Erst kürzlich passierte das grundsätzlich Unentschuldbare wieder. Im Film. Trotzdem. Ein französischer Krimi. Das alte Paris, geheimnisvoll schwarz-weiß. Zimperlich sind die Leute dort alle nicht. Aber höflich. Der Sohn sagt mit sanfter Stimme zu seiner Mutter, die erschöpft von einem deftigen Streit mit ihm auf dem Bett liegt: „Dors bien, maman. Repose-toi, maman.“
Das klingt sehr viel hübscher als gemeint. Schlaf‘ gut, Mama, ruh‘ dich aus, Mama. Sagt er ergo und drückt ihr ein Kissen auf das Gesicht. Heult noch, während sie mit den Beinen strampelt. Weil er sie ja eigentlich nicht töten will. Wischt sich trotzig die Tränen mit dem Handrücken ab, als sie sich nicht mehr bewegt, und seufzt deutlich vernehmbar höchst erleichtert auf. Weil er sie tatsächlich nicht auch nur einen Tag länger um sich haben wollte. Weil sie ihn immer nur gegängelt, den Bruder vorgezogen, ihm seine Schwäche, sein Versagen vorgeworfen hat. Und weil sie überhaupt eine fürchterliche, freche, fiese Mutter war. Da zählte ihr Tod für ihn als logische Konsequenz.
Für uns natürlich nicht. Denn es heißt und gilt:
Ehre die Mutter! Und recht anrührend, gleichwohl streng mahnend sei hinzugefügt:
Liebe das Mutterherz, solange es noch schlägt. Ist es gebrochen, dann ist es zu spät.
Mein Junge, hast du dir wehgetan?
Dieses warme, ach so gute Mutterherz! Dazu gibt es eine hübsche kleine Geschichte: Da ist also ein junger Mann abgöttisch in eine wunderschöne junge Frau verliebt. Diese verspricht ihm, ihn zu erhören, wenn er ihr das Herz seiner Mutter als Beweis seiner Liebe bringt. Nun eilt er nicht hastig und völlig entsetzt von dannen, wie man es denken sollte, von Abscheu erfüllt über diesen abartigen Wunsch der Begehrten, sondern hadert tatsächlich ernsthaft mit sich. Dabei verzweifelt er schier, weil er nun doch recht arg an der Mutter hängt, die Geliebte aber partout nicht verlieren will. So bringt er letztendlich die arme Mutter um, obwohl es ihm arg in der Seele schmerzt. Er schneidet ihrer Leiche das Herz aus der Brust und macht sich damit auf den Weg zu seiner Angebeteten. Wie von Sinnen will er eiligst zu ihr, stolpert aber, stürzt lang hin, und das Herz fällt in den Dreck. Und während er noch dort flach auf dem Boden liegt, spricht das Herz mit der sanften Stimme seiner toten Mutter zu ihm und fragt ihn besorgt: „Mein Junge, hast du dir wehgetan?“
Wahrlich eine Schauermär über Mutterliebe in Höchstform. Bedingungslos, alles verzeihend, einmalig in ihrer Selbstlosigkeit. Der Sohn tötet die Mutter und schneidet ihr das Herz heraus, um sein Glück zu finden. Alles symbolisch, versteht sich. Kein Mutterherz, keine störende Allmacht mehr. Und die Mutter tobt nicht, heult nicht, klagt nicht, sie sorgt sich einzig um sein Wohlergehen. Als würde sie ihn mit all ihrem Blut an seinen zehn Fingern noch tröstend in die Arme nehmen und ihm liebevoll ihren mütterlichen Segen dafür geben, frohen Mutes weiter leben zu können.
Mütter sind die Menschen, die uns am besten kennen und am meisten lieben.
Eben. Kennen. Lieben. Und alles verzeihen? Mit Sicherheit nicht, wenn man ihnen nach dem Leben trachtet.
Muttermord ist eine abscheuliche Sache. Völlig egal, wie furchtbar übermütterlich eine Mutter war oder ist, man bringt sie nicht um. Auch nicht, wenn sie einen schier zerquetscht mit ihrer gnadenlosen Dominanz. Dann geht man besser, und so sollte es sein. Ist es fatalerweise aber nicht immer.
Das Leben kommt nicht mit einem Handbuch, sondern mit einer Mutter.
Richtig. Muss freilich nicht durchweg positiv betrachtet werden, ohne ein, sagen wir, magisches Nachschlagewerk eine Mutter zu haben und eine zu sein. Gute Mutter, schlechte Mutter. Wer wertet das wie und warum?
Im Regelfall ist es der Sohn, der sich von der Mutter radikal und ultimativ „befreit“.Nero, Orest, der „Menschenschlächter“ Kalistros Thilecke, ein 56jähriger Verwaltungsangestellter aus Bayern und sehrsehr höchstwahrscheinlich Norman Bates ermordeten ihre Mütter. Das sind einige von vielen, wenngleich es laut Kriminalstatistik relativ selten vorkommt, dass die Mutter vom eigenen Kind getötet wird. Die Tochter macht so etwas normalerweise nicht. Es passiert aber:
Eiskalt: So ohne Gehirn und Gefühl
Im letzten Jahr wurde in einem Müllcontainer in der Nähe von Moskau die übel zugerichtete Leiche einer Frau gefunden, für deren grausamen Tod ihre 14jährige Tochter und deren Freund verantwortlich sein sollen. Laut Anklageschrift heuerten sie Auftragskiller an. Der Grund? Für die Mutter war es eine unheilvolle Beziehung. Sie mochte den Freund der Tochter nicht, der sich bereits unerwünscht in ihrer Wohnung eingenistet hatte. Sie war in Sorge, dass er schlechten Einfluss auf sie haben könnte. Die Tochter sah das anders. Die Mutter war für sie der Störfaktor, der Grund für ihre Unfreiheit, das Ziel ihres Hasses. Deshalb musste sie sterben.
Liest man das, schluckt man schwer. So sinnlos, dieser Mord. So ohne Gehirn und Gefühl. So eiskalt.
Grausig auch diese Geschichten:
Ein Student aus dem Ruhrgebiet schlug seiner Mutter mit einer Hantel den Kopf ein. Dieser Akt krassester Gewalt war ein extremer Gefühlsausbruch und sehr wohl auf auf Habgier zurückzuführen, denn die Mutter hatte jede Menge Geld. Zudem hätte er sich für seine Situation geschämt, so der Sohn vor Gericht. Aufgrund seiner Depressionen und wohl auch aus Faulheit hätte er sein Studium geschmissen und sich nicht getraut, das der ahnungslosen Mutter zu erzählen. Die hätte ihm Vorwürfe gemacht, er wäre der Loser schlechthin gewesen. Also …
Ein Mann aus Bayern stach sage und schreibe achtundachtzig mal auf seine Mutter ein, – sechszehn von den Stichen wären für sich allein schon tödlich gewesen – , und erklärte hinterher, sich nicht mehr unter Kontrolle gehabt zu haben bei dem ganzen Gemetzel. Unter Kontrolle!
Dann diese irgendwie groteske Geschichte über den bereits genannten 56ährigen Verwaltungsangestellten, der seine Mutter nach einer wüsten Grundsatzdiskussion strangulierte. Zu viel Wodka und noch viel mehr Wut. Typisches Muster für grau und missmutig gewordene Nesthocker.
Nackte Panik: Wohin mit der Mutter?
Das Fatale an der ganzen Sache war: Der Mann DACHTE, sie erwürgt zu haben, wie sie da so starr und steif vor ihm auf dem guten Teppich lag. Tatsächlich war sie nur komplett weg getreten, quasi scheintot. Der Sohn blickte entsetzt, traurig gar und zutiefst betroffen von seiner Untat auf die vermeintlich Tote, – so zumindest schilderte er später auf der Anklagebank seine Verfassung nach dem Geschehenen – , dann muss ihn die nackte Panik gepackt haben. Wohin mit der Mutter? Fieberhaft sinnierte er, schleppte sie letztendlich in die Garage und legte sie in den Kofferraum. Fuhr in finsterer Nacht zum abseits gelegenen Ufer des Flusses, in den er als Kind Steine geschmissen hatte, und warf nunmehr die Mutter hinein. Als man sie zwei Tage darauf aus dem Wasser fischte, wurde Tod durch Ertrinken festgestellt. Nach vorangegangener Strangulation. Eins und eins ergab auch hier immer noch zwei: Der Sohn wurde verhaftet, gestand gesenkten Hauptes und schluchzte reuevoll. Wegen gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge unter Berücksichtigung seiner Gemütslage und Trunkenheit verurteilte man ihn zu einer läppischen Gefängnisstrafe, beinahe empörend läppisch, aber trotzdem irgendwie gerecht. Der Mann hatte frei sein wollen. Befreit von der allgegenwärtigen Mutter, die ständig bei der dringend erforderlichen Selbstverwirklichung störte. Frei!
Gut, hier will nachgehakt werden. Wissenswert im Zusammenhang: Muttermörder werden in der Psychologie als oft schwache Persönlichkeiten definiert, die dem Druck nicht mehr standhalten, sich der Mutter gegenüber permanent zurücknehmen zu müssen. Das steht generell für Elternmorde, Parentizide in der Fachsprache. Die Täter leb(t)en meist in einer Art symbiotischer Beziehung mit Mutter und Vater, im speziellen Fall eben nur mit der Mutter. Diese Beziehung, als stillschweigende Übereinkunft zu verstehen, basiert dann zwar auf gegenseitiger Abhängigkeit, ist aber primär für das (längst erwachsene) Kind oft fatal belastend. Heißt: Eine vernünftige Entwicklung wird geradezu schlimmstens schädlich gehemmt. Übertriebene Fürsorge macht eben bedenklich unselbständig. Und endet manchmal tödlich. Mütter sollten sich das merken.
Muttermörder wurde Menschenschlächter
Der Berliner Schöngeist Kalistros Thilecke tötete 1930 seine Übermutter, die ihn mit Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit überschüttet hatte, mit siebzehn Messerstichen. Dafür saß er zehn Jahre im Gefängnis. Nach seiner Haftentlassung schloss er sich dem berüchtigten SS-Sonderkommando Dirlewanger an und wurde zu einem der Gnadenlosen. Ein unbarmherziger Killer. Auch eine mögliche Konsequenz eines Sohnes bei solchen familiären Angelegenheiten. Menschenschlächter werden.Wer sich das ernsthaft zur Brust nimmt, fühlt sich zumindest nicht allein mit seinen Sorgen.
Keine Sprache kann das geheimnisvolle Lied einer Mutter singen. (William Goldsmith Brown)
Klingt wunderbar. Das zum Troste, es trifft den Kern.
Da gibt es diesen hübschen Film „Mutter muss weg“. Ist eine Posse, nett schwarz humorig, geht als durchaus gelungene satirische Parodie auf Mörderkrimis durch. Sohn Tristan (Bastian Pastewka) will sich endlich von seiner allmächtigen Mutter (Judy Garland) lösen und sieht nur einen Ausweg: Sie muss raus aus seinem Leben, und zwar endgültig. Er heuert einen Killer an. Aber alles geht schief. Die Mutter ist am Ende immer noch da. Quengelnd, zankend, bestimmend, selbstgefällig und höchst lebendig. Vielleicht auch zum Seelenwohl von Tristan, denn, mal äußerst ernst gesprochen:
Mutterblut an den Händen bleibt ja wohl ewig kleben. Das wird nicht mal eben so heimlich abgewaschen.
Wenn er herrscht, mag er töten!
Orest, ein von ewigen Gewissensbissen Geplagter, Sohn des Troja-Veteranen Agamemnon, brachte seine Mutter Klytaimnestra um. Die hatte zwar ihren Gatten ermordet und den Tod durchaus verdient, aber Orest wurde fortan von Racheengeln gehetzt. Muttermord eben.
Bei Nero sah das etwas anders aus, der erhielt sogar den ausdrücklichen Segen der Mutter dafür. Als Aggrippina erfuhr, dass ihr Sohn sie umzubringen gedachte, orakelte sie nur verklärt: „Wenn er herrscht, mag er töten.“ Sie bezog das wohl auf ihren innigsten Seufzer, Nero als Kaiser zu sehen, sollte da kommen, was wollte, Feuer, Löwen, Kreuze, der eigene Tod durch undankbare Sohneshand. Hauptsache, Kaiser. Wenn er herrscht, mag er töten. Mag ja sein, dass die Mutter als Mitglied einer besonderen Spezies manchmal einfach so sein muss, wie sie ist.
Wie eben auch in Schnitzlers früher kleinen Erzählung „Der Sohn“. Deutsch Leistungskurs vielleicht? Wir erinnern uns vage. Die Mutter liebt den Sohn abgöttisch, der fühlt sich komplett erdrückt und versucht, sie mit einem Beil zu erschlagen. Schwer verletzt sagt sie dem Arzt, bevor sie stirbt, man möge ihrem Sohn verzeihen und ihn frei sprechen, sie sei an allem schuld. Punkt.
Im Original ist die Sache komplizierter gestrickt, aber die Grundaussage ist klar. Irgendwie.
Der beste Freund eines Mannes ist seine Mutter. (Norman Bates)
Das steht jetzt mal für sich.
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