Däumling

Der Däumling

Die Geschichte des Däumlings, von den Gebrüdern Grim auch „Daumesdick“ oder „Daumling“ genannt, ist das älteste englische Märchen, das in gedruckter Form vorliegt. Sicher gibt es Märchen, die älter sind; so zum Beispiel lässt sich das Motiv von Rumpelstilzchen über 4000 Jahre zurückverfolgen, aber das älteste erhaltene Druckexemplar eines Märchens ist Richard Johnsons „The History of Tom Thumbe“. Es wird angenommen, dass nur ein einziges Exemplar des Originaldrucks aus dem Jahre 1621 erhalten ist. Dennoch besteht die Möglichkeit, dass es sich bei diesem Druck bereits um einen Nachdruck handelt.

Und so alt die gedruckte Geschichte vom Däumling auch ist, die (mündliche) Legende von Tom Thumb ist noch älter, denn in Texten aus dem sechzehnten Jahrhundert finden sich zahlreiche Hinweise darauf.

Hier ist die Zusammenfassung der Geschichte:

Zur Zeit von König Artus heiratete in Großbritannien ein Pflüger namens Thomas in der Hoffnung, Kinder zu bekommen. Seine Frau war jedoch unfähig, ihm Kinder zu gebären, und so drängte er sie, den Zauberer Merlin aufzusuchen, um zu sehen, ob Merlin ihnen mit Hilfe von Magie ein Kind schenken könnte – selbst wenn das Kind nicht größer als sein Daumen wäre, würde er zufrieden sein. Die Frau geht zu Merlin, der zaubert und sagt der Pflügerfrau, dass sie in drei Monaten einen Jungen gebären wird, der tatsächlich nicht größer als der Daumen ihres Mannes sein wird.

Drei Monate später bringt die Frau den Jungen zur Welt, der wegen seiner winzigen Größe Tom Thumb genannt wird. Er trägt winzige Kleidung und beginnt, mit den anderen (ausgewachsenen) Kindern auf der Straße zu spielen, wobei er oft gewinnt, weil er seine geringe Größe nutzen kann, um in ihre Taschen zu schleichen und zu betrügen. Einmal geht das nach hinten los, als er in der Kiste eingesperrt wird, die einer der Jungen aus dem Ort trägt.

Wegen dieser Schrammen behält seine Mutter ihn zu Hause, wo sie ihn im Auge behalten kann. Aber selbst unter ihrer Aufsicht ist er aufgrund seiner geringen Größe nicht sicher. An einem Weihnachtsfest fällt er in den Puddingteig, als seine Mutter gerade einen Weihnachtspudding zubereitet und, ohne zu wissen, dass sich ihr Sohn darin befindet, einen der Puddings einem Kesselflicker gibt. Zum Glück bemerkt der Kesselflicker Toms Anwesenheit im Pudding, bevor er ihn essen kann, und Tom Thumb kehrt nach Hause zurück.

Als Nächstes wird er von einer Kuh verschluckt, als er mit seiner Mutter auf einem Feld weilt, während sie die Kühe melkt. Die Kuh „schleust“ Tom durch ihren Körper aus, und Tom wird nach Hause gebracht, um ein ausgiebiges Bad zu nehmen, wie man sich leicht vorstellen kann.

Auch als sein Vater auf ihn aufpasst, ergeht es dem Däumling nicht besser. Als er mit seinem Vater auf einem Feld unterwegs ist, wird er von einem Raben entführt, der Tom in das Schloss eines Riesen wirft. Der Riese frisst ihn, bevor er ihn wieder ausspuckt, nachdem Tom einen mordsmäßigen Aufstand gemacht hat. Jedoch wird er ins Meer gespuckt, wo ein Fisch ihn frisst.

Als der Fisch gefangen wird und ein Koch ihn am königlichen Hof zubereiten will – ausgerechnet am Hof von König Artus -, entdeckt der Koch den Däumling im Bauch des Fisches, und er ist wieder frei (auch wenn er erneut gewaschen werden muss).

Dies ist der Moment, in dem der Däumling zu Reichtum gelangt – oder zumindest der Moment, in dem sich sein Schicksal wandelt. Denn Tom Thumb wird König Artus‘ Zwerg, um ihn am Hof zu unterhalten.

Tom ist bei den Frauen am Hof sehr beliebt und reist manchmal nach Hause, um seine Eltern zu besuchen und ihnen Geld zu bringen. Während einer Reise findet ihn eine Elfenkönigin schlafend auf einer Rose vor und hinterlässt ihm einige magische Gegenstände. In den meisten Versionen des Däumling-Märchens gehören dazu ein verzauberter Hut des Wissens, ein Unsichtbarkeitsring, ein Gürtel, der seine Gestalt verändert, und Schuhe, die es ihm ermöglichen, im Handumdrehen überall hin zu reisen.

Zu den späteren Abenteuern des Däumlings gehört in der Regel eine Fahrt in einer winzigen Walnussschalen-Kutsche. Tom Thumb trifft den Riesen Gargantua, und sie vergleichen ihre Kräfte miteinander. Tom setzt seine magischen Fähigkeiten ein, um sich selbst zu retten, als Gargantua sich ihm in den Weg stellt und versucht, ihm zu schaden.

Märchensammler nennen diese Geschichte nicht selten „mehr eine glorreiche Idee als eine glorreiche Geschichte“. Sie gehen sogar davon aus, dass „Tom Thumb“ als Prototyp diente und somit den Trend für die Erzählungen und Handlungen späterer Märchen vorgab.

Anstelle einer klaren, kohärenten Erzählung erhalten wir eine Reihe von Abenteuern in Episodenform, obwohl die Reise von Tom Thumb dem traditionellen Märchenbogen insofern entspricht, als er am Ende beliebt und erfolgreich ist.

Er ist nicht nur berühmt und wird bewundert (vor allem von den Frauen am königlichen Hof), weil er so klein ist, sondern erlangt auch magische Fähigkeiten, die es ihm ermöglichen, sich vor den „größeren Jungen“ (wie dem Riesen Gargantua aus der französischen Folklore) zu schützen, die ihm schaden wollen. Er lernt mit seiner Kleinheit zurechtzukommen, zu gedeihen und zu überleben, obwohl er schon früh mit Gefahren konfrontiert wird (viele davon beinhalten, dass er gefressen wird).

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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