Finstere Nacht. Nasser Asphalt. Nebelschwaden über der Themse. Kahler Kopf. Bleiches Gesicht. Weiße Augäpfel. Andy Gerber. Der blinde Jack. Mein erster schwarzer Mann, der im Traum im Keller lauert.
Die toten Augen von London haben bei mir, – seht mich mal als bezopfte Elfjährige -, tiefen Eindruck hinterlassen. Vor kurzem habe ich ein persönliches Exempel statuiert und mir den Gänsehaut-Klassiker von 1961 nochmals angesehen.
Hier spricht Edgar Wallace. Immer noch nicht verstaubt: Dieser Film. Immer wieder gut: Diese Stimme.
Hier spricht Edgar Wallace
Und dieser Gerber und seine Bande? Immer noch die personifizierten Angst-Schocker.
Fazit: Ich kann den Schauder des unschuldigen Kindes von damals, – ergo meinen -, absolut nachvollziehen. Das Bild von dem Kanaldeckel, der sich in der Dunkelheit hebt, um den Blick auf diesen furchteinflößenden Kerl freizugeben, der von da unten emporkrabbelt, blind, beeindruckend klobig, hässlich und offensichtlich nichts Gutes im Schilde führend, hat sich über all die Jahre sehr lebendig gehalten.
Nie vergessen. Wie den Griff des Zyklopen in einem TV-Vierteiler, der Anfang der 70er in der Vorweihnachtszeit gezeigt wurde. Ein Auge prangte auf seiner Stirn, und mit seiner riesigen Hand holte er sich die Gefährten von Odysseus aus den Höhlenritzen, in denen sie sich vor ihm versteckt hatten. Um sie sich lebendig in den Mund zu stopfen.
Das gehört nicht direkt hierher, fällt mir aber augenblicklich wieder ein und will raus. Und obgleich ich längst auf großer Bühne von wahren Meistern das Fürchten gelernt habe, ist diese Szene ein zerfurchter Stein in meinem Kopf. Wie die toten Augen der Auftrags-Killer in Alfred Vohrers (Regie) Kinohit und späterem Straßenfeger. War so. Ist so.
Die Dreharbeiten für die bis dahin sechste Verfilmung eines Wallace-Romans (Originaltitel: The Dark Eyes of London) in der Nachkriegszeit fanden erstaunlicherweise gar nicht in London, sondern in Hamburg und Umgebung statt. Das merkt der staunende Zuschauer so nun nicht. Dass die Themse vor das Fleetschlösschen in der Speicherstadt verlegt wurde…wer hat’s spontan enttarnt? Für echte London-Aufnahmen bediente man sich im Archiv, das war wirtschaftlich gedacht, schadete keineswegs und kam gut britisch zur Geltung.
Rialto-Film erzielte damit einen phantastischen Treffer: Regisseur Vohrer schuf mit Die toten Augen von London den bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreichsten Wallace-Film und galt seitdem als Hauptmacher der heiß geliebten Krimi-Reihe, in der Groß-Aufnahmen von Schuhen, hinter Hüten versteckten Gesichtern und Zigarettenkippen im Rinnstein immer auf den Täter weisen. Wer das ist, bleibt neblig, bis…bis dahin fließt Blut, schreien hübsche Frauen, kommen düstere Gestalten um die Ecke, taucht der Held in um Haaresbreite noch rechtzeitig auf, erschreckt man sich schon ganz schön im Wohnzimmer. Da läuft nach unüberlegter Kürzung des Films, ursprünglich freigegeben ab 16, die Originalversion für die ganze Familie ohne Altersbegrenzung.
Wie in den Siebzigern. Nur wir haben einfach geguckt. Notfalls heimlich. Und dann schlecht geschlafen. Herrlich war das.
Die Geschichte: Tote Männer werden aus der Themse gefischt, der smarte Inspektor Larry Holt von Scotland Yard (Joachim Fuchsberger) hat einen Verdacht. Bevor er dem nachgeht und die Sache ernst und (auch!) hübsch gruselig wird, regt Assistent Sunny Harvey (Eddie Arent) sich bei der dritten Wasserleiche erst mal auf. Das ist komisch, das ist typisch, es wird geschmunzelt, bevor die Luft angehalten wird. Dann die Beschwerde: „Empörend! Wird in diesem Land denn überhaupt niemand mehr erschossen?“
Wird hier niemand einfach mal erschossen?
Holt vermutet, dass die blinden Hausierer, eine ihm bekannte und ehemals aktiveVerbrecherbande, wieder aufgetaucht sind und hinter den Morden stecken. Er begibt sich auf die Suche nach Jack, einstiger Chef der Truppe, wird dabei von Harvey und der aparten Nora Ward (Karin Baal), einer Blindenpflegerin, begleitet. Die Spur führt sie in ein unheimliches Blindenheim unter der Leitung von Reverend Dearborn (Dieter Borsche) und schnurstracks denn auch zum aalglatt-dubiosen Rechtsanwalt Stephen Judd (Wolfgang Lukschy), bei dem alle versichert waren, die ermordet im Wasser landeten.
Denkwürdig und natürlich nicht zufällig: Die Blinden wurden für schnöden Mammon missbraucht, indem man sie auf mörderische Tour schickte, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen. Mitleid muss aber nicht unbedingt sein, furchterregend bleibt die Bande trotzdem, allen voran Wortführer Jack und Flimmer-Fred (Harry Wüstenhagen).
Genialer Wahnsinn bleibt im Trend
Klaus Kinski, legendärer Film-Psychopath mit diesem gewissen Uha-Blick, spielte zum ersten Mal in einer Wallace-Adaption der Rialto Film mit. Der Spiegel, aufmerksam auf den so etwas anderen jungen Schauspieler geworden, brachte wenige Wochen vor dem Kinostart ein Kinski-Porträt mit Titelfoto, das war unverhofft beste Werbung für Die toten Augen von London. Bei Wallace kommt Kinski immer recht dumm um. Die schrägen Vögel, die er gibt, verdienen im Film selten Mitgefühl, wenn sie das Zeitliche segnen.
Und dieser Mann, Exzentriker im Leben und auf der Leinwand, wurde Weltstar. Auch eine Story. Für uns. Genialer Wahnsinn bleibt im Trend.
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