Ebenezer Scrooge (Die Geister der Weihnacht)

Weihnachten: Seit Charles Dickens 1843 „Eine Weihnachtsgeschichte“ veröffentlicht hatte, ist der Name Scrooge zu einem Synonym für einen gemeinen, geizigen Menschen geworden. Ebenezer Scrooge ist Dickens‘ berühmteste Figur und eine der berühmtesten Charaktere der so reichen englischen Literatur. Bei der Erschaffung von Schurken hat sich Dickens von jeher mehr ins Zeug gelegt und mehr Energien auf sie verwendet als bei seinen gutherzigen Figuren. In unseren Breitengraden ist Scrooge zwar bekannt, nimmt aber keineswegs die Popularität ein wie in englischsprachigen Ländern. Selbst der bekannteste (und vielleicht beliebteste) Ableger in Form der Ente Scrooge McDuck heißt bei uns „nur“ Dagobert.

Laut imdb gibt es 124 Darstellungen sowohl im Film als auch im Fernsehen über den Misanthropen, der solange von Geistern gequält wird, bis er schließlich geläutert ist. Er mag zwar nicht erfolgreicher als der Weihnachtsmann selbst sein, ist aber aus den jährlichen Dezember-Events nirgendwo mehr wegzudenken.

Tatsächlich gab es einst eine Zeit, in der man den Wunsch nach einer „frohen“ oder „fröhlichen“ Weihnacht“ noch als etwas Neues uns Spannendes wahrnahm. In der viktorianischen Epoche der 1840er Jahre begann die festliche Plattitüde „Merry Christmas“ erst in Mode zu kommen – und das dank Charles Dickens‘ Weihnachtsgeschichte. 1844, also ein Jahr nach der Originalveröffentlichung kam das Werk auch zu uns – mit dem gleichen Effekt. Es mag ein Grund für den andauernden Erfolg der Erzählung sein, dass zu dieser Zeit viele der Traditionen und Praktiken um die Weihnachtszeit noch gar nicht entwickelt waren. Das gegenseitige Beschenken, die Familienzusammenkünfte etc., sind weitere Beispiele der Prägung, die von diesem literarischen Stück übernommen wurden.

Arthur Rackham
Bildrechte: Arthur Rackham

Zweifellos sagt die Novelle mehr über die Bedeutung von Weihnachten aus als jeder religiöse Text, und der Erfolg dieser weltberühmten Geistergeschichte führte zu einem weiteren Phänomen, das bis heute anhält: Dickens schrieb nämlich von da an jedes Jahr eine weitere Weihnachtsgeschichte. Diese Tradition hat sich – auch wenn es zu sonst nichts taugt – ins Fernsehprogramm retten können. Die themenbezogenen Produktionen, die jedes Jahr über den Bildschirm flimmern, sind ein Vermächtnis des großen englischen Romanciers.

In der Weihnachtsgeschichte geht es um einen Menschen, der vom Leben zerschlagen und zerquetscht wurde und sich dadurch in einen Menschenfeind verwandelte. Dann aber geschieht etwas phantastisches: sein Herz öffnet sich für Freundlichkeit und Empathie. Scrooge wird zu einem guten Menschen, und wir alle möchten glauben, dass das möglich ist.

Wenn es darum geht, die besten Geistergeschichten aufzulisten, hat „A Christmas Carol“ zwar starke Konkurrenz, in Sachen Langlebigkeit aber eindeutig die Nase vorn. Und das, obwohl es nicht Dickens‘ einzige ist. Ganz im Gegenteil interessierte er sich sehr für diese literarische Form. In einem kleinen Aufsatz erwähnt er, dass er noch sehr jung war, als ihm seine Amme furchtbare Geistergeschichten erzählte. Das blieb wohl bei ihm haften, auch wenn dieser Teil seines Werkes nicht besonders viel Aufmerksamkeit erhält. Vielleicht, weil nicht jede Geschichte gleichermaßen kulturfördernd sein kann.

Aber die Feiertage waren und sind natürlich immer eine Zeit der Geschichten von Magie und Wundern. Egal, ob die Geschichten in einem Gottesdienst, zu Hause vor dem Kamin oder im Kino erzählt werden, sie werden seit Generationen immer wieder erzählt. Charles Dickens‘ „Eine Weihnachtsgeschichte“ ist dabei vielleicht das, was einer modernen mündlichen Tradition am nächsten kommt. Aber wie vieles, das in der Folklore begann, kennt man heute oft nur noch die verwässerten Disney-Versionen. Aber dieser unsympathische Konzern ist nicht allein für die Glättung und Vernichtung aller Tiefe verantwortlich. Es ist ein Prozess, der mit der Christianisierung begann.

Als sich das Christentum im heidnischen Europa ausbreitete, wurden einige einheimische Wintermärchen so umgestaltet, dass sie eine neue Moral bekamen und ein neues Publikum ansprachen. Andere Elemente wurden einfach gestrichen. Viele Erwähnungen von Dunkelheit, Gewalt oder wilden Geistern wurden aus den Geschichten entfernt. Das ist schade, weil Geschichten, die sowohl Dunkelheit als auch Licht enthalten, viel interessanter sind.

Nehmen wir zum Beispiel den Weihnachtsmann. Die meisten Menschen stellen ihn sich heute wahrscheinlich in der bekannten Coca-Cola-Version vor: einen bärtigen, dicken Mann in einem roten Anzug. Wahrscheinlich lächelt er und hat einen großen Sack voller Spielzeug dabei. Aber das war nicht immer der Fall. Traditionell wurde er als dünn und in Pelze gekleidet dargestellt. Er wurde oft als streng dargestellt. Einigen Legenden zufolge trug er eine Birkenrute, ein Symbol für Disziplin und Bestrafung. In anderen Legenden stand er eher im Zeichen der Fröhlichkeit und der Trunkenheit. Wenn man bedenkt, dass der Heilige Nikolaus unter anderem der Schutzpatron von Pfandleihern, Piraten, Matrosen, Dieben, Waisenkindern – und von New York ist, ist dieser raue Weihnachtsmann vielleicht auch passender.

Und diese älteren Geschichten über den Weihnachtsmann zeigten ihn oft nicht in Begleitung von Elfen oder Rentieren, sondern von anderen Figuren. Während der Weihnachtsmann die braven Kinder belohnte, quälten diese Gehilfen die bösen Kinder. Dazu gehörten zm Beispiel Knecht Ruprecht und der Krampus.

Der Krampus hat seinen Ursprung in der vorchristlichen Folklore der Alpenregion Europas. Er war ein tierisches, ziegenähnliches, gehörntes Wesen, das mit Fell bedeckt war und eine gespaltene Zunge besaß. Er bestrafte und erschreckte böse Kinder und entführte die schlimmsten von ihnen. Trotzdem luden die Eltern den Krampus oft zu einem Schluck Schnaps ein. Interessanterweise haben einige moderne Darstellungen des Krampus diesen Teufel in eine harmlosere, amorähnliche Kreatur verwandelt.

Obwohl die dämonischen besten Freunde des Weihnachtsmanns weitgehend verschwunden sind, haben viele heidnische Symbole und Zeremonien in der einen oder anderen Form überlebt. Der Dezember war schon immer eine Zeit des Feierns, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Einerseits ist der Winter traditionell eine Zeit des Todes, der Dunkelheit und des wachsenden Chaos. Die Grenzen zwischen dieser und der nächsten Welt werden dünner, und die Toten kehren zurück. Andererseits war die Wintersonnenwende auch die Zeit, in der die Sonne wiedergeboren und die Tage länger wurden.

Eines der ältesten heidnischen Feste ist die Wilde Jagd. Eine geisterhafte Gruppe von Hunden und Jägern, die schon von allen möglichen Wesen angeführt wurde, von König Artus bis zu Knecht Ruprecht, Krampas und Wotan, auch bekannt als Woden, Odin und Jolnir. Der letzte Name ist einer der Ursprünge des Wortes Yule, eines einmonatigen Festes, zu dem Schlemmen, Essen und Opferungen gehörten. Die Familien genossen eine Weihnachtsziege oder einen Schinken. In dieser Zeit der Dunkelheit und des Todes wurden auch immergrüne Bäume gepriesen. Sie wurden ins Haus gebracht, und im Laufe des Monats wurden große Weihnachtsscheite verbrannt.

Ein weiteres Fest ist die Tradition von Koledari. Bei diesem Fest zu Ehren des Gottes der Unterwelt und der Wiederkehr der Sonne zogen Gruppen von Kindern von Haus zu Haus und sangen, um das Ende des alten und den Beginn des neuen Jahres zu feiern. An jedem Haus wurden sie mit Süßigkeiten oder Geld belohnt. Das hat natürlich Ähnlichkeit mit dem Fest All Hallows Eve – Halloween, über das es bereits eine Sendung im Phantastikon gibt.

Wenn ihr euch also dieses Weihnachten von einem mit Essen und Trinken beladenen Tisch zurückziehen, um Lieder zu singen, Geschenke auszutauschen und brave Kinder zu belohnen, denkt daran, dass ihr eine Tradition feiern, die auf eine Zeit zurückgeht, als der Wald draußen ein dunkler, gefährlicher und böser Ort war.

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