Der Mann der zuviel wusste (Paramount)

Hitchcock: Der Mann, der zu viel wusste

Der Mann der zuviel wusste

In Alfred Hitchcocks Film von 1956 verliert ein amerikanisches Ehepaar, das eigentlich nur Urlaub machen wollte, ihren Sohn an Entführer, die an einem Attentat im Ausland beteiligt sind. Obwohl Der Mann, der zu viel wusste keiner von Hitchcocks beliebtesten Filmen war, beinhaltet er doch die typische von ihm erfundene „Suspense“ und eine der dramatischsten Wendungen von Doris Day.

Hitchcock hatte den Film zweimal gedreht, zuerst 1934 in England mit britischen Bühnenschauspielern (und Peter Lorre) als schwarzweiß-Thriller. Doch der gefiel Hitchcock nicht, und als Paramount 1956 grünes Licht für ein amerikanisches Remake gab, wurde John Michael Hayes damit beauftragt, ein neues Drehbuch zu schreiben und darüber hinaus Jimmy Steward und Doris Day für die Hauptrollen verpflichtet. Als François Truffaut Hitchcock später nach den beiden Filmen fragte, sagte Hitchcock:

„Die erste Version ist die eines talentierten Amateurs, und die zweite wurde von einem Profi gemacht.“

Der unbeliebte Song

„Que Sera, Sera (Whatever Will Be, Will Be)“ wurde von dutzenden Künstlern nachgesungen und tauchte in mehreren Filmen wie Meisterschaft im Seitensprung oder Heathers wieder auf. Zum ersten Mal jedoch hörte man den Song in Der Mann, der zu viel wusste. Jay Livingston und Ray Evans schrieben das Lied extra für die Figur, die Doris Day spielte – die weltbekannte Sängerin Jo McKenna. Der Song brachte ihren Komponisten einen Oscar ein und wurde zum Stempel für Doris Days Karriere.

Der Mann der zuviel wusste
Hitchcock bespricht eine Szene mit Doris Day. ©Paramount Pictures

Ironischerweise mochte Day den Song nicht besonders. Die Schauspielerin erzählte NPR (einem Zusammenschluss amerikanischer Radiosender):

„Als mir jemand sagte, dass der Song in dem Film vorkommen sollte, dachte ich mir ‚Warum?‘ … ich bin nicht der Meinung, dass er gut ist.“

Das Lied markiert eine entscheidende Wendung der Handlung, aber durch Day verlässt es durch ihre Interpretation diesen rein mechanischen Vorgang. Wenn ihre Figur den Song bei einem Empfang in der Botschaft singt, hofft sie, dass ihr Sohn sie hören wird. Die Welle der Hoffnung, Verzweiflung und Leidenschaft auf ihrem Gesicht ist ebenso faszinierend wie das gleichzeitige Glitzern und Lächeln, das das Publikum unterhält.

Bernhard Herrmann komponierte die berühmten Soundtracks für Psycho, Vertigo, Der unsichtbare Dritte, und viele andere Hitchcock-Filme. Natürlich arbeitete er auch an Der Mann, der zu viel wusste, forderte aber von Hitchcock, dass er das Stück „Storm Clouds Cantata“ aus dem ersten Film im Remake übernehmen sollte. Dieses Stück begleitet den Szenenhöhepunkt in der Royal Albert Hall, wo die McKennas versuchen, ein Attentat in der Mitte des Konzerts zu vereiteln. Herrmann selbst spielt den Dirigenten und leitet dort eines der wenigen Stücke, die er nicht für den Film geschrieben hatte.

Für 12 Minuten baut Hitchcock die Spannung auf, während das Orchester spielt, aber keine der Figuren spricht ein Wort. Die einzigen Geräusche sind die des Orchesters und Doris Days Schrei.

Der Mann der zuviel wusste
©Paramount Pictures

Das Originalskript sah jedoch eine lange Rede von James Steward vor. Laut der New York Times, sollte er dort dem Orchester lang und breit erklären, warum sie das Konzert abbrechen mussten. Das war mit Hitchcock nicht zu machen. „Du redest zu viel, ich kann das Londoner Symphonieorchester gar nicht genießen“, erklärte der Regisseur dem Schauspieler. „Wedle einfach mit deinen Armen und renne die Stufen hinauf.“ Das war für gewöhnlich Hitchcocks Art, dem zu viele Worte verdächtig waren.

Hitchcock war berühmt dafür, in jedem seiner Filme aufzutreten, aber in Der Mann, der zu viel wusste kann man ihn leicht übersehen. Er taucht nur sehr kurz in der Menge auf, die den Akrobaten auf dem Marktplatz von Marrakesch zusieht, und wendet außerdem den Zuschauern nur den Rücken zu.

Doris Day sorgte sich um die Tiere in Marrakesch

Days Passion für Tiere ist gut dokumentiert; sie gründete 1978 sogar die gemeinnützige Doris Day Animal Foundation. Als sie in Marrakesch auf einige ausgemergelte Ziegen, Pferde und Hunde am Set traf, setzte sie ihre Berühmtheit für sie ein. Sie weigerte sich, auch nur eine einzige weitere Szene zu drehen, bevor die Produktionsfirma diese Tiere nicht in Pflege nahm. Die Crew richtete daraufhin eine Fütterungsstation ein, und erst als Day mit dem Ergebnis zufrieden war, machte sie sich wieder an die Arbeit.

Für viele Jahre zählte dieser Film zu den „verlorenen Fünf“. Es war unmöglich, Der Mann, der zu viel wusste, Vertigo, Das Fenster zum Hof, Cocktail für eine Leiche, und Immer Ärger mit Harry zu sehen. Und es war Hitchcocks eigenes Verschulden. Er kaufte die Rechte an diesen Filmen zurück, damit er die volle Kontrolle über ihre Vermarktung erhielt. Anscheinend tat er das für seine Tochter, weil er glaubte, die Filme würden im Laufe der Zeit wertvoller werden. Erst 1983, nach einer fast 30-jährigen Abwesenheit, wurden sie dem Kanon wieder zugeführt.

Im Gegensatz zu Hitchcocks Blondinen Tippi Hedren und Grace Kelly wurde Doris Day nur einmal eingesetzt. In seinen besten Filmen der 50er und 60er Jahre hält Hitchcock seine Hauptdarstellerinnen unter gezielter Kontrolle, wie durch eine Fernsteuerung  greift der Regisseur in das Spiel seiner Darstellerinnen ein, was eine ganz eigentümliche Note hinterlässt. Days Spiel unterscheidet sich auffallend von diesem Stil, und vielleicht ließ Hitchcock die wunderbare Präsenz Days zu, vielleicht hatte er aber auch keine Wahl und wurde einmal gründlich geschlagen. Wie dem auch sei, er setzte Day nie wieder ein.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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