Streifzüge durch die Unterwelt (1): Dantes Inferno und Miltons verlorenes Paradies

Die Natur des Jenseits fasziniert und erschreckt die Menschheit seit Zehntausenden von Jahren. Was wartet nach dem Tod auf uns, vorausgesetzt, es wartet überhaupt etwas auf uns? Gibt es mehr als einen Ort, an den man gehen kann? Und was passiert, wenn man am falschen Ort landet?

Das Land der Toten ist zu groß, als dass man es durch eine einzige Reise erkunden könnte. Also werden wir uns auf die Hölle konzentrieren: Verdammnis, Verderben, Limbus, Fegefeuer, das Inferno, nennt es, wie ihr wollt. Begleitet mich auf eine Odyssee durch einige der besten Darstellungen dieses bösen fiktiven Ortes.

Die Mythologie sagt uns, dass es viele Ziele für böse oder unglückliche Seelen gibt. Diyu, Sheol, Hades, Hetgwauge. Einige davon sind Orte der Bestrafung für die Sünden im Leben und andere sind der eigentliche Ort, wo sich die Toten einfinden müssen.

Das Land der Toten ist zu groß, als dass man es durch eine einzige Reise erkunden könnte. Also werden wir uns auf die Hölle konzentrieren: Verdammnis, Verderben, Limbus, Fegefeuer, das Inferno, nennt es, wie ihr wollt. Es ist jener Ort der Bestrafung, der von den meisten abrahamitischen Religionen anerkannt wird. Begleitet mich auf eine Odyssee durch einige der besten Darstellungen dieses bösen fiktiven Ortes.

Unser erster Schritt ist einfach, wir brauchen nur unter die Erde zu gehen. Wir gehen also durch das fast schon eingefallene Tor, von merkwürdigen Schlingpflanzen umrankt, das mit folgenden Worten in schwarz-rot beschriftet ist:

„Ihr, die ihr eintretet, lasst alle Hoffnung fahren!“

Dantes Inferno

Dantes Inferno ist die erste eingehende Erforschung der Hölle in der westlichen Literatur und vielleicht die detaillierteste Beschreibung des christlichen Jenseits, die jemals privat und nicht als kirchliche Festschrift geschrieben wurde. Hier wird die Idee der Neun Höllenkreise begründet. Jeder von ihnen hat seine eigene Natur und wartet mit einer Reihe einzigartiger Bestrafungen auf.

Es ist zwar das einflussreichste literarische Modell der Hölle, aber wir können es nicht wirklich den endgültigen Reiseführer für unsere modernen Bedürfnisse nennen. Dante schrieb im Mittelalter, in Italien. Seine Version der Hölle ist stark von der klassischen Mythologie und Literatur beeinflusst, bis hin zum römischen Dichter Virgil, der als Dantes Führer durch die Höllenkreise fungiert.

Man kann sich fast vorstellen, dass Dantes Hölle auf den Ruinen der klassischen Unterwelt erbaut wurde (oder krebsartig aus dem kranken Fleisch des Ur-Tartarus erwachsen ist).

Hier einige Beispiele:

  • Die Grenze zur Hölle wird vom Fluss Acheron gestaltet und der Kapuzenmann, der die Seelen hinüber transportiert, ist Charon, der Fährmann.
  • Der Fünfte Höllenkreis, in dem die Zornigen dazu verdammt sind, sich für immer gegenseitig zu bekämpfen, ist eigentlich der Fluss Styx.
  • In den Tiefen dieser korrupten Unterwelt verurteilt noch immer Minos, der Sohn des Zeus, die Seelen der Toten, ohne den Wechsel des Managements zu bemerken oder ihn überhaupt zu erwähnen.
  • Zentauren leben glücklich im Siebten Kreis. Sie tragen ihren Teil dazu bei, sich unter die lokalen Teufel zu mischen, indem sie Pfeile auf die verdammten Seelen feuern, denen es gelungen ist, den kochenden Blutflüssen des betreffenden Kreises zu entkommen.
  • Griechische Helden und Bösewichte schmachten in verschiedenen Teilen des Infernos und leiden dort unter den heidnischen Pfaden, die sie zu Lebzeiten zu beschreiten hatten (es gab den Monotheismus zu ihrer Zeit ja noch nicht. Was für ein Pech für sie).
  • Der Minotaurus bewacht den Siebten Kreis und Medusa sowie die Furien sind bereit, jeden niederzuschlagen, der es wagt, sich den Mauern von Dis, der Hauptstadt der Hölle, zu nähern.

Den Dämonen von Dantes Hölle steht es eindeutig nicht an, ihre Taten auf andere mythologische Wesen übertragen zu sehen. Sogar Dis selbst hat seinen Namen von Dis Pater, dem römischen Titel für Hades oder Pluto, dem griechisch-römischen Gott der Unterwelt.

Dis ist ein faszinierender Ort; Dante schafft es mit seiner Beschreibung, die Hölle immer weniger wie die Erde erscheinen zu lassen. Auf der einen Seite hat die Stadt Mauern, Tore, Türme, Häuser und Straßen wie jede menschliche Stadt. Andererseits ist sie unmöglich groß und enthält drei der neun Höllenkreise, von denen der letzte und der unterste eine massive gefrorene Grube ist, in der die gewaltige und monströse Figur des Satans selbst im Eis gefangen liegt.

Dis betont auch die blasphemische, rückwärts gerichtete Natur der Hölle. Die Sterblichen suchen Hügel und andere befestigte Positionen auf, um ihre Städte aufzubauen; die Hölle dagegen ist ein umgekehrter Berg, in dem die Macht immer weiter nach unten fließt, hinab zu den größten und tiefsten Sünden.

Im Gegensatz zu vielen der neueren Kartographen der Hölle vertrat Dante die Ansicht, dass jeder, der in die Hölle kam, es auch verdient hatte, obwohl es viele verschiedene Abstufungen der Sünden mit ihren spezifischen Strafen gab. Diebe zum Beispiel werden hier bestraft, indem sie in einer Schlangengrube darben, deren Gift das Opfer dazu bringt, sich in irgendein Tier oder Objekt zu verwandeln. So wird ihnen ihre Identität genommen.

Es gibt auch eine sehr klare Struktur in dieser Hölle, die Bewohner des Infernos sind nämlich den himmlischen Heerscharen unterworfen. Das wird an einer Stelle ganz bsonders deutlich, wo ein Engel aus dem Himmel vorbeischaut, um mit einigen Dämonen und Monstern ein ernstes Wörtchen zu reden, weil sie sich Dante und Virgil in den Weg stellten.

Und die Horden der Hölle hören auf ihn und lassen die beiden Sterblichen durch! Nicht viele anständige moderne Unholde wären wohl so entgegenkommend gegenüber einem Vertreter der anderen Seite. Man wird heute wohl kaum mehr erleben, dass sich ein Unhold vor einem Heiligen verbeugt. es sei denn, der Heilige selbst ist – von zweifelhafter Natur, was, wie wir wissen, durchaus schon vorgekommen ist.

Einige der Sünden aus Dantes Hölle sind mittlerweile aus der Mode gekommen. Diejenigen, die Simonie (d.h. Verkauf von klerikalen Ämtern) begangen haben, werden bestraft, indem sie mit dem Kopf voran in den Boden gepflanzt und an den Füßen in Brand gesteckt werden. Für die meisten Hörer sollte es ein Leichtes sein, dieses Verbrechen in der heutigen Zeit zu vermeiden. Umgekehrt gibt es keine spezifische Strafe für Rassisten, Online-Betrüger oder Personen, die „Espresso“ wie „Expresso“ aussprechen.

Eine Sache, die Dantes Höllenvision aber besitzt, und die vielen späteren Versionen fehlt, ist die große Vielfalt an verschiedenen Klimazonen und Themen. Dante zeigt uns erwartungsgemäß das Land des Feuers und des Schwefelregens, aber es gibt auch einen Ort des endlosen, trüben Regens, eine Wiese, auf der die genannten Zentauren unter sich sind, einen Eissee, ein dunkles Land, das von heulenden Winden geplagt wird, und einen harpyischen Wald, in dem alle Bäume vergiftete Dornen tragen, die aus den Seelen der Selbstmörder entstanden sind. Es gibt sogar einen vergleichsweise angenehmen Bereich, in dem die Seelen der rechtschaffenen Heiden herum sitzen und sich wünschen, sie wären spät genug geboren worden, um auf den monotheistischen Zug aufzuspringen.

Alles in allem haben wir hier die würdige Version eines bahnbrechenden Dichters: Wenn man sich das Leben nach dem Tod vorstellt, dann bitte riesig und seltsam und fremd.

Verlassen wir nun die Göttliche Komödie und begeben wir uns auf die wegelosen Pfade von Chaos und Nacht, bis wir den Weg in eine gigantische Steinkammer finden, die nicht weniger verflucht ist wie der Ort, den wir gerade verlassen haben.

Das verlorene Paradies

Milton, der mehrere Jahrhunderte später schrieb, war weniger mit den Details der Hölle beschäftigt als Dante. Für ihn war sie nur ein Teil der großen kosmischen Kulisse für sein tragisches Charakterspiel; mit feurigen Meerbusen, ewigem Leid und unerbittlichen Ketten, die dem himmlischen Drama Würze verleihen.

Aber er schuf ein dauerhaftes und faszinierendes Bild der Hölle. Dieser göttliche Kerker voller Qualen und „Regionen der Trauer“ brennt uneblässig, hat aber kein Licht, nur eine Art sichtbare Dunkelheit, die vom unendlichen Höllenfeuer geworfen wird.

Oder besser gesagt, die eine Hälfte von Miltons Hölle steht in Flammen. Die andere Hälfte ist ein Kontinent aus Eis, der von ständigen Schneestürmen und Winden heimgesucht wird. Es ist gar nicht ausgeschlossen, dass die nordische Totengöttin Hel diesen Ort ihr Zuhause nennt und dass Luzifers Heerscharen ihre Armee der entehrten Toten erst besiegen mussten, um ihn in Besitz nehmen zu können.

Die verdammten Seelen der Menschen werden routinemäßig von einer Hälfte der Hölle zur anderen über den Fluss Lethe gebracht (dessen Wasser sie ihre Qualen vergessen lassen könnte, wenn sie es nur erreichen könnten). Lethe ist einer der berühmtesten Flüsse der griechischen Unterwelt, wodurch sichtbar wird, dass die westliche Literatur hier immer noch nicht über ihre klassischen Wurzeln hinweg gekommen ist.

Miltons kurze Beschreibung der gefallenen Engel (frisch von der Armee des Himmels besiegt und niedergeschlagen), die sich auf den Weg machten, die Hölle zu erforschen, um zu sehen, ob es auch schönere Viertel als den brennenden Lavasee gab, in dem sie gelandet waren, ist wirklich beeindruckend.

Diese Passage gäbe eine großartige Kurzgeschichte her. Man stelle sich vor, die Hölle wäre Neuland und man befände sich auf der Suche nach ein wenig Trost in diesem hoffnungslosen Land. Welche dunklen Wunder würde man entdecken? Würde man ein karges Land finden, das nur darauf wartet, in ein wahres Denkmal des Bösen umfunktioniert zu werden?

Milton gab uns auch die Hauptstadt des Pandämoniums. Heutzutage hat das Wort „Pandämonium“ seine unheimliche Konnotation verloren. Eltern können damit mittlerweile sogar ein lebendiges Kinderfest beschreiben.

Wenn wir uns die Wurzeln des Wortes Pandämonium ansehen, bekommen wir Pan (das steht für alles) – und Dämonium – was natürlich Dämonen bedeutet. Das Pandämonium ist ein Ort, an dem sich alle gefallenen Engel und falschen Götter aus Luzifers gescheiterter Rebellion versammeln, um über eine neue Strategie zu diskutieren. Dies ist das Parlament der Teufel, wo sie entscheiden, was die Natur und der Zweck des Bösen sein soll. Trotz alledem ist es ein wunderschöner Ort – ein vergoldeter und unglaublich fascettenreich verzierter Tempel. Miltons Hölle ist reich an Gold (der Mittelpunkt so vieler Todsünden), und ihre Bewohner waren bis vor kurzem Engel, ausgestattet mit dem Geschmack für die Herrlichkeit des Himmels und einem Verständnis für Architektur, die der Mensch erst nach langer, langer Zeit erreichen würde.

Uns wird nicht wirklich gesagt, wie groß das Pandämonium ist, nur, dass Menschen ein ganzes Zeitalter brauchen würden, um etwas ähnliches zu erbauen, von den Dämonen aber in einer einzigen Stunde geschaffen wurde, und dass die Heerscharen aus Luzifers Armee sich von ihrer üblichen riesigen Größe verabschieden und schrumpfen mussten, um hineinzukommen.

Dante zeigt uns eine Hölle, die längst etabliert war. Milton führt uns in eine schreckliche Wildnis und lässt uns die Anfänge des höllischen Reiches sehen, das Luzifer und seine Legionen aus ihm herausschneiden. Von Milton bekommen wir die Idee, dass die Hölle glorreich und grandios und sogar bequem für gefallene Engel sein kann, wenn nicht sogar für gefallene Menschen. Und wir werden ergreifend daran erinnert, dass Satan, das monströseste, verkommenste und schmutzigste aller Wesen im Kosmos, einst Luzifer war, der hellste und beste aller Engel Gottes.

Luzifer selbst bezieht sich darauf, wenn er versucht, die riesige Gefängnishöhle der Hölle zu verlassen, wo er zwei kolossale und abscheuliche Kreaturen vorfindet, die das einzige Tor bewachen, das an der höchsten Stelle der Steindecke zu finden ist.

Die Sünde ist Satans Tochter und sie entsprang seinem Kopf, als er zum ersten Mal die Idee der Rebellion gegen Gott hegte. (Das ist übrigens ein eklatanter Abklatsch der Ursprungsgeschichte von Athena, der griechischen Göttin der Weisheit und des Krieges.)

Die Sünde sah unglaublich reizend und verführerisch aus und hatte prompt eine Affäre mit ihrem Schädel-Vater. Der Tod ist ihr Nachwuchs; auf ihm und seiner Mutter lastet der Fluch der Rebellion, was bedeutet, dass sie in schrecklichen Formen erscheinen müssen oder können.

Das ganze Bucht ist sehr allegorisch, aber es bringt einen faszinierenden Punkt ins Gespräch, der von einem oder zwei späteren Autoren wieder aufgegriffen wurde. Was wäre, wenn die Hölle bereits bewohnt gewesen wäre, bevor ein Drittel der himmlischen Heerscharen in Ungnade fiel und dort eingesperrt wurde? Was könnte in der Hölle heimisch sein?

Vielleicht werden die Antworten auf diese Fragen noch kommen. Folgen wir vorerst Luzifer aus dieser Höhle, fliegen etwas weiter weg und verlassen für den Augenblick sogar unser eigenes Sonnensystem.

Das geht hier nicht.