Fatty Arbuckle: Als in Hollywood das große Lachen starb

Roscoe „Fatty“ Arbuckle mochte seinen Spitznamen nicht. Dickerchen. Passte aber nun mal und war also solcher auch mitnichten boshaft gemeint. Der neckische Name klebte an ihm wie Honig, der den Leuten ungemein schmeckte. Fatty brachte sie zum Lachen. Einem Lachen mit Kehle und Herz. Dafür strömten sie ins Kino. All diese Leute, die waren sein Publikum. Er war berühmt. Und lebte gut als Leinwand-Riesenbaby. Herrlich gut. Er war der umwerfende Star-Dicke. Der temperamentvolle, urkomische Wonneproppen mit durchweg lächelndem Gemüt. Arbuckle konnte Torten beidhändig in zwei Richtungen schmeißen. Und er bewegte sich oft tänzerisch mit einer Atemlosigkeit und Grazie, die man wuchtigen Körpern wie seinem grundsätzlich so gar nicht zutraut. Überhaupt schien bei ihm jede Geste, jegliche Mimik nie vergeudet zu sein, eine Besonderheit, die als Markenzeichen der besten Stummfilm-Mimen galt.

Arbuckle wurde vom Winde verweht. Das alte Hollywood  vernichtete ihn gnadenlos, und das Publikum, dessen Herz für ihn geschlagen hatte, spuckte auf ihn. Ist alles sehr, sehr lange her. Es war die Zeit, als Charlie Chaplin sich so allmählich unsterblich machte. Und Buster Keaton, der talentierte Newcomer, den Arbuckle unter seine Fittiche genommen hatte, um ihn bekannt zu machen, ein großer Star wurde. Arbuckle aber, der als erster Schauspieler überhaupt in Hollywood über eine Million Dollar verdient hatte, verschwand im Nichts. Wer kennt den heute noch? Klar, Vollblut-Cineasten, die auch oder gerade von der Stummfilm-Elite erzählen können, wissen natürlich, dass Roscoe Arbuckle mal einer der absolut Größten war. Das waren Harold Lloyd, Oliver „Dick“ Hardy, Stan „Doof“ Laurel, Chaplin sowieso, und Keaton auch. Das sind Namen, mit denen wir was anfangen können. Und Arbuckle? Den traf es knüppelhart. Es war ein Knockout für die Ewigkeit.

Knockout für die Ewigkeit!

Ein Riesenskandal ließ Fatty abstürzen. Es war am 5. September, Labortag, 1921, und Fatty, grade Mitte dreißig und auf dem Höhepunkt seiner Karriere als begnadeter Filmclown mit Lachgarantie, hatte einen frischen Vertrag mit Paramount über die damals sagenhafte Gage von drei Millionen Dollar unterschrieben. Grund, kräftig die Korken knallen zu lassen. Die Prohibition verpflichtete zwar offiziell zu rigorosem Verzicht, inoffiziell zu halbseidenen Heimlichkeiten, aber für Hollywood tickten die Uhren da sowieso etwas anders. Man stand über den Dingen, man war Star oder hoffte darauf, einer zu werden, egal auch, man gehörte eben dazu. Zu den Halbgöttern, die im Olymp turnten, glitzerten, tanzten, soffen und koksten und freizügig Sex hatten, weil das eben so sein sollte. Kurzum: Parties entwickelten sich oft zu exzessiven Orgien, die Teilnehmer völlig berauscht und enthemmt von Drogen, Alkohol und Allüren.

Diese eine Party im September 1921 im Luxushotel St. Francis in San Francisco, Zimmer 1219, endete mit dem Tod des jungen Starlets Virginia Rappe. Und einer Schuldfrage, die Fatty vernichtete und der Traumfabrik die Magie des schwerelosen Lachen raubte. Danach sollte nichts mehr so sein wie zuvor.

Virginia Rappe, hübsch, blutjung und sehnsuchtsvoll wie all die all die anderen jungen Hübschen im Dunstkreis von Hollywood, trank wohl reichlich an diesem fatalen Abend. Vielleicht nicht mehr als sonst, sie trank wohl immer sehr viel. Vielleicht doch noch mehr an diesem  Abend, gemixt mit weißem Pulver und bunten Pillen, wer weiß das noch, wusste das so genau damals? Allemal, sie verschwand im Badezimmer und kam nicht wieder heraus. Fatty sah nach ihr, es ging ihr überhaupt nicht gut.

Vermutlich übergab sie sich über der Toilette, er versuchte, ihr zu helfen. Mehr sei nicht gewesen, beteuerte er später. Faktum aber war, dass Virginia ins Krankenhaus eingeliefert wurde und dort verstarb. Bauchfellentzündung. Und die Blase war zerfetzt. 

Solch eine wahrlich scheußliche Verletzung kann natürlich durch Gewalteinwirkung erfolgen. Penetration mit einer Flasche? Oder gar mit Arbuckles eigenem Geschlechtsteil? Zerquetschte er sie mit seinem immensen Gewicht? Und war was dran an der Aussage von Maude Delmont, ihre Freundin Virginia hätte dort im Badezimmer liegend geschrien, er, Fatty, hätte ihr das angetan. „He did this to me!“

Gnadenlos beschimpft als fettes Monster

Die Fragen bestimmten die Schlagzeilen. Die Antwort gab sich das vom Geschehen entsetzte Publikum selbst. Schuldig! Everybodies Darling Fatty? Damit war es aus und vorbei. Es kam zum Prozess. Anklage wegen Mordes. Dann Totschlag. Einige schrien gar nach Hinrichtung, zumindest lebenslänglich, man nannte ihn fettes Monster.  Die Filme mit Arbuckle, von denen zu seiner Glanzzeit unlängst noch mehrere gleichzeitig in den Kinos des Landes liefen,  wurden boykottiert, niemand wollte den Mörder noch lachen sehen. Fatty beteuerte seine Unschuld am Tod der jungen Schauspielerin. Er habe sie nicht angerührt. Und tatsächlich sprach der gerichtsmedizinische Befund auch für keine Fremdeinwirkung.

Die Schlagzeile im Herald Examiner
Die Schlagzeile im Herald Examiner

Letztendlich wurde Arbuckle frei gesprochen, verurteilt wurde er lediglich wegen Verstoßes gegen das Prohibitionsgesetz. Da nun war Amerika streng. Streng freilich auch in seiner Doppelmoral. Solange nichts den schönen Schein erschütterte, war alles bestens. Aber wehe, da sickerte Schmutz durch. Dann hieß es, radikal zu reagieren. 

Mit dem Skandal war denn auch Schluss mit lustig. Das war wegweisend für die ganze Branche. Vor allem die einflussreiche Hearst-Presse stürzte sich fortan auf Hollywood Babylon, fand neben Fatty auch weitere gefundene Fressen wie die Ermordung des Regisseurs Desmond Taylor in dessen Villa und den Drogentod des Schauspielers Wallace Reid. Die Traumindustrie wurde als  schmutziges Sündenbabel tituliert, man forderte gründliche Säuberung. `Tatsächlich trat die freiwillige Zensurinstanz der Hollywood-Macher, das „Hays Office“, fortan in Kraft. 

Die Produktionsfirmen distanzierten sich vom Unterhaltungswert des Unbeschwerten, Komödianten  zeigten fortan neben Tollpatschigkeit und Witz auch Tragik und Ernst in ihren Filmen. Es durfte und sollte auch weiterhin primär erheitern, aber eben nicht so dick aufgetragen. 

Arbuckle und Viginia Rappe
Arbuckle und Viginia Rappe

Für Fatty war sein Freispruch natürlich ein Hohn, da wertlos. Sein Licht war längst erloschen, und niemand zog in Erwägung, es wieder anzuzünden. Wozu auch? Der Witzbold der Nation war gestern. Einzig sein guter Freund Buster Keaton ließ Fatty nicht hängen, ließ ihn Regie führen bei seinem Film „Sherlock Jr.“ und verpasste ihm mit Ironie im Blickwinkel das Pseudonym Will B. Good. Ein Fingerweis? Nicht für Fatty. Es wurde nicht gut. Nie wieder. Aus gesundheitlichen Gründen gab er seinen neuen Job nach drei Wochen auf, er packte das nervlich nicht, dazu kamen starke Alkoholprobleme. Trotzdem schloss er 1933 noch einen Filmvertrag mit Warner Bros. ab, verkündete überglücklich, das sei der beste Tag seines Lebens. Unmittelbar danach starb er an Herzversagen. Er wurde nur 46 Jahre alt. Sein treuer Weggefährte Keaton  sprach anklagend von einem „gebrochenen Herzen“. Aber Arbuckle war eben auch ein kranker Mann. Krank und ziemlich kaputt. Freilich noch deutlich kaputter gemacht von einer Öffentlichkeit, die einen Unschuldigen gnadenlos vorverurteilt und ihn damit unwiderrufbar in den Abgrund gestürzt hatte. 

Slapstick nicht länger die Arena

Kein Einzelfall, natürlich. Solche Geschehnisse, ähnlich gelagert,  wiederholen sich.  Das Besondere an dieser ist, dass  sie einen neuen Kurs in der Filmwelt dirigiert hat. Slapstick war nicht länger die Arena, in der man sich ungeniert austoben konnte, es wurde mit viel Ernst und auch Unsicherheit hinterfragt, was moralisch vertretbar, was zu gemein, zu naiv, zu aggressiv, zu wild, zu dumm, zu unbeschwert, zu nichtssagend sein könnte. Bezeichnend sind die, wenngleich großartigen Geschichten, die Chaplin und Keaton vor dieser neuen Kulisse entwickelten. Gelacht wurde weiterhin mit ihnen, über sie. Aber sie waren authentischer. Auch melancholisch, Traurig. Eben menschlich. Keine echten Clowns mehr. Weil sie sich die Schminke aus dem Gesicht wuschen, während die Kamera lief. 

Arbuckle und die Zeit, die ihn prägte, untergehen ließ und eine neue Erkennungsmelodie komponierte, sind Vergangenheit. Wir schenken ihnen die Erinnerung. Das Lachen zurück wohl eher nicht. Schade eigentlich.

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