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Bonnie und Clyde: Ein ewiger Seufzer

Bonnie Parker und Clyde Barrow: Um sie rankt ein Mythos, der die Wahrheit schwer romantisiert. Die Wahrheit ist rau, brutal und blutig. Der Mythos lässt seufzen. So wild. So jung und sexy. Bonnie und Clyde – zwei rebellische Outlaws in der Zeit der Weltwirtschaftskrise auf ihrer fast unbekümmerten Gewalttour durch den Mittleren Westen der Vereinigten Staaten haben es geschafft, sich ein beachtliches Stück Unsterblichkeit zu stehlen. Teils auch gemeinsam mit Komplizen wie Clydes Bruder Buck und dessen Frau Blanche überfielen sie Tankstellen, kleinere Banken und Lebensmittelgeschäfte, erschossen Unschuldige, wurden gehetzt von Polizei und Presse. Gefürchtet. Insgeheim auch bewundert.

Geliebt? Das wäre vielleicht doch zu arg verklärt gewesen. Clyde Barrow und Bonnie Parker waren schließlich keine Leichtganoven, sondern höchstgradig kriminell. Sie waren gefährliche Gangster. Mörder, die nicht lange fackelten, bevor sie schossen. Da gab es ja nun prinzipiell nichts zu beschönigen. Aber kaum jemand spuckte auf ihre Fotos. Zumindest niemand von den Unbeteiligten. Von den Voyeuren. Von den Geschichtenerzählern.

Wir gegen den Rest der Welt

Weil sie trotz ihrer exzessiven Unmoral zumindest nach außen hin verkörperten, wonach so mancher sich vergeblich sehnt(-e): Den absoluten Zusammenhalt. Wir gegen den Rest der Welt. Auf ewig mein und dein.

Bonnie Parker, ein gescheites texanisches Mädchen, das Gedichte, Abenteuer und echte Kerle mochte, – mit sechszehn heiratete sie Roy Thornton, der kurz nach der Hochzeit für einige Jahre hinter Gitter wanderte -, starb blutjung an der Seite ihres Geliebten. Kennen gelernt hatte sie ihn 1930, da war sie gerade zwanzig und bereit, sich in irgendein Leben zu stürzen , das ihr altes in den Schatten stellen sollte. Schauspielerin und Sängerin wäre sie gern geworden, träumte von der Welt der Berühmten und Reichen. Etwas ganz Besonderes malte sie sich für ihr Leben aus. Und fand Clyde Barrow, der das für sie zu sein schien: Die eine, große, besondere Chance.

Fortan auf ewig verbunden sah sie sich und ihn, aber Clyde musste ins Gefängnis. Kaum zusammen, schon wieder getrennt? Wohl unerträglich für Bonnie. Sie schmuggelte eine Waffe für ihn den Knast, er brach aus, wurde wieder geschnappt und saß seine Strafe ab. Kaum entlassen, wurde er zum Gangster.Zu einem, der cool an der Zigarette zog. Der genauso cool die Pistole zog. So einer gefiel Bonnie. Solch ein lässiger, frecher Typ, ein starker böser Junge, der sich nicht vorschreiben ließ, was gut, was schlecht, was richtig oder falsch ist.

Bonnie wurde seine Gangsterbraut. Keine, die nur verklärt ihren Helden anschmachtete. Sie war eine, die dabei war. Die an seiner Seite stand und sich nicht hinter seinem starken Rücken versteckte. Und die es genoss, eine gefährliche Frau zu sein.

Gut, schlecht, richtig, falsch…

Clyde, nur knapp zwei Jahre älter als sie, bescheiden aufgewachsen, im Knast sexuell missbraucht, zornig auf alles und jeden und aufgrund seiner frühen Karriere als Kleinganove, der rasch das Töten lernte, bereits extrem abgezockt, war schwer begeistert von dem Rummel und der Hysterie um seine und Bonnies Person. Überall wurden sie gesucht, entwischten, machten weiter, erbeuteten Geld, töteten, liebten sich irgendwo und luden ihre Waffen.

Fühlten sich herrlich überlegen und ahnten natürlich doch, dass unendliche Geschichten Märchen bleiben. Mit ewig hartem Touch: Hand in Hand war gestern und vorbei. Sie wurden getrennt beerdigt. Schon traurig. Irgendwie.

Das spektakuläre Ende hätte ihnen vermutlich sogar gefallen, wäre das alles nur ein abgedrehter Thriller gewesen. Sie hätten eng nebeneinander im Kino gesessen, sich eine Riesentüte Popcorn geteilt und den Film genossen. Und wären danach wieder zurück in ihren Alltag gekehrt. Etwas langweilig. Normal eben. So war es aber nicht. Bonnie und Clyde hatten keinen normalen Alltag. Und es war kein Film.

Blutspur endet im Kugelhagel

Der gemeinsame Tod war das Finale einer von den Medien reißerisch begleiteten Blutspur, die von Texas über Oklahoma, Arkansas, Missouri, Iowa und Minnesota zurück nach Lousiana führte. Die permanente Berichterstattung über das mörderische Liebes-Paar machte aus Bonnie und Clyde echte Medienstars. Reality-Promis würde man heute sagen. Clydes kostbar gehüteter Ford V8, Baujahr 1932, wurde von den Fahndern mit 167 Kugeln aus automatischen Waffen, Schrotflinten und Pistolen durchlöchert. Der Kugelhagel dauerte sechzehn Sekunden. In den toten Körpern von Bonnie und Clyde, die, gleichfalls filmreif, verpfiffen und in eine Falle geraten waren, zählte man jeweils ca. 50 Einschüsse. Das war knallharte Vollendung.

Heute noch, neunzig Jahre später, steht ein zerschossener Gedenkstein am einsamen Highway 154, der an Bonnie und Clyde erinnert.

Ein Killerpaar, Auf ewig dein und mein. Brutal romantisch ist das schon. Gemeinsam auf Mordtour gegangen, übermütig, ungehemmt, gewissenlos und de facto eiskalt, sind auch andere „schwer Verliebte“: Frederick und Rosemary West, Alvin und Judith Neeley, Gerald und Charlene Gallego, Alton Coleman und Debra Brown. David John und Catherine Margret Birnie. Sie gingen als Sunsetstrip Slayers, als Love Slave Killers, Moorhouse Murders, Nightrider and Lady Sundown in die Kriminalgeschichte ein.

Bonnie Elizabeth Parker und Clyde Chestnut Barrow, – 14 Morde gingen auf ihr Konto, nebenher beinahe noch zahlreiche Raubüberfälle, Autodiebstähle, Entführungen -, die am 23. Mai 1934 nach gründlich hinterlegter Blutspur am Black Lake in Lousiana von Kugeln durchsiebt wurden, betitelte man weniger reißerisch. Ihre Vornamen genügten. Genügen heute noch und weiterhin: Bonnie und Clyde sind Legende. Verklärt, bestaunt, idealisiert.

Nachdem Hollywood 1967 ihrem legendären Ruf als des „Teufels schöne Kinder, die den Tod auslachten“, Bonnie and Clyde were pretty looking people, but I can tell you, people, they were the devil’s children…they used to laugh about dying… (Georgie Fame, 1968, Lied: The Ballad of Bonnie and Clyde) -, glamourös Tribut gezollt hatte mit Warren Beatty und Faye Dunaway als berühmt-berüchtigtes Barrow-Duo, kannte die Welt sie.

Des Teufels schöne, lachende Kinder

Und beim Kinobesuch stellte man fest, dass es nicht abartig sein muss, vor allem gut aussehende Mörder zu lieben. Wenn sie auf ihre spezielle Art so großartig natürlich und, tja, fast schon ins Herz zu schließen sind.

„‚Bonnie und Clyde‘ ist ein Meilenstein der amerikanischen Filmgeschichte, (…) schonungslos brutal, von Sympathie erfüllt, abscheulich, witzig, herzerweichend und unfassbar schön. Wenn es scheint, dass diese Begriffe nicht zusammenpassen, liegt es vielleicht daran, dass Filme selten die ganze Bandbreite menschlichen Lebens zeigen.“(Roger Ebert, Chicago-Sun-Times, 1967)

Den Stoff, aus dem die echten Tag-Träume sind, oft verarbeitetes Thema in Literatur, Theater, Film, drei Jahrzehnte nach Fritz Lang mit „Gehetzt“ (1937, in den Hauptrollen: Henry Fonda und Sylvia Sidney), brachte Regisseur Arthur Penn mit sensationellem Erfolg auf die Leinwand. Kultstatus ist längst erreicht, die charmante Vorstellung seiner Bonnie blieb bis heute haften, höflicher und direkter geht’s nicht:

Ich bin Miss Bonnie Parker, und das ist Mr. Clyde Barrow. Wir rauben Banken aus.“ (Faye Dunnaway im Film)

In Natural Born Killers ballern sich Mallory und Micky Knox in rasantem Tempo lustvoll durch den 1994 gedrehten Bonnie-and-Clyde-Zögling, um zu guter Letzt gemütlich nebeneinander auf der Couch zu landen. Nicht, ohne vorher gründlich erklärt zu haben, warum es ist, wie es ist.

Jeder Mensch hat den Dämon ins sich, der Dämon lebt in uns, unser Hass ist seine Nahrung. Totschlag, Vergewaltigung, er benutzt unsere Schwächen und Ängste, und es überlebt nur das Böse. Uns allen ist gesagt worden, das wir verkommene Scheiße sind, seit wir angefangen haben zu atmen, und nach ’ner Weile wird man dann irgendwie richtig böse.“

Er sagt’s, sie machen’s: Richtig böse werden. Bringen allein in einer Woche 52 Menschen um. Werden zu Medienstars. Sind glücklich damit. So verdammt rotznasig. So schön. So tödlich. Die süße, freche Mallory (Juliette Lewis) und der coole, schnelle Mickey (Woody Harrelson): Bonnie and Clyde in neu, maßgeschneidert für eine abgebrühte, trotzige, ichbezogene Gesellschaft? Zumindest solch ein Satz wirft weg, was um Moral bettelt:

Das ist doch nur Mord, Mann. Alle Kreaturen Gottes tun das.“

Mallory und Mickey tun es exzessiv. Wie alles, was sie verbindet und doppelt stark, doppelt einig macht. Oliver Stones explosive Regiearbeit nach einer Story von Quentin Tarantino ist eine brutal phantastische Erzählung, deren Dramatik zwischen Kunst und Realität, Lust und Hass balanciert.

Die beiden Hauptfiguren sind ausgesprochen attraktiv, völlig füreinander entbrannt und werden für ihre Mordorgien mit einem öffentlichen Interesse belohnt, das sie, – berechtigt durchaus -, glauben lässt, echte Stars mit einer Riesen-Fangemeinde zu sein. Dieses Interesse ist auch für Bonnie und Clyde in der edlen Penn-Verfilmung von 1967 immens wichtig.

Wenn wir beide uns zusammen tun, dann könnten wir den ganzen Staat in die Tasche stecken und noch Kansas und Missouri und Oklahoma dazu, und alle würden sie dann von uns sprechen!“

„Und alle würden von uns sprechen.“

Das klingt rührend ehrlich und trotzdem nach beinahe entschuldbarer Spinnerei. Das Knox-Pärchen spinnt anders: Unbarmherziger. Feixender. Das kommt Klasse rüber.

Der Haken freilich, den dieser grandiose Film hat: Natural Born Killers lässt (unfreiwillig) eine verklärte Identifikation zu. Junge Straftäter in den USA und in Frankreich gaben an, unmittelbar durch den Film angeregt worden zu sein, in die Fußstapfen ihrer Vorbilder Mallory und Mickey zu treten.

Einkalkuliert hatte man dieses Beben wohl nicht. Aber tatsächlich wurden Oliver Stone und die Time-Warner-Gesellschaft deswegen auch juristisch belangt. Krimi-Autor John Grisham warf Stone vor Gericht vor, verantwortlich für den gewaltsamen Tod eines Freundes zu sein, der von zwei jungen Kinobesuchern nach der Vorstellung umgebracht wurde. Der Regisseur und die Film-Gesellschaft wurden zwar mit dem Hinweis auf mangelnde Rechtsgrundlagen und Meinungsfreiheit freigesprochen, der bitter-böse Nachgeschmack blieb.

Grundsätzlich ist das bedauerlich. Natural Born Killers sollte als das gelten, was der Film ist: Ein grell gemaltes Bild des amerikanischen Un-Traums, der zerplatzen sollte wie eine Seifenblase, wenn die Schlussmelodie ertönt.

Nichtsdestotrotz klar gesprochen: Natürlich ist das Spektakel abartig, auch verstörend, da faszinierend und scheußlich zugleich. Bösartig gut ist das Ende: Da fahren Mallory und Mickey im Wohnwagen durchs Blaugrüne, und auf der Hinterbank sitzen zwei kleine Kinder. Ihre.
Ein Alternativ-Abgang, der den Tod der beiden zeigt, – sie werden wie Bonnie und Clyde mit Trommelwirbel erschossen -, wurde zwar gedreht, die Entscheidung fiel aber deutlich aus für Kopfschütteln, schiefes Grinsen und letztendlich Zufriedenheit. Sollen sie es doch haben, ihr verdammtes Glück, Mallory und Mickey. Und vielleicht bis ins hohe Alter lächelnd unterstreichen, was die junge Bonnie Parker kurz vor ihrer Fahrt zum Black Lake dichtete:

Their nature is raw; they hate all the law…
…they call them cold-blooded killers; they say they are heartless and mean;
but I say this with pride, that I once knew Clyde
When he was honest and upright and clean.

(Ihre Natur ist rau, und sie hassen das Gesetz……man nennt sie kaltblütige Mörder; man sagt, sie seien herzlos und gemein; aber ich sage dies stolz, dass ich Clyde einst kannte, als er rechtschaffen war, aufrichtig und rein.)


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