichkeit’, ihre Entstellung betrifft, die nicht etwa durch einen Unfall verursacht wurde, sondern ihnen von Geburt an gegeben war. Von den Mitmenschen abgelehnt und ausgestoßen, fristen sie ihr Dasein im Dunkeln, einzig ihre Liebe zur Musik, die mit einer Begabung für diese einhergeht, lässt sie mit ihren Mitmenschen in Kontakt treten.

Hier ist es Christine, die den ‘Engel der Musik’ mit ihrer Stimme aufs Parkett ruft. Der ihr schon viele Nächte lauschte, wenn sie allein in der Oper probte. Ein Engel, der ihr verspricht sie in Stimme so weit ausbilden, dass sie bald der nächste Star der Oper ist, solange sie sich ganz der Musik verschreibt. Und ihm. Jedoch fühlt sich Christine zu Raoul, Vicomte de Chagny, der aus einer alten französischen Adelsfamilie stammt, hingezogen, den sie schon seit ihrer Kindheit kennt, und an ihrem großen Abend, bei ihrem Debüt als erste Stimme, in der Rolle der Margarete in der Oper Faust von Gonoud, zum ersten Mal nach vielen Jahren wiedersieht. Neben einigen Abweichungen vom Urtext, wurde dem Hörspiel wieder eine Rahmenhandlung gegeben, in der man Leroux selbst als Journalist erscheinen lässt, der sich für die Geschichte des sagenumwobenen Phantoms der Oper interessiert und Nachforschungen über dieses betreibt.

Alles sehr flach. Keine Atmosphäre. Leere Figuren. Da hilft es auch nichts eine Christine zu nennen. Die gute Christin, die am Ende so etwas wie Mitleidsliebe empfindet. Lämmerlich ist das. Moralisch wohlfeil. Kurzum: Es ist nichts. Es ist Disney. Bleibt es für mich auch immer wieder. Mag sein, dass es zu jener Zeit für die Franzosen funktioniert hat, wie auch Der Glöckner von Notre-Dame, den ich für das Gelungenere der beiden Werke halte. Und so will ich fast schreiben: Es ist schwierig solch ein Werk, das zu seiner Zeit seine Wirkung hatte, in unsere zu transkribieren, vergesse aber eben dabei nicht: dass dieses Werk immer wieder adaptiert und an den Kassen dafür bezahlt wird. Das aber wäre Sozialforschung, eine Auswertung von Daten, würde ich Ihnen davon erzählen, warum das so ist, ganz entgegen meiner eigenen, persönlichen Wahrnehmung. Und so kann ich Ihnen nur verraten, was ich versucht hätte anders zu machen, denn nur Meckerziege ist nicht:

Mit dem Labyrinth des Phantoms hätte ich verstärkt gearbeitet. Das Thema Wahnsinn und Genie würde ich dem Wahnsinn Anheim geben. Gleiches gilt für die Kunst und das Opfer, das für sie gebracht wird, um davon einmal ganz zu schweigen. Wie auch von der Musik: Die Kunst der Künste überhaupt. Und das ist ja auch passiert: Schweigen. Das, worum es eigentlich geht, wird überhaupt nicht geäußert. Nicht im Original. Nicht in diesem Hörspiel. Nicht in vielen Adaptionen, die es vom Opernphantom gibt. Von diesem einen, das keines ist. All das würde ich mir vornehmen. Mich hineinfallen lassen.

Verschenkt wurde auch die inhärente Orpheus-und-Eurydikethematik wilder, tiefergehend aufzugreifen. Mehr als nur eine Leiter zu mühen und der jungen Dame einen Domino zu verpassen. Was mir ja durchaus gefällt. Aber eben nicht ausreicht, dem Original keine weiteren Hörner aufsetzt, Dimensionen gibt. Oder Narben. Etwas, das von dem Schmerz erzählt. Ihn zeigt. Oder davon, was ein Trugbild, ein Gespenst ist oder sein könnte. Die Liebe führe ich hier gar nicht erst ins Feld. Getraue mich nicht.

Nun ja. All das hätte ich mir gewünscht. Dass man sich einmal wagt ordentlich vom Original abzuweichen. Und wenn das schon nicht, dann wenigstens die, durch den Stoff gebotenen, potenziell möglichen Tiefen aufzutun und auszuloten.

Ist aber nicht passiert. Das muss ich festhalten.

Eines aber muss ich doch noch positiv erwähnen: Torsten Michaelis, der das Phantom spricht, macht seine Arbeit wirklich gut. Eine Wahnsinns-Stimme ist das, die all das enthält, was das Phantom verspricht. Doch leider traut sich niemand die Maske, die es trägt, jene disneyhafte, tatsächlich abzunehmen.

Und so würde ich Christine und all jene, die es weiterhin wagen dieses Werk erneut zu adaptieren, gerne zu den Ersthelferausbildern schicken, um die Herzmassage, die Reanimation(!) noch einmal am Phantom zu üben. Denn ein Phantom ist unter anderem auch:

med. Phantom: ein für Lehrzwecke nachgebildeter Körper(teil).

: Denn mal los! Ich wäre gespannt wie ein Flitzebogen: Amorisch.

So zeigt es vielleicht Gesicht …

Albera Anders

Albera Anders

Studierte Germanistik und Kunstgeschichte in Heidelberg und schreibt seit 2016 für das Phantastikon.

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