Elfen

Wenn die meisten Leute an klassische Fantasy denken, denken sie vielleicht an Tolkien, und bei weiterem Nachdenken wahrscheinlich an Elfen. Und das aus gutem Grund: Elfen gibt es in der Fantasy schon sehr lange. Aber wie viele Tropen und Wesen, die unsere Buchseiten bevölkern, stammen sie aus der germanischen Folklore. Die Elfen ließen sich davon allerdings nicht aufhalten und wanderten quer durch ganz Europa, nach Skandinavien und Großbritannien. Es ist jedoch Island, das die größte Population der Elfen beherbergt, besser bekannt als das vergessene Volk, das in Felsformationen lebt.

Jacob Grimm definiert in den 1830er Jahren Elfen als übernatürliche Wesen dritter Klasse in seinem Standartwerk „Deutsche Mythologie“. Es dauerte nicht lange, und sie erlebten in den USA der 1890er Jahre einen Aufschwung als fleißige Helfer des Weihnachtsmanns, die in Skandinavien lebten und ihre Magie zur Herstellung von Geschenken einsetzten. Die Elfen widmeten sich eifrig der Aufgabe und entwickelten schnell den Ruf, die beste Handarbeiter der Welt zu sein.

Die meisten Elfen-Sichtungen finden dann auch in den wenigen Tagen vor Weihnachten statt, wenn sie unterwegs sind, um Kinder mit grenzwertigem Verhalten auszuspionieren. Eine Elfe namens Albtraum besucht Kinder Tage vor Weihnachten. Wenn die Kinder unartig sind, beschert sie ihnen Elfenträume oder ganz ihrem Namen nach Albträume, indem sie sich auf ihre Brust setzt, während sie schlafen. Elfen bestrafen Kinder auch mit Schluckauf, wenn sie zu ungestüm werden.

Die Romantik des 19. Jahrhunderts gibt den Elfen eine Größe von 1,50 m, atemberaubende Schönheit und lang anhaltende Jugendlichkeit während ihres tausendjährigen Lebens. Laut der Literatur des 19. Jahrhunderts haben Elfen göttliche Einflüsse, einschließlich magischer Fähigkeiten. Ihre blattförmigen Ohren kanalisieren magische Energien vom Himmel, was ihnen die Fähigkeit verleiht, zu kontrollieren, was Menschen sehen und fühlen. Sie legen Magie in Gegenstände, wie z. B. Pilze, um Menschen vorübergehend eine magische Sicht zu gewähren.

Viele Elfen im materiellen Erdkreis haben ihr Zuhause in Bäumen. Es handelt sich dabei um längliche Öffnungen in den Stämmen der Bäume, die die gleiche Höhe erreichen, wie die jeweilige Spezies, die darin wohnt.

Am 6. Januar eines jeden Jahres feiern die Elfen den letzten Tag der Weihnacht in verborgenen Feldern. Ihre brennenden Fackeln sind schon von weitem zu sehen. In jeder Nacht oder an einem nebligen Morgen kann man Elfen auf Wiesen tanzen sehen, wo sie Elfenkreise hinterlassen. Wer auf einen Elfenkreis tritt, hat Pech, und wer in einen solchen uriniert, bekommt eine Geschlechtskrankheit.

Ältere Aufzeichnungen

Um 1220 dokumentierte Snorri Sturluson die Unterschiede zwischen Licht- und Dunkelelfen in der Prosa-Edda. Laut Snorris Edda sind Lichtelfen strahlender als das Sonnenlicht und leben an einem himmlischen Ort namens Alfheim, während Dunkelelfen dunkler als Pech sind und sich in unterirdischen Höhlen oder tief in den Wäldern aufhalten. Eine dritte Art, die schwarzen Elfen, ähneln Zwergen und leben in Svartalfaheim. Die skandinavische Folklore verstärkt die übernatürlichen Fähigkeiten der Elfen.

Die englische Tradition sieht Elfen als boshafte Wesen, die ihren menschlichen Opfern Unglück und Krankheit bescheren. Die Christen entwickelten Erzählungen von Elfen, die mit bösen Absichten handeln. Ein metrischer Zauberspruch aus dem 10. Jahrhundert bietet ein Elfenheilmittel für Rheuma, das durch ein Projektil namens Elfenschuss oder einen von einem Elfen geschossenen Pfeil verursacht wird. Elfen benutzen Pfeilspitzen aus Feuerstein, um Menschen und Vieh scharfe Schmerzen zuzufügen. Wiederholte Einstiche führten zu einem Elfenschlag, der Lähmungen verursachte. Verführerisch attraktive Frauen wurden in England mit Elfenschönheit beschrieben. Im Beowulf lesen wir von einer Elfenschönheit, die ihre Opfer betäubt, und die dadurch mit Dämonen in Verbindung gebracht wird. Eine Elfe namens Königin Mab verknotete Haare zu Elfenlocken.

In Schottland wurde Alfheim zu „Elphame“ oder „Elfhame“ und seine Herrscherin ist die Feenkönigin; oft wird sie die Königin von Elphame genannt, besonders in Balladen wie Thomas the Rhymer. Trotz der Tatsache, dass die meisten modernen Interpretationen von Feen und Elfen kleinwüchsige Kreaturen beinhalten, trifft dies nicht unbedingt auf diese spezielle Feenkönigin zu, vor allem angesichts der etablierten gälischen Tradition von Feen und Elfen in ihrer Mythologie (die als Sídhe bekannt sind).

Manche Gelehrte sind der Meinung, dass die Dunkelelfen lediglich Zwerge waren, aber die Tatsache, dass die Zwerge gesondert im Gebiet um Nidarvellir wohnen, legt etwas anderes nahe.

Natürlich bleibt es beim Rätselraten, denn die Mythologie ist bereits so alt und die Quellen, die wir zu Rate ziehen können, im Vergleich zu den überlieferten Texten aus anderen Mythologien so schmerzhaft spärlich. Daran ist wahrscheinlich die mündliche Überlieferung schuld.

Um bei den Lichtelfen zu bleiben: Wenn wir einen Blick auf ihre Erwähnung in der nordischen Mythologie werfen, finden wir Freyr als ihren Gott. Es gibt aber noch einen anderen Namen, der viel älter zu sein scheint, je nachdem, welche Quelle man konsultiert, und der lautet „Yngvi“. Wenn wir noch einmal einen Blick in Tolkiens Werk werfen, mag es angesichts seiner Vorliebe für Mythologien nicht überraschen, „Ingwe“ als Namen für den Hochkönig der Elfen im Westen zu finden.

Gütige und böse Elfen

Wenn wir uns von der nordischen Mythologie wegbewegen und uns in die englische und gälische Folklore hineinwagen, stellen wir also fest, dass sich die Vorstellung von Elfen im Allgemeinen zu verändern beginnt. Anstatt wohlwollende Kreaturen oder kleine Gottheiten, sind es nun Betrüger und Unholde, wie in der Ballade „Lady Isabel and the Elf Knight“, wo der Elf versucht, Isabel zu ermorden. Besehen wir uns die Rolle der Drachen in der weltweiten Mythologie, stellten wir merkwürdigerweise fest, dass der Drache umso grausamer ist, je weiter die Mythologie im Westen liegt. Nordische Drachen und asiatische Drachen waren weitaus wohlwollender als ihre verschiedenen Gegenstücke.

Die Dökkálfar waren jedoch weder gütig noch wohlwollend, und die Tradition der „Dunkelelfen“ hat sich gegenüber dem nordischen Konzept nur wenig verändert. Ob Drow, Dunkelelfen oder Schwarze Elfen, die Idee von dunkelhäutigen und/oder in der Dunkelheit lebenden Kreaturen, die weit mehr in Fantasy-Rollenspielen und Videospielen auftauchen als in der Literatur, scheint genug Anklang zu finden, um überdauern zu können.

Eines lässt sich jedoch festhalten: die Elfen sind heute so weit von ihren ursprünglichen mythologischen Konzepten entfernt, wie sie von Tolkiens Darstellung entfernt sind. Man könnte freilich dasselbe über Vampire sagen.

Stellen wir uns doch einmal die Frage, ob man eine Elfe noch als Elfe bezeichnen sollte oder ob man einen ganz anderen Namen benötigt. Hier kommen wir an einen Scheideweg: In der einen Richtung haben wir die Elfen, die sich unter dem Banner der klassischen Mythologie und der Folklore tummeln, und diejenigen, die Elfen in einer wesentlich neuen Haut präsentieren.

Sam Sykes Die Tore zur Unterwelt und Richard Morgans Dwenda (Das Zeitalter der Helden 1 – 3, erschienen bei Heyne) sind hier die Bücher, die dem geneigten Leser als erstes einfallen mögen. Natürlich sind diese Rassen keine Elfen im eigentlichen Sinne, sie werden von uns nur mit Elfen verglichen, so wie man eine fiktive Kultur, die luftige, weite Hosen trägt und mit dünnen Klingen kämpft, mit japanischen und anderen ostasiatischen Kulturen vergleichen würde. In gewisser Weise wollen die Leser immer etwas Vertrautes sehen. Es könnte sein, dass eine Rasse, die wir als Elfen wahrnehmen, in Wirklichkeit, abgesehen von den spitzen Ohren und der natürlichen Schlankheit, von Elfen so weit entfernt ist wie Kreide von Käse. So sind wir nun mal.

Früher boten Elfen eine Möglichkeit, etwas Ungewöhnliches in Geschichten einzubringen. Jetzt, wo Elfen in der epischen Fantasy so abgetragen erscheinen, ist das etwas anderes. Das Konzept hat sich überholt. Es gibt neuere und relevantere Wege, fremde Rassen zu erforschen, und da viele Autoren in der modernen Fantasy auf verschiedene Quellen schauen, um sich inspirieren zu lassen, wird die Elfe immer weniger beachtet – bis jemand beschließt, neoklassisch zu sein und sie zurückzubringen oder ihnen ein komplettes Makeover zu verpassen. So oder so, irgendwann wird man sich mit ihren mythologischen Ursprüngen auseinandersetzen; sei es mit einem literarischen Kopfnicken oder einer kompletten Ablehnung des traditionellen Konzepts.

Elfen wurden in der Fantasy-Literatur des 20. Jahrhunderts durch ihren größten Fan, J.R.R. Tolkien, bekannt. Ihre bemerkenswertesten Beschreibungen finden sich in Tolkiens Silmarillion. Als geschätzte Geschichtenerzähler teilen Elfen gerne ihre Erfahrungen mit talentierten menschlichen Schriftstellern.

Das geht hier nicht.