Eine Geschichte: Quasimodo und die Monsterbraut

In diesen gewissen Momenten, die dem Gewesenen gehören müssen, stöbere ich auf dem Dachboden der Traumfabrik. Unter den dicken Staubschichten, hinter den von eisgrauen Spinnen mit magischer Sorgfalt gewobenen Netzen befinden sich manchmal unerwartete Kostbarkeiten. Geschichten, die besonders sind.  

Von einigen weiß ich, andere erahne ich. Manche sind noch unentdeckt. Von mir. Und  bleiben ein seltsamer Spuk, mal schaurig, mal schön, romantisch oder grausam, lustig oder traurig, wahr, gelogen oder gut erdacht. Manche finde ich, um sie erzählen zu können. Wie diese  Liebesgeschichte. Im  klassischen Sinn ist sie wohl keine. Vielleicht aber doch.

Auf jeden Fall ist sie außerordentlich. Als Regisseur würde ich sie gern verfilmen. Mit Naomi Watts und Brandon Fraser in den Hauptrollen. Das wäre passend. Irgendwie.

Alte Namen, vom Wind gehaucht

Elsa Lanchester

Die Geschichte handelt von einer weltberühmten Monsterbraut und einem ebenso berühmten buckligen Glöckner. Elsa Lanchester und Charles Laughton im echten Leben. Schauspieler. Sehr wohl Legenden als solche. Kinder der vorletzten Jahrhundertwende. Tiefstes Hollywood-Gestern.  Alte Namen, wie in morsches Holz geritzt. Vom Wind ehrfurchtsvoll gehaucht. Nie gehört? Sei es darum. Wir kennen die Bilder.

Sie, die weibliche Kreatur, 1935 für das ganz große Kino erschaffen: Silberne, zackige Strähnen in den dichten schwarzen, steif nach hinten frisierten Locken, herzförmiges weißes Gesicht, wie eigens kreiert für die spätere Popkultur, roboterartige Bewegungen, auffällig dunkel geschminkter Kussmund, die großen Puppenaugen, so entsetzt im Angesicht ihres Bräutigams. Frankenstein’s Monster.

Er, der Missgestaltete, Bemitleidete, Verspottete. Der wahre Quasimodo , wie vom Schöpfer Victor Hugo selbst gemalt. So traurig hässlich das Gesicht, so plump und deformiert der Körper, so erdrückend die Last des Buckels, die seines Kummers, die seiner Liebe. Und so warm und weich und wehmütig der Blick. Der Glöckner von Notre Dame. 1939 war das.

Diese Bilder sind ein Vermächtnis.

Elsa Lanchester und Charles Laughton trafen sich 1927 in einem Londoner Theaternachtclub. Sie apart, große Augen, fast spitzbübisch das Gesicht. Eine wohl auffällig hohe Stimme, der sie später auch Rollenangebote für die exzentrischen, komischen, auch bedrohlichen Frauentypen in Filmen verdankte. Er ein pummeliger, fast klobig wirkender großer Junge mit fleischigen Lippen und  klugem Blick, fragend, suchend und längst wissend. Ein Denker. Sympathisch und doch so streng mit sich selbst.

Die beiden mochten sich, verstanden sich. Heirateten 1929  und blieben dreiunddreißig Jahre beieinander. Bis der Glöckner starb. Sein Geheimnis nahm er 1962 mit ins Grab.

Ein „Schrank“-Geheimnis: In the Closet!

Charles Laughton

Zumindest blieb es für sehr lange Zeit ein Geheimnis für alle, die Charles Laughton nicht wirklich gut kannten. Nur Elsa wusste. Längst schon und alles. Laughton war homosexuell. Er outete sich nie in einer Zeit, die dafür auch nicht reif war. Laughton lebte „in the closet“. Im Schrank. So sagt man, wenn jemand seine sexuelle Orientierung vor den Augen und Ohren anderer verbirgt, um nicht anzuecken. Michael Jackson machte daraus 1991 einen Song, den zweifellos am stärksten sexuell ausgerichteten in seiner sensationellen Karriere. Die digital bearbeitete weibliche Stimme, die zu hören ist, war keine andere als die von Prinzessin Stephanie von Monaco. Royale Unterstützung In the closet! Gemäßigt provokant. So sollte es auch herüberkommen. Ursprünglich plante Jackson ein Duett mit Madonna, aber ihre Vorstellung von seinem Lied war ihm zu krass, zu direkt für den Tenor „versteckt gehaltener Liebe“.

Wie hätte Laughton sie erklärt? Dass diese geheime Liebe seine Lebenslüge sein musste, um funktionieren zu können in der Gesellschaft und vor der Kamera? Als Mensch, Schauspieler. Ehemann? Elsa Lanchester beschreibt die Beziehung 1983 in ihrer Autobiografie Elsa Lanchester Herself, die drei Jahre vor ihrem Tod erschien, als „unkonventionell und liebevoll“, spricht von gegenseitigem Respekt, Vertrauen. Starker, kreativer Partnerschaft. Freundschaft.

Das ist sehr viel. Das ist mehr.

Schon sehr früh habe sie von Laughtons sexueller Orientierung gewusst, erzählt sie in ihrem Buch,  und sie hätten beide gelernt und verstanden, damit umzugehen. Man hätte sich gut arrangiert. Ihre Liebe wäre rein platonisch gewesen, deshalb sei sie auch nie Mutter geworden.

Man möchte fragen, sehr persönlich. Indiskret. Natürlich. Aber es bleibt spekulativ. Man hätte sich gut arrangiert. Auch, was die jeweiligen sexuellen Neigungen, Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen betraf? Es ist anzunehmen, und damit sollte es wohl genug sein. Elsa Lanchester schildert respektvoll. In Laughtons, vermutlich auch in ihrem eigenen Interesse. Da wird nichts für Sensationslüsterne, auf Skandalöses Lauernde erzählt. Es bleibt sauber. Affären werden nicht thematisiert. .Laughton und Lanchester hatten offiziell keine Lover, ob männliche oder weibliche, zumindest keine, die in Boulevardzeitschriften auftauchten. Sie blieben im Schrank!   

Elsa Lanchester, Tochter zweier bekannter Sozialisten, ausgebildete Tänzerin, Tanzlehrerin, natürlich Schauspielerin, verewigte sich mit ihrer Turm-Perücke im Horror-Olymp als DIE Braut, die um die Welt ging und immer noch kreist. Im Film verkörperte sie übrigens auch Mary Shelley, die zu Beginn als Erzählerin agiert. Das war ihr Ruhm. Und weiter? Zweifellos ist ihr Ehemann der Berühmtere von den beiden. Seiner künstlerisch hinreißenden Darbietung des wohl unbestreitbar besten, authentischsten Film-Glöckners ging 1935 seine Oscar-nominierte Rolle als Kapitän William Bligh in „Meuterei auf der Bounty“  mit Clark Gable als Offizier Fletcher Christian voraus. (Remake 1962 mit Trevor Howard als Bligh und Marlon Brando als Fletcher).

Zwanzig Jahre und etliche Filme später kam seine eigene und einzige Regiearbeit in die Kinos, „Die Nacht des Jägern“ mit Robert Mitchum, der den psychopathischen Wanderprediger Harry Powell spielte. Der packende Film geht an die Substanz, war tatsächlich anfangs Kassengift und zählt heute ganz offiziell zu den allerbesten Filmen weltweit.

Laughton (über-)spielte mit Bravour!

Dass Laughton, dieser introvertierte, sensible Intellektuelle,  der als genialer, obsessiver Künstler galt, den damaligen Misserfolg zutiefst persönlich genommen hat, ist anzunehmen. Er wollte Perfektion beweisen, als Schauspieler in über 100 Rollen, auf der Bühne, – in gemeinsamer Regiearbeit mit Bert Brecht brachte Laughton 1947 in Los Angeles eine englische Version des Galilei auf die Bühne und schrieb damit Theatergeschichte – , und auch als Regisseur. Gleichwohl als anerkanntes Mitglied einer Gesellschaft, der er aus guten Gründen die persönlichste Wahrheit über sich vorenthielt. Angefangen im puritanischen England, seinem Geburtsland,  wie im nicht weniger scheinheiligen, doppelmoralischen Amerika überspielte Laughton seine Homosexualität ohne Auffälligkeiten, die nach außen hätten dringen können.  

Anders war es auch kaum machbar. Weitläufig galt Homosexualität in den Vereinigten Staaten wie auch anderer Orts bis weit über die erste Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hinaus als Sünde. Krankheit. Verbrechen. Sie diskriminierte. Entblößte. Entwürdigte.

Keine dieser intimen Schmierengeschichten

Dem stellte er sich nie. Mit einer Frau an seiner Seite, die im sozialistischen Sinn erzogen wurde und geprägt war von Grundwerten wie Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit im weiteren Sinne. Aufgeschlossenheit, Toleranz mutmaßlich auch. Zweifellos unterstützte Elsa Lanchester ihren Mann in jeder Beziehung. Sie wird eine starke Frau gewesen sein. Wie sie selbst tatsächlich mit ihrer eigenen Sexualität umgegangen ist, bleibt offen. Liebte sie (auch) andere Männer? Frauen? Oder waren es nur akzeptierte Seitensprünge, vielleicht sogar von beiden Parteien, weil Lanchester und Laughton ein derart miteinander verschweißtes Team waren, dass nichts dazwischen kam? Das alles weiß man nicht, und irgendwie ist das auch gut so. Es wäre vielleicht eine dieser intimen Schmierengeschichten geworden, die heutzutage fast schon als salonfähig gelten. Mit dem Riesenunterschied, dass es damals ein ganz heißes Thema gewesen wäre. Eines, das Existenzen vernichtete, das zur Ächtung führte.

Die Entkriminalisierung von Homosexualität fand in den Vereinigten Staaten in kleinen Schritten statt. Nach dem zweiten Weltkrieg begann eine Art Emanzipation  mit einer der Zeit angemessenen verstärkten Aufmerksamkeit und wachsenden Toleranz, aber in vielen Bundesstaaten konnten homosexuelle Handlungen noch bis 2003 bestraft werden. Illinois freilich war da deutlich fortschrittlicher. Als erster Bundesstaat schaffte er sein Gesetz gegen Sodomie ab. Darunter fiel auch Homosexualität.

Anders, als man denkt – Und kolossal gut

1962 war das. Im gleichen Jahr starb Laughton im Alter von dreiundsechzig an Krebs. Zwei Jahre zuvor verkörperte er noch den Gracchus an der Seite von Kirk Douglas in Spartacus. Seine wohl auch jüngeren Filmfans bekannte schauspielerische Glanzleistung als Strafverteidiger Sir Wilfried Roberts in Zeugin der Anklage unter der Regie von Billy Wilder lieferte Laughton fünf Jahre vor seinem Tod. Seit 2008 gilt der Film als eines der größten gedrehten Gerichtsdramen aller Zeiten. Neben Marlene Dietrich (natürlich Hauptrolle!) spielte auch Elsa Lanchester mit, die in insgesamt zwölf Filmen gemeinsam mit ihrem Ehemann vor die Kamera trat. In „Witness for the Prosecution“ (Originaltitel) ist sie die gestrenge Krankenschwester Miss Plimsoll, die sich um Sir Roberts kümmert. Der soll sich nach einem erlittenen Herzinfarkt schonen und steigt stattdessen kämpferisch als bulliger, brillanter Anwalt in den Ring. Und alles ist anders, als man denkt. Kolossal gut.  

Elsa Lanchester überlebte ihren Mann um einundzwanzig Jahre, starb mit vierundachtzig. Wohl als seine ewige Verwandte im Geiste. Lanchester und Laughton, das waren offenkundig zwei freie, kreative Seelen, die miteinander auf ihre ganz spezielle Art verschmolzen gewesen sind, um Eins zu sein, ohne die Definition des eigenen Ichs aus den Augen zu verlieren. Und die klammerte  ja auch die Erfüllung sexueller Bedürfnisse irgendwo, irgendwie mit irgendwem keineswegs aus.

Klingt abgehoben. Ist es auch. Tatsächlich klingt es nach einer ganz besonderen Traumbeziehung. Falsch? Richtig?  

Man sollte sie verfilmen. Mit Naomi Watts als Elsa und Brandon Fraser als Charles. Das wäre eine gute Geschichte. Ist eine gute Geschichte.

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