Als die Hexenjäger im 17. Jahrhundert durch Europa zogen, warf die Macht dieser finsteren Männer bedrohliche Schatten voraus. Die Menschen versteckten sich hinter ihrer Religion, betonten ihre Gottesfurcht, verklärten ihre Vernunft und lebten ganz selbstverständlich mit ihrer Angst vor dem Teufel. Vor den strengen Agenten der Inquisition, beauftragt von Staat und Kirche, hatte die Bevölkerung kompromisslos Respekt. Wie auch sonst sollte sie damit umgehen? Alternativ war da nichts.
Der gewisse Blick
Die Hexenjäger, so wurde es ihnen eingebläut, kämen aus ordentlichem Grund: Sie würden das Richtige tun für Seelenheil, Erlösung und Reinigung ihrer Gemeinde. Wenn nötig, einige von ihnen ins Wasser werfen, strecken, auspeitschen, hängen oder brennen lassen. Verdientes Schicksal nach dem Wort des Herrn, sei es noch so furchtbar, so bleibe es gerecht und wahr. Eben. Hauptsache, – und gedankt sei Gott nebst dem argwöhnischen Nachbarn oder dem eigenen Ehepartner, dem nicht eingefallen war, einen besser mal anzuschwärzen – , man fiel nicht selbst durch das Netz. Das freilich passierte schneller, als so mancher erklären, handeln, kalkulieren und letztendlich beten konnte. Die Hexenjäger hatten diesen gewissen Blick. Man sagte, sie hätten Wissen und Gabe, Hexen identifizieren zu können. Wie auch immer, das musste niemand verstehen. Nur sich davor fürchten. Das mussten eigentlich alle. Die Männer. Und die Frauen sowieso.
Die Hexenjäger kamen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten, waren ungeacht der eigenen Bildung und Kompetenz selbst ernannte Profis und traten in den seltensten Fällen unangekündigt und ohne einen konkreten Auftrag in der Tasche in Erscheinung. Sie waren aber bekannt dafür, dass sie, wenn sie denn schon mal vor Ort waren, richtig „aufräumten“. Da wurde dann nicht nur der angebliche Scherge düsterster Mächte, den man im Visier hatte, ins Verhör genommen und auf die Folterbank gebracht, sondern gleich dabei Mutter, Schwester und die eine oder andere Zufallsbekanntschaft des Unglücklichen, die zur falschen Zeit am falschen Ort mit der falschen Person gesehen, beobachtet und für verräterisch hexenhaft befunden wurde.
Richtig aufräumen
Manchmal genügte eine unbedacht geäußerte Formulierung oder eine bestimmte Geste in einer eh schon recht verfahrenen Situation, und schon befand man sich im blutigen und vor allem unfairen Kreuzverhör. Die Anweisungen erfolgten durch den Hexenjäger als Bevollmächtigter, wobei es ausreichnend Jäger gab, die gar nicht offiziell befugt waren als Ankläger der Inquisition und denen es oft nur darum ging, gut betuchte Leute der Hexerei zu überführen, um an ihren Besitz zu kommen. Diese staatlich nicht autorisierten Männer suhlten sich gern in ihrer Macht und überschritten Kompetenzen und menschliche Grenzen auf sehr gnadenlose, egozentrische und, – für uns vor allem -, abartig entsetzliche Art, waren bei ihrem Vorgehen höchst erfolgreich, befanden sich aber stets mit einem Fuß im Kerker. Und auf dem Scheiterhaufen. Denn dort konnten sie auch selbst landen, wenn sie es klar zu eigenmächtig bunt trieben. Ein prominter Vertreter der sadistischen, eigennützigen Hochstapler war Matthew Hopkins, der „Witchfinder General“, der sich zur Zeit des englischen Bürgerkriegs um 1645 gemeinsam mit John Stearne besessen auf die Säuberung des Landes von Hexen stürzte. Dabei sei er selbst ein Hexer (gewesen), wurde gemunkelt.
Menschen, die beschuldigt wurden, mit dem Teufel im Bunde zu sein, unterzog der Hexenjäger gewissen Prüfungen: Darunter fielen die Wasserprobe, – tauchte die an Händen und Füßen gefesselt ins Wasser geworfene „Hexe“ nicht wieder an der Oberfläche auf, war sie unschuldig – ,
und das Stechen in Körpermale nebst Kratzen der Haut. Blutete es nicht, war die Person auf jeden Fall eine Hexe. Auch dann, wenn die Augen eine bestimmte Färbung aufwiesen, – die nur der Hexenjäger erkannte – , oder die Haare nicht geschnitten werden konnten. Natürlich einfach, da nachzuhelfen, dass es so wirkte, als ob.
Diejenigen, die angeklagt wurden, pochten natürlich auf ihre Unschuld, vehement, verzweifelt, ängstlich. Denn es reichte ja nicht, nützte wenig. Sie wurden grausam gequält, um die „Wahrheit“ ans Licht zu bringen. So oder so.
Durchhaltevermögen, was diese Wahrheit betraf, erwies sich als schwierig, gar unmöglich, wenn eine bestialische Schmerzen zugefügt wurden, die Körper und Geist zu Wracks machten. Und wenn die Lüge über allem stand, die in jener Zeit so unproblematisch logisch erschien: Das Land war beherrscht von politischer und religiöser Unruhe, Skepsis, Unzufriedenheit und von fanatischem Eifer, das eigene Wollen und Sein bestimmen zu lassen, da passte es geradezu, Menschen zu jagen und zu eliminieren, die anders waren und im europäischen Weltbild störend wirkten.
Jene Höllenbrut
So wirklich gefährlich, wirklich dämonisch und wirklich schuldig, – für was in welchem (Un-)Sinne? – , war wohl niemand, der letztendlich von einem Hexenjäger als Höllenbrut gebrandmarkt und bei lebendigem Leib den Flammen übergeben wurde, aber es erfüllte alles seinen Zweck. Kirche und Staat machten sauber. Das Volk musste mit putzen. Viele zitterten dabei, andere nickten. Einige fluchten. Aber möglichst leise. Unauffälligkeit und absolute Anpassung waren oberstes Gebot, wenn man verhindern wollte, dass der Hexenjäger vor der Tür steht.
Als auffällige Personen galten im 17. Jahrhundert plus minus der einschlägigen Jahrzehnte grundsätzlich alle mit einem merkwürdigen Erscheinungsbild. Wer optisch nicht der Norm entsprach, – zu hässlich, zu schön, zu entstellt, zu wie auch immer – , erweckte Argwohn. Dazu gehörten auch Leute, die „nachweislich“ Selbstgespräche führten, selten in die Kirche gingen oder nachts Spaziergänge machten, die geschwätzig, vulgär oder streitbar waren und die schlichweg recht freimütig einen starken Willen bewiesen. Das wurde so gar nicht geschätzt, und bei Frauen war es ganz und gar unangemessen. Teuflisch unangemessen. Witwen mit Katzen erweckten immer Misstrauen, und waren sie zudem schon recht betagt, konnte ihr hohes Alter als Hexenwerk durchgehen. War die Witwe jung und hübsch, musste sie aufpassen, mit wem sie sich abgab: Unmoralisches Reden und Treiben wurden schnell unterstellt, und sexuelle Freizügigkeit war nichts, was Gott gefallen dürfte. Querulantentum auch nicht. Meinte man.
Die organisierte und autorisierte Hexenjagd speziell im 17. Jahrhundert war eine absolute Todeshatz. Im Gefolge der Ketzerprozesse wurden Menschen, in der Hauptsache Frauen, letztendlich nicht nur magische Fähigkeiten, sondern gleichsam die Versündigung gegen die Christenheit vorgeworfen. Sprich: Sie wichen (für das damalige Verständnis) glasklar von der gültigen Kirchenlehre ab und waren für ihre ketzerische Natur anzuklagen und zu verurteilen.
60.000 Menschen
Bis Mitte des 18. Jahrhunderts zählt man, – soweit man konkret nachverfolgen kann – , etwa 25.000 Menschen, die auf deutschem Boden hingerichtet wurden. In ganz Europa waren es vielleicht an die 60.000. Nicht alle sind lebendig auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden, – auf deutschem Boden allerdings bevorzugt – , etliche wurden auch gehängt (England) oder stranguliert, bevor sie ins Feuer kamen (Schottland). Und nicht immer wurde ein Todesurteil verhängt: Manchmal kam es „nur“ zur Auspeitschung oder zur Verbannung. Was freilich seltener der Fall war.
Namentlich bekannte Hexenjäger wie Regierungsrat Matern Eschbach, der „Ausmerzer von Baden-Baden“, kannten als Lösung des gegenwärtigen Problems nur Qual und Exekution: Eschbach ließ in der Zeit von 1627 bis 1631 mindestens 200 Menschen unbarmherzig foltern und hinrichten. Charles Van der Camere, der von 1610 bis 1619 in den Spanischen Niederlanden als Jäger agierte, ließ 150 Menschen, darunter auch Kinder, grausam wegen Hexerei sterben und rühmte sich ob seiner „Heldentaten“. 2.000 Männer und Frauen wurden von 1608 bis 1614 im Baskenland von Hexenjägern ohne wirkliche Legitimation verfolgt, verhört und gefoltert. Etliche von ihnen wurden hingerichtet, bis sich schließlich die Inquisition einschaltete und dem willkürlichen Terror den Riegel vorschob.
Alte Geschichten
Wie entsetzlich und trotzdem wahrhaftig solche „Ausmerzer“ überhaupt getickt haben muss, können wir ganz schlecht mental einordnen, ohne uns im Gruselkabinett zu wähnen.
Wir können uns alte Filme ansehen wie „Der Hexenjäger“ mit Vincent Price als „Witchfinder“ (Matthew Hopkins). Oder „Der Hexentöter von Blackmoor“ mit Ur-Dracula Christopher Lee in der Rolle des berüchtigten Lordrichters George Jeffrey, dessen Blutspur sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts durch das gesamte englische Königreich gezogen hat.
Aber das wäre ohne Belang.
Wir können uns auch alte Geschichten anhören. Mein Großvater erzählte mir, – da war ich noch ein kleines Mädchen – , dass in meiner Heimatstadt erstaunlich viele Hexenprozesse stattgefunden haben. Er kannte auch die Hinrichtungsstätte, den Segensberg in Recklinghausen Hochlar, auf dem heute in den Mai getanzt wird. Im Vest Recklinghausen sind laut Überlieferung über 130 Menschen wegen Hexerei angeklagt, grausam gefoltert und getötet worden. In Dortmund waren es 26. In Essen 13. Recklinghausen weist die höchste Zahl der Hexenverfolgungen im engen westfälischen Raum auf.
Das wäre dann mit Belang. Irgendwie. Und mehr als irgendwie:
Die letzte auf dem Segensberg hingerichtete Hexe hieß Anna Spickermann.
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