Nachtkurier

Hexen: Der Fluch, Lüge, Legende und Wahrheit zu sein

Wir wissen, wie Hexen aussehen. Was sie machen und wie sie ticken. Wir kennen Grimms Märchen. Hexen sind hässlich, böse und gefährlich. Unberechenbar zudem. Sie reiten auf Besenstielen durch die Luft, verwandeln Menschen in Kröten, fressen Kinder und tanzen nackt vor dem Teufel.

Hexen gelten in fast jeder Kultur, die ihre eigenen Märchen und Legenden hat, als finstere Wesen, vor denen man flüchten sollte. Sie sind mächtig. Grausam. Furchtbar in Erscheinung und Wirken. Und außerdem sind sie nicht echt. Sagt man und schwört darauf, ohne in die Nacht hinaus zu gehen. Hexen gibt es gar nicht. Sagt man und wartet drauf, dass die Sonne aufgeht.

Es gibt nur ihre Geschichten. Seltsame, schaurige Geschichten. Düstere und blutige Geschichten. Durchaus auch gute Geschichten. Das sind die alten, die wahr sind. Sie erzählen von einer Zeit, in der die Hexen als weise Frauen galten, die besonders waren, ohne dass ihre geheimnisvolle Besonderheit ihnen zum Verhängnis wurde. Sie erzählen von helfenden, heilenden Hexen. Von mütterlichen Ratgeberinnen und kundigen Kräutersammlerinnen. Von klugen, selbstbewussten, starken und schönen Frauen. Sie lassen uns wissen, was Hexen wirklich sind: Lüge. Möglichkeit. Größe. Mär. Und Wahrheit.

Lilith verschwand aus dem Paradies

Collier, John; Lilith; Atkinson Art Gallery Collection; http://www.artuk.org/artworks/lilith-65854

Am Anfang war Lilith. Adams erste Frau. Sie steht für die Geburt der einen großen Legende von Stolz und Leidenschaft, Angst und Hass, Unrecht und Strafe. Lilith war wunderschön. Zudem recht eigen, selbst bestimmend und willensstark. Ihrer Reize war sie sich bewusst, und sie verstand die Kunst der Verführung. Adam verzehrte sich nach ihr, gleichzeitig verfinsterte es sein Gemüt, dass sie ihn zu beherrschen schien. Lilith gehorchte ihm nicht, sie hatte ihren speziellen Kopf. Das durfte nicht sein, das brachte sein Weltbild durcheinander.

Adam war der Mann. Gottes Ebenbild, Krone der Schöpfung. Er sah sich als Non-plus-Ultra, die absolute Dominanz, und er versuchte mit Strenge, seine Frau um zu erziehen. Die aber pochte auf eine ebenbürtige Stellung. Er blieb stur, sie blieb stur. Und Gott sorgte und ärgerte sich. So geschah letztendlich das Unvermeidliche. Lilith verließ Adam. Sie verschwand aus dem Paradies, teils höchst freiwillig, teils wohl auch unter Druck, und Adam blieb allein zurück. Er litt. Und bat Gott jammernd, sie zurück zu holen.

Gott missfiel der Gedanke wohl, – immerhin war Lilith ein echter Störenfried, zudem die Unmoral in Person – , aber letztendlich schickte er, um diesen Mann, seinen ersten Menschen eben, nicht ewig klagen hören zu müssen, drei Engel auf die Suche nach Lilith los: Sanvi, Sansanvi und Semangelaf. Die stöberten Lilith zwar an der Küste des Roten Meeres auf, schafften es aber nicht, die Rebellin zur Rückkehr zu überreden. Lilith lachte sie nur aus. Sie war ausgesprochen zufrieden mit der Gesamtentwicklung, führte jetzt ein neues Leben, ihr ur-eigenes an der Seite des Dämonen „Dijinn“, der ihr als Mann gefiel und der sie liebte, wie sie war, ohne sie verbiegen oder brechen zu wollen. Mit ihm hatte sie unzählige Kinder, und es wurden immer mehr.

Blutsaugende Dämonin der Nacht

Zur Strafe für ihren lästerlichen Trotz und ihre Weigerung, sich klein und abhängig machen zu lassen, ließ Gott in Ungnade tausende von ihnen töten. Lilith, vor Schmerz und Zorn fast wahnsinnig, wurde daraufhin selbst zur Kindermörderin. Und ging nicht nur als „die Verruchte“,„Weib des Teufels“ und „blutsaugende Dämonin der Nacht“ in die Geschichte ein, sondern gleichwohl als Quell allen Übels, ergo die zentrale Verursacherin für die Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies. Sie war die Schlange, die ihrer Nachfolgerin an Adams Seite den verbotenen Apfel vom Baum der Erkenntnis schmackhaft machte. Und damit war alles besiegelt. Die Hexe hatte den Totalschaden angerichtet. Eine Frau. Natürlich.

Auf Bildern wird Lilith oft als atemberaubende Schönheit dargestellt, die von der Hüfte abwärts in Flammen steht als unverkennbare Symbolik für ihre erotische Ausstrahlung. Das Tier, das Lilith zugeordnet wird, ist die Eule. Sie gilt als Totenvogel, ist gleichsam Sinnbild für die Weisheit.

Lilith war eine clevere, emanzipierte, nach Freiheit drängende, gleichwohl leidenschaftliche Frau. Fürwahr auch gerissen und hart in ihrem Auftreten und ihren Entscheidungen. Ein Frauentyp, der alles andere als durchschnittlich ist und der immer schon misstrauisch, missgünstig und ängstlich machte. In der griechischen Mythologie sind es mächtige Frauen wie Medea, die Jason hilft auf der Suche nach dem Goldenen Vlies, und Circe, der Odysseus unter anfangs sehr fatalen Umständen begegnet, die zumindest streckenweise Liliths Wege gehen. Freilich nicht auf die von ihr vorgegebene, letztendlich sehr zornige, brutale und böse Weise. Hexen wie Circe und Medea beweisen sich primär durch ihr Können. Ihr Wissen. Durch ihre Magie. Nicht durch Vergeltung, Verderben und Vernichtung.

All die irgendwo irgendwann erwähnten und auch namenlosen Zauberinnen, Heilerinnen und Seherinnen vergangener Jahrhunderte in den unterschiedlichsten Kulturkreisen entsprechen so gar nicht dem Bild der allzeit bösen, hässlichen Hexe. Man liest über sie, dass sie respektiert, fürwahr geschätzt wurden, dass man ihre besonderen Fähigkeiten sehr wohl ehrbar honorierte. Die Frauen, an deren magische Begabung man glaubte und die man aufsuchte, um Rat und Hilfe zu bekommen, waren recht normale, wenn auch eben etwas andere Mitglieder der Gesellschaft. Sie lebten nebenan. Ihre Magie war Bestandteil der allgemein gültigen Religion. Sie waren keine Verdammten. Und sie hausten schon gar nicht abgeschottet im Wald, den Kopf über einen dampfenden Kessel gehalten, das Haar zottelig, die Haut voller Warzen.

Furcht und Jagd: Hexenhammer

Das alles ist ein großer, schwer wiegender Irrtum. Dem sogar eine griechische Göttin zum Opfer fiel: Hekate, Schutzherrin der Nacht und der Toten, ursprünglich „nur“ Hüterin der Wildnis und der Niederkunft und letztendlich Göttin der Hexen und Geister. Daran allein war und ist grundsätzlich nichts Verwerfliches.

Doch dann verstärkte sich der Glaube, dass, wer einen vor bösen Geistern beschützen könne, sehr wohl auch böse Geister schicken und für Unheil nebst Grauen sorgen würde…falls die Situation denn so wäre. Man begann, Hekate zu dämonisieren. Behauptete, ihre Fähigkeit, sich in einen schwarzen Hund zu verwandeln, hätten andere (irdische) Hexen dann sehr wahrscheinlich auch. Und fühlte sich durchaus bestätigt, als im 15. und 16. Jahrhundert, der Hochzeit der Hexenfurcht und Hexenjagd, überall, wo man hinsehen wollte, wahrhaftig Frauen gesichtet wurden, die sich in Tiere verwandelten. Das waren die Hexen, die nachts ihre Göttin anbeteten, Ernten vernichteten, Krankheiten schickten, Säuglinge fraßen und anschließend mit dem Teufel in Wolfsgestalt schliefen.

War das auch eine Lüge und nicht mehr und nicht weniger als eine einzige große Lüge, es war doch gültig. Geschichte geschrieben wurde in düsterer Ecke mit Blut.

Bereits 1316 spricht Papst Johannes XXII vom „Teufelspakt“ der Hexen und Häretiker und segnet damit meinungsbildend einen Wahnsinn, der in den folgenden Jahrzehnten immer höhere Wellen schlägt. Die perfekt organisierte und zugleich im höchsten Maß willkürliche Hexenverfolgung.

Es scheint eine andere Welt gewesen zu sein, als Karl der Große ehemals allen mit der Todesstrafe drohte, die auf die absurde Idee kämen, Hexen müssten eingefangen werden und auf dem Scheiterhaufen landen. Diesen fanatischen Jägern wird im Mittelalter ein Freibrief von Gottes vermeintlichen Gnaden erstellt. Der Hexenhammer wird ein Bestseller. Es brennt in Europa.

Karin Reddemann

Karin Reddemann

Karin Reddemann, Jahrgang 1963, Studium Germanistik/Romanistik, Journalistin und Autorin; von 2015 - 2018 Redakteurin im Phantastikon-Magazin; Mitarbeiterin beim Online-Magazinn Fantasyguide; Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien, Buch Gottes kalte Gabe, Dr. Ronald-Henss-Verlag Saarbrücken (auch e-books).

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