Nachtkurier

Die Weiße Frau

Im vertrauten Flüsterton sprechen wir über Frauen. Jene Frauen, die sich in weißen Kleidern irgendwo in Burgruinen, Altbauwohnungen, verwitterten Parkanlagen, Spiegeln und Bildern, auf Türmen, Brücken, Highways und vergilbten Schreckfotos, an dunklen Flüssen und bröckelnden Mauern zeigen. Wir sollen sie sehen. Ihr Leid und ihre Wut verstehen. Angst vor ihnen haben. Sie sind zornig. Verzweifelt. Und, das sei nicht vergessen: Sehr wohl mordlustig.

Oft sind die Frauen betrogene, bösartige tote Bräute oder wahnsinnig gewordene tote Mütter, die ihre Kinder umgebracht haben. Sie sind finster, quälen sich, finden keine Ruhe, gieren nach Vergeltung, sind das personifizierte Entsetzen und fordern Respekt von den Lebenden vor ihrem eigenen unheilvollen Schicksal. Durchaus können sie auch just ihrem Grab Entstiegene in ihren Leichenhemden sein, die anderweitig noch eine Rechnung zu begleichen haben.

Sie sind Todesboten. Wer die weiße Frau erblickt, sieht das Ende. Nicht zwingend das eigene bevorstehende Ableben. Mag sein, das eines lieben Verwandten, eines geschätzten Freundes. Vor allem aber sind weiße Frauen Killer. Wenn sie es auf einen selbst abgesehen haben, gibt es kaum eine Chance. Sie töten ungnädig. Kompromisslos. Eiskalt. Grundsätzlich ähnlich rachedurstig, – und das nun will für die wachsamen Cineasten vermerkt sein, die bei so was vielleicht ganz automatisch an weiße, von Blut durchtränkte Kleider denken müssen – , wie es Carrie und Tarantinos Beatrix (Kill Bill) im gesondert krassen Stil sind. Weiße Frauen im hier gewünscht Speziellen sind sie natürlich nicht.

Schön mit Irrsinn im Blick

Schön sind sie. Aber auf verfluchte Art trügerisch schön. Tatsächlich sind es die schlimmsten Fratzen, die einen plötzlich mit Irrsinn im flackernden Blick anstarren. Sie sind bedrohlich, uneinsichtig, zudem gefährlich und haben düsterstes Gedankengut im Kopf.

Ergo sollte man sie tunlichst meiden und, sofern das partout nicht gelingt, eine mit Steinsalz gefüllte Schrotflinte bei sich tragen. Wenn man ihre Gräber aufsucht, die Särge öffnet, die Gebeine salzt und anschließend verbrennt, begibt man sich auf die sicherste Fährte. Das klingt unangenehm gruselig, ist aber die übliche Verfahrensweise bei unliebsamen Geistern, die technisch auch bei den Frauen in Weiß funktionieren dürfte.

Nun ist bekannt, dass Horrorgestalten wie Freddy, Michael, Jason, der Babadook , nicht zu vergessen (natürlich!) Dracula, und eben vor allem auch auch die klassischen Gespenster stur sein können und einfach dreist trotzdem wiederkommen, egal, was man an hoffnungsvollem Zauber anstellt. Und da ist es, – ungeachtet aller Furcht und Pein – , doch recht beruhigend, zu hören, dass die Weiße Frau es im Ernstfall nur auf untreue Männer abgesehen hat. Die werden nicht gewarnt, denen wird gezielt aufgelauert, und verstecken oder flüchten nützt da gar nichts: Sie wittert alles.

Über La Llorona (die Weinende), eine einstmals wunderschöne Frau, kursieren in Lateinamerika etliche alte Geschichten. La Llorona ertränkt in Rage ihre Kinder, weil ihr, Mann sie für eine Geliebte verlassen hat. Als ihr klar wird, was sie getan hat, begeht sie Selbstmord und weint fortan als Geisterfrau in Weiß um ihre toten Kinder. In anderen Versionen wird geraten, die Llorona zu meiden, weil sie Wanderer hypnotisiere, um mit ihnen die Nacht zu verbringen. Und um sie anschließend zu töten. Es wird auch gesagt, dass sie Männer aus ihren Betten hole, um sie zu entführen, und dass sie Kinderseelen raube, um diese vor Gott als die ihrer eigenen umgebrachten Kinder auszugeben. Und dass sie bedauernswerte Menschen, die zufällig zu später Stunde ihren Weg kreuzen, aus dem gleichen Grund im Fluss ertrinken lassen würde: Um die Seelen zu missbrauchen.

La Llorona

Von La Llorona erzählt man sich auch im Süden Mexikos. Sie sei eine Prostituierte gewesen, die ihre Kinder abgetrieben und die Leichen in den Tecpan geworfen habe. Nachdem sie gestorben war, verlangte Gott von ihr, ihm all ihre toten Kinder zu bringen. Seine Engel hüllten sie in ein weißes Kleid und schickten sie auf die Suche. Seitdem streift sie weinend an den Flüssen der Erde umher.

Obacht vor der Weinenden

In Honduras ist La Llorona eine auffallend hübsche, von ihrem Mann sitzengelassene Frau, die sich in ein furchtbar hässliches uraltes Weib verwandelt, wenn jemand ihr, geblendet von falscher Schönheit, näher kommt. Auch sie, genannt „La Sucia“ (die Schmutzige), weint um ihre ertränkten Kinder. Aber sie treibt auch Männer, die ihr in die Hände fallen, in die geistige Umnachtung. Es gibt kein Entkommen, wenn sie einen packt und krächzt:

Toma mi teta, que soy tu nana.“ (Fass meine Brüste an, ich bin dein Kindermädchen).

Diese Basis allen Schreckens als Grundmotiv, – eine Frau tötet ihre Kinder, weil der Mann sie betrogen, verlassen, belogen, verschmäht oder im Stich gelassen hat, bringt sich selbst um, findet (natürlich!) keine Ruhe und kehrt zurück, von Rastlosigkeit, Reue, Rache und Sündenwahn getrieben – , ist tatsächlich in Anlehnung an die Legenden um La Llorona Thema der überhaupt allerersten Folge der US-amerikanischen Mystery-Serie Supernatural (Die Frau in Weiß, 2005):

Eine junge Frau kommt nicht damit klar, dass ihr Mann sie verlassen hat, und ertränkt in ihrem Wahn die gemeinsamen Kinder in der Badewanne. Am Highway bringt sie sich um und lockt fortan als weißgekleidete Geisterfrau Männer ins Verderben, indem sie als vermeintliche Anhalterin nachts einsam am Straßenrand steht. Wer anhält und sie einsteigen lässt, stirbt einen grausamen Tod. Die Dämonenjäger Dean und Sam erledigen sie letztendlich mit einem gezielten Schuss, – Munition in solchen Fällen: stets Steinsalz, wohlgemerkt – , und mit der Hilfe der toten Kinder, die ihre Mutter ins Jenseits zerren. Zurück bleibt eine riesige Pfütze.

Hier haben Profis die Sache richtig erledigt. Für Amateure gilt, die Geisterfrauen nicht unnötig wütend zu machen, sonst zeigen sie sich in abscheulicher Gestalt mit krallenähnlichen Händen. Zudem sind sie, wie alle Geister, extrem stark und schnell, können sich unsichtbar machen und Telekinese anwenden.

Voller Gram: Todesbotin Kunigunde

Die weiße Frau hat Geschichte(n) gemacht, fürwahr guter und globaler Stoff: Kein Wunder, dass sie optisch und inhaltlich auch europäischer Düster-Folklore beschwörend gefällt. Besonders berühmt ist die Ureigene der Hohenzollern, die gebeutelte, gequälte, gleichwohl absolut unselige Kunigunde von Orlamünde, die auf der Plassenburgburg in Oberfranken durch die Gänge geistert.

Ferdinand Freiligrath (1810 – 1876) widmete ihr 18844 ein Gedicht. Da heißt es unheilvoll:

Man sagt, es läßt die weiße Frau
Sich hier und dorten wieder sehen;
Durch mehr als einen Fürstenbau
Mit fahlem Antlitz soll sie gehen.
In weißer Robe, weiß verbrämt,
Tritt sie aus Wänden und aus Bildern;
Dastehn die Wachen wie gelähmt,
Die in den Korridoren schildern.(…)

Und tatsächlich war es so: Die Witwe Kunigunde, Mutter von zwei kleinen Kindern, war verliebt in Albrecht den Schönen. Der erklärte, einer Verbindung stünden wohl einzig zwei Paar Augen im Wege. Damit meinte er die des Nürnberger Burggrafen nebst Gemahlin, ihres Zeichen seine unwilligen Eltern. Kunigunde freilich ging davon aus, dass es ihre Tochter und ihr Sohn aus ihrer Ehe mit dem verstorbenen Graf Otto seien, die den Geliebten störten. Und anstatt sich aufgrund dieser vermeintlichen Ablehnung ihrer Kinder von Albrecht zu lösen, brachte Kunigunde sie um, indem sie ihnen mit einer dicken Nadel in die Köpfe stach. Albrecht, entsetzt über diese Greueltat, wandte sich von ihr ab. Kunigunde ging ins Kloster. Allein, da halfen Beten, Buße und Bereuen nichts, sie wurde nach ihrem Ableben zum herum wandelnden Geist mit unfriedlicher Seele. Es galt und gilt: Wem sie erscheint, der stirbt in kürzester Zeit. Oder wird auf diesem Weg über das drohende Anstehen einer familiären Katastrophe unterrichtet.

(…)Wem gilt ihr abermalig Nahn
Rings in den Reichen und Provinzen?
Sagt sie, wie sonst, ein Sterben an?
Tod eines Fürsten oder Prinzen?
Es könnte sein – ich weiß es nicht!
Die Rede geht: ein tiefrer Jammer
Treibt sie hervor ans Tageslicht
Aus ihrer dunst’gen Totenkammer!(…)

Napoleons Angstnacht im Schloss

Die Frau in Weiß, die White Lady, Dame Blanche, spukt seit dem 15. Jahrhundert in etlichen Schlössern europäischer Adelsfamilien. Nicht immer als Mörderin und Selbstmörderin. Auch als Ermordete, gar Hingerichtete, meist als vom Schicksal Gebrandmarkte, arme, verzweifelte, – und des öfteren – , auch dunkle, manchmal böse Seele. Die Wundergläubigkeit im 17. Jahrhundert ließ sie wie Wappen und Herkunftssagen zu einer Art Standesattribut werden. Die Prominenz der Weißen Frau der Hohenzollern machte ergo nicht nur ängstlich, sondern so manches Geist-lose Blaublut auch neidisch:

(…)Die Toten weckt es in der Gruft –
Herr Gott, und die Lebend’gen schlafen!
Abschüttl‘ ich Staub und Moderduft:
Ich möchte wecken, warnen, strafen!
Ich hab‘ nicht Rast, ich hab‘ nicht Ruh‘ –
Eil‘, o mein Stamm, dich zu erheben!
Der Mund des Todes ruft dir zu:
Erfasse frisch und kühn das Leben!(…)

Wundersam Schauriges steht geschrieben: Napoleon Bonaparte leibhaftig verbrachte mit Kunigundes Geist am 14. Mai 1812 in der Bayreuther Eremitage eine Schreckensnacht. Dort hing (laut Fontane, Effi Briest) ein…

…stark nachgedunkeltes Frauenporträt, kleiner Kopf, mit herben, etwas unheimlichen Gesichtszügen und einer Halskrause, die den Kopf zu tragen scheint.“

Das Bild der Hohenzollern-Kunigunde! Sie schritt aus dem Rahmen, auf Napoleons Bett zu, starrte ihn an, griff nach ihm…ja, warum bloß?

(…)Sie senkt das Haupt, sie ringt die Hand,
Als ob ein Ahnen dumpf sie quäle.
Durch zwiefach Schloß und Teppichwand
Huscht sie davon, die arme Seele.
In weißer Robe, weiß verbrämt,
Schwebt sie vorbei den Ahnenbildern;
Da stehn die Wachen wie gelähmt,
Die in den Korridoren schildern!(…)

Allemal, Napoleon schrie gellend nach seinem Adjudanten, verließ fluchtartig das Schlafgemach und sprach mit Entrüstung und Entsetzen bis an sein Lebensende vom„maudit château“.

Eine arme Seele in weißer Robe in einem verdammten Schloss. Wird wohl so gewesen sein. Passt.

Karin Reddemann

Karin Reddemann

Karin Reddemann, Jahrgang 1963, Studium Germanistik/Romanistik, Journalistin und Autorin; von 2015 - 2018 Redakteurin im Phantastikon-Magazin; Mitarbeiterin beim Online-Magazinn Fantasyguide; Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien, Buch Gottes kalte Gabe, Dr. Ronald-Henss-Verlag Saarbrücken (auch e-books).

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