Nachtkurier

Nachtkurier: Oh eile, Katze, eil‘ herbei, und hilf mir bei der Zauberei!Nachtkurier:

Zum Fressen geboren, zum Kraulen bestellt
in Schlummer verloren gefällt mir die Welt.
Ich schnurr’ auf dem Schoße, ich ruhe im Bett
in lieblicher Pose, ob schlank oder fett.
(Johann Wolfgang von Goethe)

Hübsch selbstgefällig spricht die Katze aus des Dichters Munde.Sie weiß, was ihrem Gaumen gefällt. Sie weiß nicht, wie ihr eigenes Fleisch schmeckt. Im Süden Chinas und im Norden Vietnams weiß man das aber sehr genau: „Eigenartig süßlich“ soll es sein. Den Magen erwärmend. Und von „schlabbriger Textur“. Gegessen werden Fleisch und Innereien, den Kopf trennt man ab und wirft ihn weg. Wie beim Fisch.

Speisekatze auf dem Teller. Da schüttelt es einen durch. Wir wollen das gar nicht wissen. Vielleicht wollen wir so recht auch nicht wissen, dass mittelalterliche Naturwissenschaftler von diesem Gericht abgeraten haben, weil allein der Gedanke daran uns so gar nicht behagt. Der Verzehr sei gesundheitsschädlich, erklärte man, weil Katzen Schlangen- und Krötengift lecken und dadurch ihr Fleisch vergiften würden. Ein Ammenmärchen zwar, grundsätzlich aber gut für die Katze, weil sie wirklich nur in extremer und alternativloser Hungersnot geschlachtet wurde. Schlecht für sie war, dass grundsätzlich gescheite Koryphäen auf dem Gebiet der Natur- und Heilkunde wie bereits die berühmte Heilerin, Dichterin und Äbtissin Hildegard von Bingen (1098 – 1179) der Katze eine gewisse Affinität für das Übernatürliche und eben auch Angstmachende zusprachen.

„Die Katze ist mehr kalt als warm; sie zieht üble Säfte an, fürchtet sich nicht vor Luftgeistern und diese sich nicht vor ihr.“ (Von den Tieren“, Buch VII, Kap. XXVI)

Hexe und Katze

Nun verbreitete die Vorstellung von Geistern und Spukwesen ewig schon Schrecken, zumal man sich damals als meist sehr einfach strukturierter Mensch auf das verlassen musste, was einem von ganz oben, sprich Staat und Kirche, als Recht und Wahrheit verkauft wurde. Die Katze, Ursprungsland Nordafrika, nach Mitteleuropa vermutlich mit den Kelten eingewandert, galt zwar seit um die 500 nach unserer Zeitrechnung in heimischen Gefilden als weit verbreitetes Haustier. Sie diente aber deutlich eher nützlichen Zwecken wie dem Ratten- und Mäusefang denn dem Wunsch nach geselliger Gemeinsamkeit zum tierischen und menschlichen Wohle. Echte Zuneigung verlor gegen Unwissen und Skepsis, viel zu suspekt waren den bescheidenen christlichen Gemütern die in der Dunkelheit „glühenden Augen“ der Kazza (Katze im Mittelalter), die sich in der Nacht, wenn die zumindest vermeintlich Unschuldigen und Frommen schlafen, herumtrieb, mit den Schatten schlich und jagte. Geheimnisvolles umgab sie. Gar Furchteinflößendes, weil ihr selbst bestimmtes Verhalten dubioses Zeug denken und glauben ließ.

Katze und Eule

Teufelstier, Hexenfreund raunte man. Sprach es laut aus. Brüllte es. Und die Katze zahlte dafür, dass sie derart an den Haaren herbeigezogen verkannt und beschuldigt wurde, einen fürchterlichen, einen grausamen Preis. Das gemeine Volk wurde zu ihrem Henker mit Gottes angenommener Zustimmung. Die Katze, verschrien als dämonisches Untier, befand sich im Mittelalter auf schier ewig andauernder Flucht, ihr Bestand reduzierte sich radikal. Während die Pest, die mehr als 20 Millionen Tote in Europa forderte, im 14. Jahrhundert wütete, war der Mangel an Katzen als Rattentöter vermutlich mitverantwortlich für die rasche Ausbreitung des schwarzen Todes. Gewusst hatte man das so natürlich nicht. Verbleibt auch die Frage, ob es die Teufelsfurcht geschmälert hätte, wenn allgemein bekannt gewesen wäre, dass ausgerechnet der natürliche Feind der Ratten als Zwischenwirte des Pesterrregers in jener engstirnigen, schrecklichen Zeit erbarmungslos gejagt wurde.

Unheil lauerte fortan für die Katze in jeder Ecke. Und es sollte nicht besser, nur noch sehr viel düsterer werden: 1484 erließ Papst Innozenz VII. ein Dekret mit der Forderung, alle Katzenhalter wegen Hexerei, Buhlschaft mit dem Teufel in Katzengestalt und damit verbundener Satansanbetung zu verbrennen.

An dieser Stelle, die wirklich wahrlich Böses verkündet, sei eine tröstende Atempause gewährt. Tierfreunde sind sensibel. Und diese Lektüre kann es nicht sein. Aber wir wissen, wo wir uns befinden. Wir vergessen es auch nicht, während wir nochmals in Goethes Studierstube blicken, in der seine Katze wohlig schnurrte, während er vergnüglich lebendige Verse über sie dichtete.

So gelte ich allen als göttliches Tier, sie stammeln und lallen und huldigen mir, liebkosen mir
glücklich den Bauch, Öhrchen und Tatz – ich wählte es wieder, das Leben der Katz.

Wie hier die Katze kokettiert. Wie sicher sie sich ist. Wie selbstverständlich es ihr vorkommt, göttliches Tier zu sein. Als würde es ihr im Blut liegen, das Hoheitsvolle, das ihren Urahnen die Pforte zum Olymp der Anbetungswürdigen öffnete. Freilich ist das lange her, auch, wenn enthusiastische Katzenliebhaber heute und hier ähnlich empfinden mögen. In Nordafrika erfuhren domestizierte Falbkasten seit 1.500 vor Christus ein immens hohes Ansehen. Die Mäuse- und Rattenfänger waren die Erhalter der Getreidevorräte, die Bewahrer der Familien vor Hunger und Not. Siebenhundert Jahre später erblühte der Katzenkult der Göttin Bastet im unterägyptischen Bubastis. Dort fand man bei archäologischen Ausgrabungen mehr als 180.000 Katzenmumien. Die göttliche Verehrung ging nicht nur über den Tod hinaus, sie wurde auch als Beweis einer Unantastbarkeit dieser absoluten Wertschätzung für die Nachwelt erhalten.

Katze und Maus

Auch in den Römersiedlungen an Rhein und Mosel in den ersten Jahrhunderten nach unserer Zeitrechnung gehörte die Katze zum familiären Alltag, ganz normal, ohne übertrieben verherrlicht zu werden, aber eben weiterhin ohne fanatisch exerzierte Missdeutung ihres Charakters. Sie hatte den Status der geschätzten Vorratsbewacherin, wurde respektiert und angesehen als ein besonderes Tier mit zweifellos eigener Seele. Und auf gar keinen Fall mit der Seele des Teufels.

Mit dem Mittelalter begann das echte Grauen. Und damit auch die Finsternis für die Katze. Menschen, die sich Katzen hielten, wurden mit dem Segen der Kirche gemieden, verfolgt, angezeigt. Kurz, wahr und grausam genannt: Wenn ihre Herrin oder ihr Herr, verurteilt als Hexe(r), brennen musste, brannte auch die Katze. Einer des Ehebruchs beschuldigten Frau machte man gemeinsam mit ihrer Katze den Prozess: Beide steckte man bei (meist sehr fragwürdigem!) Schuldspruch lebendigen Leibes in einen Sack, der zugenäht wurde, und ertränkte sie.

Die Katze als Abbild Satans und getreue Dienerin übler Mächte wurde geächtet. Gehetzt. Lebendig eingemauert oder vergraben, gequält, gefoltert und ins Feuer geworfen. Im „Hexenhammer“ (1468), dem schrecklichen Kultbuch der Scheinheiligen, gilt sie als „Sinnbild des Ungläubigen“. Berichtet wird dort auch von Hexen, die des Nachts in Katzengestalt umherstreifen mit Grauenvollem im bösen Sinn.

Katzen wurden als Ketzer angeklagt in jener Zeit, in der die Menschen überzeugt davon waren, dass ein Gürtel, aus der Haut eines Hingerichteten genäht, die Verwandlung in einen Werwolf ermögliche, dass eine lebendig über die Tür genagelte Fledermaus Unglück abwende, dass die Anzahl der Kuckucksrufe im Frühjahr einem sagen würde, wie lange man noch zu leben habe, und dass zuviel verdorbenes Obst zweifellos auf die schwarze Magie der alten Nachbarin zurückzuführen sei. Betagte, einsame Frauen hielten sich in jenen dunklen Tagen gern eine Katze als Mitbewohnerin, und die wurde als Verbündete einer als Hexe Denunzierten gleich mit verhaftet. Das Todesurteil galt für beide, für die „Hexe“ und die „Teufelskatze“.

Im Zuge der Hexenverfolgung in Europa, die ihren Höhepunkt von 1550 bis 1650 hatte, wurden drei Millionen Menschen wegen angeblicher finsterer Machenschaften verhaftet. 40.000 bis 60.000 von ihnen, absolut mehrteilig Frauen, wurden hingerichtet. Zahlreiche von ihnen zusammen mit ihren Hexenschwestern und Satansbrüdern, den Katzen.

Zaubersprüche, die mancherorts heute noch zumindest in ähnlicher Form bekannt sind und die uns zwar geheimnisvoll, aber doch recht harmlos erscheinen, tragen ihre blutigen Wurzeln im mittlelalterlichen Aberglauben:

Ob Tag, ob Nacht, Du hast die Macht. Oh eile, Katze, eil‘ herbei, und hilf mir bei der Zauberei. Zauberstab und Katzenmut, Zaubergeister, helft jetzt gut.“ (Urheber unbekannt)

Katzen waren in der Vorstellung der Gottesfürchtigen aber nicht nur die Hexenhelfer, vermeintlich gewährten sie mancherorts bis ins 19. Jahrhundert hinein auch einen „Schutzzauber“ des Hauses und der Familie vor bösen Unwesen. Richtung Osten wurden tote Katzen unter den Dielen, vorzugsweise direkt am Kamin, dem von Geistern und Damönen bevorzugten Besucherportal, vergraben. Gelegentlich werden heute noch bei Bau- und Restaurarierungsarbeiten an alten Häusern, sogar in Kirchen, mumifizierte Katzen gefunden. Die „Schutzzauberer“ waren ertränkt oder per Genickbruch getötet worden, das Fell sollte unversehrt bleiben, um es wirtschaftlich nutzen zu können für Mützen und Mantelfutter. Und für die „Geldkatze“ (Beutel).

Wie das Fell, so der Rest der Katze!

Und möge der Warmherzige und allzu Weiche hier und jetzt und überhaupt die vorherrschende Nüchternheit nachsehen, aber es war alles so, ist nicht ausgedacht und nicht im eigenen Sinne.

Katzenblut sollte heilend bei Lungenkrankheiten wirken, der pulverisierte Kopf bei Sehschwächen, Katzenkot angeblich Wunder bewirken bei Kahlköpfigkeit. Katzendarm diente der Herstellung von Saiten für Streichinstrumente und als chirurgisches Nähgarn.

Die wohl immer noch geläufigste magische Formel, – „Abrakadabra, dreimal schwarzer Kater“ – , geht zurück auf einen alten Schwindelzauber gegen Fieber und Malaria, den der römische Medizinschriftsteller Quintus Serenus in seinen Schriften erwähnt:

Abra cadabra ter nigri felis!“

Die schwarze Katze! Sie galt als besonders gefährlich für menschliches Seelenheil, stand für das definitiv Dämonische, war die Mega-Komplizin des Teufels. Mystisch, geheimnisumwoben wirkt die schwarze Schönheit allemal. Und erfährt seit Hunderten von Jahren Misstrauen, Scheu und Abneigung bis hin zu Hass, weil menschliche Dummheit und Einbildung ihren Charakter abgrundtief verzerren.

Ein abscheulicher Brauch, der sich beschämenderweise noch gehalten halt, als das Mittelalter lange, sehr lange schon vorbei war, sei hier genannt: Am Tag des Heiligen Johannes, 24. Juni, wurden schwarze Katzen als „teuflische Wesen“ bei lebendigem Leib ins Johannisfeuer geworfen. Hatte das Fell eine weiße Stelle, so war die Katze unbrauchbar für das Ritual. Exemplare mit einem weißen Fleck, im Brustbereich , an Ohren oder Pfoten, gelten heute als die Überlebenstypen unter den schwarzen Katzen. Tragen aber weiterhin die Bürde, für Ungutes zu stehen.

Als Unglücksbringerin hat die schwarze Katze im Kopf der Abergläubischen immer noch einen festen Platz, vor allem, wenn sie einem am frühen Morgen ausgerechnet noch von links begegnet. Die Furcht davor, dass einem anschließend Ungutes widerfahren würde, hat eine uralte Quelle: Die linke Seite wurde von der Kirche als die schlechte, falsche festgelegt. So steht in der Bibel, dass beim Jüngsten Gericht die Guten rechts, die Schlechten links stehen müssen.

Edgar Allan Poe erzählt von einem schwarzen Kater. Es ist eine wirklich düstere, schaurige Geschichte, in der das Tier letztendlich dem Menschen in seiner Schlechtigkeit gegenüber auftrumpft. Einfach gesprochen. Natürlich öffnen sich psychische Abgründe genial erschreckender Denkweise. Faktum ist aber: Der Kater bringt den Mann an den Galgen. Oder auch sein eigener Irrsinn, der ihn mit Geistern ringen lässt, die ihn nicht loslassen. Oder eben beides.

Rächen Tiere sich? Oder, im Speziellen gefragt: Würde eine Katze sich für schlechte Behandlung revanchieren? Noch spezieller gar: Könnte eine Katze eine Menschen tatsächlich umbringen? Nicht auf spirituelle Art vernichten, sondern wie ein Raubtier angreifen und töten? Man sagt, die Katze sei dem Löwen ähnlich. In Trägheit gleichwohl wie in Aktion. Im Spiel. Im Wohlgefühl. In der Gereiztheit. In den Launen. Im Argwohn. Im Angriff?

Gott schuf die Katze, damit der Mensch einen Tiger zum Streicheln hat. (Victor Hugo)

In Fachkreisen wird durchaus die Theorie vertreten, dass die Katze töten würde, wenn sie deutlich größer wäre. Auch die Menschen, die sie füttern und kraulen. Es käme dabei natürlich immer auf die Situation an. Wobei eine tatsächliche Mordabsicht eher selten gegeben wäre. Es würde dann einfach passieren.

Trauert die Katze?

Liebt sie? Vergisst sie, erinnert sie sich?

Wer ist sie? Ist sie viel, mehr, alles?

Das Leben und dazu eine Katze, das gibt eine unglaubliche Summe.“ (Rainer Maria Rilke)

Eine Wahrheit sei noch rasch erzählt:

Auf dem Nordfriedhof, ganz in der Nähe unserer Familiengräber, befand sich eine wild bewachsene Gruft unter einer prächtigen Trauerweide. Ein sehr großer, grauer Grabstein stand dort, schon recht verwittert, und auf ihm saß eine schwarze Katze. Sie war immer da, wenn ich mit meiner Großmutter am frühen Samstagabend über den Friedhof ging, um die Toten zu besuchen. Lange Zeit war das jeden Samstag unser Weg, und jedes Mal hockte die schwarze Katze wie festgewachsen oben auf dem Grabstein. Sie rührte sich nie, sie saß nur da in aller Ruhe und sah uns an. „Sie wacht“, sagte meine Großmutter. Ich fand es gut, dass sie dort war. In der Sonne glänzte ihr Fell wie feiner Lack, und in der Dämmerung funkelten ihre Augen wie die allerschönsten Smaragde. Die Katze schien es nie eilig zu haben, nie auf dem Sprung zu sein. „Sie wartet“, sagte meine Großmutter. Kurz darauf starb sie.

Ich besuchte ihr Grab regelmäßig, und immer, wenn ich dort war, war auch sie da. Die schwarze Katze. Sie saß oben auf dem Stein, saß nur da in aller Ruhe und sah mich an. Und ich flüsterte: „Wachst du? Oder wartest du?“

Die Geschichte endet hier. Sie ist extrem kurz, das muss so sein, weil jeder für sich selbst entscheiden sollte. Ist sie denkwürdig oder banal, seltsam oder einfach nur typisch, weil Katzen eben so sind?

In alten Zeiten wurden Katzen als Götter verehrt; das haben sie nicht vergessen.“ (Terry Pratchett, englischer Fantasy-Schriftsteller, 1948 – 2015)



Karin Reddemann

Karin Reddemann

Karin Reddemann, Jahrgang 1963, Studium Germanistik/Romanistik, Journalistin und Autorin; von 2015 - 2018 Redakteurin im Phantastikon-Magazin; Mitarbeiterin beim Online-Magazinn Fantasyguide; Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien, Buch Gottes kalte Gabe, Dr. Ronald-Henss-Verlag Saarbrücken (auch e-books).

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