Beer Der dunkle Bote

Der Teufel in einer verwahrlosten Stadt: Der dunkle Bote von Alex Beer (August Emmerich #3)

Limes-Verlag

„Der dunkle Bote“ ist der dritte Band der August-Emmerich-Reihe erschien 2019, und wer sich vom Stil Daniela Larchers in den ersten beiden Bänden nicht davon hat abbringen lassen, in ein ausgehungertes Wien zwischen den beiden Weltkriegen zu tauchen, der findet den bisher stärksten Teil dieser Reihe vor. In der Zwischenzeit habe ich mir auch die beiden Isaak Rubinstein-Bücher von ihr zu Gemüte geführt, die nicht ganz so gelungen sind, aber ihr rasanter Stil bleibt doch relativ gesehen derselbe. Eine gute Figurenzeichnerin ist Alex Beer – so das Pseudonym der Autorin – nicht, dafür zieht sie mit ihrer Handlungsstruktur den Leser tiefer ins Geschehen. Ich habe mich bereits bei den anderen Emmerich-Bänden immer wieder etwas über die gewisse Leichtfertigkeit verschiedener Szenen beschwert, aber um ehrlich zu sein, ist in diesem dritten Band nichts mehr zu bemängeln. Die Atmosphäre steht und sie ist düster, der Horror sozusagen real.

Wer über Alex Beer schreibt, der fummelt schnell auch die Phrase „historisch korrekt“ aus den zuckenden Fingern, gerade so, als wäre das wichtig und auch so, als hätten diejenigen, die diese Phrase benutzen, überhaupt eine Ahnung von Geschichte, die tiefer geht als das, was man sich eben so anliest. Man kann immer nur von einer „gefühlten historischen Akkuratesse“ sprechen; wer das nicht tut, ist ein Quatschkopf, und vor allem jemand, der nicht versteht, wie Literatur funktioniert. Trotzdem ist es natürlich so, dass wir eine Zeitmaschine betreten, und diese Zeitmaschine, die funktioniert gut. Es ist eine Zeitmaschine in unseren Kopf hinein, denn dort finden sich schließlich alle Vorstellungen von Geschichte und Geschichten. Tatsächlich legt die Autorin großen wert auf Recherche und fügt in jedem ihrer Bücher einen umfangreichen Anhang hinzu.

Alex Beer hat eine unverwechselbare Stimme und das können nicht viele von sich behaupten. Und sie langweilt den Leser kein bisschen. Obwohl in der Emmerich-Reihe alle Fälle für sich stehen und auch abgeschlossen werden, gibt es eine klare Entwicklung was die fragile Karriere des Inspektors, aber auch sein Privatleben betrifft. Im Grunde setzt der Roman da ein, wo Die rote Frau aufhörte: auf der Suche nach seiner Familie. Erst dann kommt ein Mord dazwischen. Das war bisher anders gegliedert, die privaten Probleme eher eine eingeschobene Randerscheinung, aber bereits darauf ausgerichtet, zu eskalieren.

War der erste Band noch zwischen Burleske und Tragödie angesiedelt – wahrscheinlich sogar unbeabsichtigt -, hat sich der unfreiwillige Humor in „Der dunkle Bote“ quasi erledigt. Das Grauen der Armut und Erniedrigung ist allgegenwärtig, man möchte selbst beim Lesen verzweifeln. Während sich einerseits Schmuggler und anderes Gelichter die Not gut schmecken lassen, ist das Elend der Bevölkerung so gewaltig, dass man die Verzweiflung gut fassen kann. Emmerich selbst hätte oft die Gelegenheit, es sich etwas einfacher zu machen, doch abgesehen davon, dass er sich hier und da etwas zu Essen „ergaunert“, um nicht selber drauf zu gehen, tut er es nicht. Und das in einer Zeit, in der es mehr als verständlich wäre. Trotz seiner ruppigen Art ist er Mensch geblieben, wo andere nur noch Tiere sind. Und er hat einen starken Gerechtigkeitssinn, der nie etwas mit geltendem Recht zu tun hat. Damals nicht, heute nicht – vermutlich niemals.

„Der dunkle Bote“ versetzt uns in das Jahr 1920, und auch wenn sich die Not in den folgenden Jahren vielleicht etwas lindern wird, bahnt sich aus ihr bereits die nächste Katastrophe an. Revolutionäre Zellen entstehen links wie rechts, private Milizen und Agitatoren nutzen den rechtsfreien Raum und man kommt ihnen besser nicht zu nahe. Emmerich kann das nicht vermeiden, denn die Frau mit den Kindern, die er liebt, wird von ihrem rechtlich anerkannten Ehemann, der mit seinen Kriegskameraden eine kommunistische Zelle aufbaut, wie eine Gefangene gehalten und missbraucht. Dies ist der rote Faden, der die ganze Emmerich-Reihe durchzieht, hier aber seine volle Durchschlagskraft entfaltet. Fast könnte man meinen, dass der merkwürdige Mord, den er gerade untersucht, nur Beiwerk wäre. Aber auch der hat es in sich, denn der Mörder hat seinem Opfer die Zunge herausgeschnitten und einen Hinweis am Tatort hinterlassen, der ihn als den leibhaftigen Teufel ausweist. Und es bleibt nicht bei diesem einen Opfer. Es kommt dann der Punkt, in dem die Fälle, die Emmerich bearbeitet, zusammenstoßen. Und obwohl Emmerich und sein Assistent Winter ziemlich viel erreichen – unter anderem endlich die Anerkennung der Kollegen und ein echtes Büro – steht der Ermittler mit leeren Händen da, mehr noch: er hat mehr verloren als gewonnen.

2020 erschien bereits der Folgeband Das schwarze Band, denn am Ende des Romans, der durchaus der letzte der Reihe hätte sein können, steht: Die Geschichte war noch nicht vorbei. Alex Beer hat hier ihren erzählerischen Höhepunkt erreicht, oder besser gesagt: sie hat ihren Erzählstil etablieren können. Andere mögen das früher gesehen haben, für mich aber war erst dieser Band perfekt.

Pulp Matters

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Hat sich in Studien durch die Weltliteratur arbeiten müssen, fand schließlich mehr Essenz in allem, was mit Krimi und Horror zu tun hat.

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