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Raimis böse Hand und was aus ihr wurde

Der Koch-Horror-Kurztrip „Attack of the Helping Hand“ war kein Meilenstein in der Filmgeschichte. Kennt vermutlich auch kaum jemand. Ist aber eine spannende Sache, weil der sechsminütige Schauerstreifen als Erstlingswerk von Sam Raimi gilt. Der nun ist Schöpfer der legendären Evil-Dead-Trilogie und längst schon ein weltberühmter Filmemacher. Hat ergo recht bescheiden klein angefangen und wurde ziemlich schnell ziemlich groß. So kann’s gehen. Knapp zwanzig war Samuel Marshall Raimi, Literaturstudent aus Franklin in Michigan, als er gemeinsam mit seinem „Blutsbruder“ Bruce Lorne Campbell, dem Ash zu späterer Stunde, seinen Kurzfilm über eine mörderische Hand drehte.

In der Küche ging der Horror los

Helping Hand
Helping Hand

Wir schreiben 1979, Schauplatz Küche, Hauptdarsteller eine ahnungslose Hausfrau, die scheinheilige „Helping Hand“ und ein trotteliger Milchmann, gespielt von Raimi persönlich. Die „helfende Hand“, als freundliches Werbebild auf einer Fast-Food-Packung bekannt, wird lebendig und vor allem böse, greift die Frau an und will ihr an die Gurgel gehen. Sie wehrt sich panisch, kämpft mit der Hand und haut versehentlich den Milchmann um, der plötzlich in der Küche auftaucht. Der Milchmann verkennt komplett die Lage, bis ein Messer in seinem Rücken steckt. Die Frau kümmert das nur bedingt, sie will mit allen Mitteln die Hand loswerden. Klappt mit einem Mixer. Beschwingt holt sie sich eine neue Fast-Food-Schachtel, da grinst sie ein Marchmallow-Männchen auf dem Küchentisch an, sagt was und…

Fortsetzung folgt nicht. Ende.

Was für eine Geschichte! Die gute Nachricht : Der Film ist nicht verschollen, konnte wieder ausgebuddelt werden und ist auf youtube zu sichten. Braucht man nicht zu gucken, ist aber irgendwie ein durchaus fieser Spaß, grotesk köstlich zudem, da man weiß, welch Riesentyp damals schon auf seinen makabren Humor im Horror-Szenario gesetzt hat.

Sam Raimi schmiss kurz darauf sein Studium, er wollte richtige Filme drehen. Für seine konservativ jüdischen Eltern, Vater Leonard ein bodenständiger Kaufmann, Mutter Celia Hausfrau und Fünffach-Mutter, ging das in Ordnung. Sohn Sam hatte erkennbares Talent, er hatte diese gewisse und ganz spezielle Leidenschaft, und das genügte denn wohl, um ihn machen zu lassen.

Er machte. Wusste irgendwie wohl schon als 20jähriger, wohin sein Weg ihn führen würde. Ich wusste mit zwanzig, welcher Hintern optimal in welche Jeans passt und wo es die beste Pizza gibt. So ungefähr. Und die Ruhr-Uni lag schön zentral. Deutlich zentraler als der Hollywood-Olymp. Und nüchtern betrachtet auch deutlich erdverbundener.

Jetzt könnte man leicht neidisch werden, kurzer Vergleich, dann barmherziger Schnitt:

Als Sam Raimi dreiundzwanzig war, drehte er in Morriston, Tennessee, „Tanz der Teufel“. Ich in diesem erfrischenden Alter beschäftigte mich mit Gotisch und Mittelhochdeutsch bei Frau Professor Ulla Föcking an der Ruhr-Uni-Bochum. Frage jetzt bitte niemand, ob das eine gescheite Alternative war.

Hütte
Die berühmte Hütte aus „Tanz der Teufel“; (c) Prokino

Makaber, geschmacklos, blutig: Kult!

Mit achtundzwanzig hatte Raimi die Fortsetzung von „Tanz der Teufel“ im Kasten und brachte sie auf die große Leinwand der ganzen großen Welt. Ich saß mit achtundzwanzig in der hiesigen Lokal-Redaktion, machte drei Spalten-fünfzig mit dem Schützenfest voll und hatte einen eigenen Kaffeebecher. Raimi hatte bereits die „Armee der Finsternis“ im Kopf, den er in Cannes bei den Filmfestspielen stolz in die Kameras hielt, und Cinema resümierte: „Makaber, geschmacklos, blutig: Das ist Kult.“

Das sahen wir genauso. Fast. Denn Kult war das noch nicht, eher ein Muss. Musste man gucken. Und natürlich guckten wir Raimis Krachergrusel-Trilogie. The Evil Dead. Fanden das furchtbar gut und herrlich schrecklich, grandios gedacht und gemacht und liebten es, wenn das Lachen in der Kehle stecken blieb. Dass die Filme genau wie unsere 70er- und 80er-Jahre-Songs später, heute und morgen als ein ganz spezielles Stück Zeitgeschichte gewertet werden, geprägt von einem besonderen Stil, einer typischen Mode, einem bestimmten Lebensgefühl, hätten wir so nicht geahnt.

Sam Raimi ist also geworden, was und wer er werden wollte: Einer, der gewaltiges Kino macht. Dabei ist er mit kaum was in der Tasche, geschweige denn auf dem Konto angefangen. Raimi brauchte Sponsoren für sein erstes echtes Filmprojekt. Ein Horrorschocker wie Romeros Nacht der lebenden Toten schwebte ihm vor. Ergo drehte er zwecks Eigenwerbung den 32-minütigen Grusel-Kurzfilm „Within the woods“, der ihm Kapital von interessierten Investoren, günstigenfalls auch von der eigenen Familie verschaffen sollte.

Casting in Raimis Studentenbude

„Within the woods“ war ein inhaltlicher Vorgeschmack auf „Evil Dead“, bereits mit Campbell in der Hauptrolle, aber nicht als zäher Bursche Ash, sondern als vom Dämon besessener Bruce, der mit der Axt gejagt wird. Raimis Eltern und der Onkel klopften Sam für seine großartige Idee wohlwollend auf die Schultern, Geld wollten sie da aber nicht rein stecken. So total überzeugt davon, dass Sam den idealen Lebensplan hatte, waren sie nun auch wieder nicht. Raimi bekam zu guter Letzt die Summe von 85.000 Dollar zusammen. Die Finanzierung stand mehr oder weniger, eher weniger, aber sie stand. Gut war. Das Casting für „Evil Dead“, – der ursprüngliche Wunschtitel „Book of the Deads“ wurde dann doch wieder verworfen – , fand in Raimis Studentenbude statt, und diese recht unkonventionelle Örtlichkeit gab Grund für eine gewisse Skepsis. Vielleicht sollte tatsächlich einschleimend und auf billige Art ein Snuff-Film gedreht werden, wusste man ja so nicht. Zum eigenen Schutz vor krassen Missverständnissen brachten die Mädels ihre Freunde als Bodyguards mit. Unnötig, wie das Resultat beweist.

Zu den Dreharbeiten für „Evil Dead“/“Tanz der Teufel“, eben das Original, fuhr Raimi mit seiner Crew, zu der auch sein um zwei Jahre älterer Bruder Ivan und Ted, der jüngste der Brüder, gehörten, zu einer einer einsam gelegenen Hütte in Morriston im zum Jahresende hin lausig kalten US-Bundesstaat Tennessee, weil es dort eine kleine finanzielle Förderung über eine Film Commission gab.

Sie träumten, tanzten und tickten gleich

Um zu veranschaulichen, wie lausig kalt es in der Hütte ohne Strom, Toiletten und fließend Wasser, aber immerhin mit Kamin, wahrhaftig gewesen ist, erwähnten Raimi und Bruce „Ash“ Campbell später gern das gefrorene Kunstblut auf den Körpern der Schauspieler. Das passte.

Campbell, Raimi
Bruce Campbell und Sam Raimi bei der Besprechung einer Szene in „Tanz der Teufel 2 – Jetzt wird noch mehr getanzt“; (c) Prokino

Es war ein zwölfwöchiger Dreh mit mehrtägiger Pause über Weihnachten und Neujahr. Der harte Kern fuhr nicht nach Hause, der blieb in der heruntergekommenen Hütte, die bekanntlich zur absoluten Schauer-Berühmtheit werden sollte, und feierte dort Silvester. Mit Böllern, Schampus und der Vorahnung, dass ein besonderes Jahr begrüßt wurde, eines, das alles verändern, alles unmöglich Scheinende möglich machen würde. Zum harten Kern gehörte neben den Raimi-Brüdern und Produzent Robert Tapect natürlich auch Bruce „Ash“ Campbell, bester Buddy von Kindesbeinen an, mit Sam Raimi gemeinsam aufgewachsen in Royal Oak, Michigan, einer, der genauso träumte, tanzte und tickte wie er.

Dieses wunderbar wahnsinnige Ticken zahlte sich aus. Raimis Low-Budget-Horrorfilm, uraufgeführt in Cannes, mit seinen legendären Kamera-Loopings und der heiß umstrittenen Gewaltdarstellung mit all ihrem schädlichen Einfluss auf uns (damals herrlich jung, gewünscht wild und relativ unbedarft), nicht zu vergessen mit diesem Wahnsinns-Typ Ash als Held wider Willen und diesem Buch, eben genau jenem, exakt dem Necronomicum, war ein echter Knaller am Gruselfilm-Firmament.

Fünf Jahre später folgte „Tanz der Teufel II“. Man befand sich altersmäßig immer noch in den fabelhaften Zwanzigern, man war stolz auf Erreichtes hungrig auf noch viel mehr, ein großes Stück erfahrener, mit Dampf kreativ und, ganz wichtig, es war deutlich mehr Geld vorhanden. Irgendwo zu schnorren brauchte Raimi jetzt so nun wirklich nicht. Dementsprechend war der zweite Teil mit dreieinhalb Millionen Dollar im Kasten. „Armee der Finsternis“ (1992) schluckte in lockerem Rutsch elf Millionen Dollar. Genug, um sich, wie gewünscht, effektiv auszutoben.

Dazu gehörte eben auch und vor allem Raimis Faible für die „lebendige Hand“ als böser Täter. Wir schwenken gedanklich zurück ins Jahr 1979 in eine Küche, Raimi war zwanzig, die „Helping Hand“ griff eine unbescholtene Hausfrau an. Zehn Jahre später, „Evil Dead II“, kommt eine Hand mit boshaftem Eigenleben wieder ins Spiel. Das ist nur recht und billig und verdammt gut eingebaut, weil eh‘ die Kettensäge für den selbstironischen Slapstick-Schauer „Armee der Finsternis“ (1992) ihre Rechtfertigung braucht.

Jetzt etwas aus dem Zusammenhang gerissen trägt es sich wie folgt zu: Ash in nackter Not köpft die vom Dämon besessene Linda. Der abgetrennte Kopf beißt in seine rechte Hand, woraufhin die eine ernstzunehmende Mordlust auf ihren Besitzer entwickelt. Um sich vor den Attacken seiner eigenen Hand zu schützen, trennt Ash sie mit genannter Kettensäge ab, die später ganz großartig Sinn und Zweck erfüllen wird. Die abgetrennte Hand flüchtet in ein Rattenloch in der Hütte, Ash, grotesk verzerrt grinsend mit malerischen Blutspritzern im Gesicht, knallt sie mit der Schrotflinte ab und brüllt: „Wer lacht jetzt?“

Wir? Wir!

Genial gemeistert und Bingo.

Und wer lacht jetzt? Wir!

Der große Rest ist gute Geschichte: Für Sam Raimi gingen nach „Evil Dead“ die Lichter am Broadway an. Und er zeigte sich vielfältig: Zwar kam 1995 sein erster und einziger Western, „Schneller als der Tod“, mit durchaus illustrer Starbesetzung, – Sharon Stone, Gene Hackman, Russel Crowe und der junge Leonardi Di Caprio -, nicht so extrem begeisternd an wie von ihm erhofft, aber seinem Thriller „Ein einfacher Plan“ brachten Publikum und Kritik gleichsam drei Jahre später mehr als nur Wohlwollen entgegen. Den Western drehte Raimi übrigens zwei Jahre nach seiner Hochzeit mit Gillian Dania Greene (fünf gemeinsame Kinder), der Tochter von Schauspieler Lorne Greene, dem legendären Bonanza-Boss Ben Cartwright. Bonanza ist eine der populärsten US-amerikanischen Fernsehserien der 1960er Jahre, spielt im Wilden Westen der 1860er Jahre und besteht aus sage und schreibe 431 Folgen. Nur mal angenommen, Raimi hatte die Idee für „The Quick and the Dead“ (Originaltitel), weil sein verstorbener Schwiegervater eine wahre Wester-Ikone war. So was kommt in Familien vor und wäre auch gut so. Man kann aber auch annehmen, dass Raimi unbedingt eine Italo-Verneigung drehen wollte wie sein großer Kollege Tarantino 2012 mit „Django Unchained“. So oder so, gut bleibt’s und will und sollte auch gemacht werden.

Fünfundvierzig Karrierejahre hat Sam Raimi bis dato hinter sich, steht als Regisseur für etliche namhafte Filme wie die weltweit geliebte, gelobte Spiderman– Trilogie (ab 2002) mit Tobey Maguire als „Best-forever-Spider“, „Drag me to Hell“ (2013 und „Doctor Strange in the Multiverse of Madness“ (2022). Zusätzlich hat Raimi als Produzent TV-Knaller-Projekte wie „Xena – Die Kriegerprinzessin“(1995 – 2001) mit Bruder Ted als Tollpatsch Joker und den grandios düsteren Vampirfilm „30 Days of Night“ (2007) inszeniert.

Raimis neuester Schrei: Send Help!

Zur Zeit arbeitet Sam Raimi an einem neuen Horrorfilm mit dem Titel „Send Help“, einem geplanten Mix aus so in etwa „Misery“ und „Cast Away“. Klingt schon mal sauber. Der Film wird von 20th Century Studios produziert und markiert Raimis Rückkehr zum Horror-Genre.

Vielleicht mit dabei: „Buddy“ Bruce Campbell.

Vermutlich nicht in kleiner, feiner, fieser Rolle vertreten: Saimis besagte Hand. Muss auch nicht sein. Was jetzt noch sein muss, ist dieses doch recht berühmte Spiderman-Zitat. Da steckt ganz viel Raimi drin. Einer, der zurück blickt. Der träumt, tief durchatmet und weiter marschiert:

Jeder liebt einen Helden. Die Leute stellen sich für sie an, jubeln ihnen zu, schreien ihre Namen. Und Jahre später erzählen sie, wie sie stundenlang im Regen gestanden haben, nur um einen Blick auf denjenigen zu erhaschen, der ihnen das Durchhalten beigebracht hat. Ich glaube, in jedem von uns steckt ein Held, der uns ehrlich hält, uns Kraft gibt, uns edel macht und uns schließlich mit Stolz sterben lässt, auch wenn wir manchmal standhaft bleiben und das aufgeben müssen, was wir am meisten wollen . Sogar unsere Träume.“


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