Ob Fahrenheit 451 oder Der Name der Rose – eine Bibliothek spielt in der Literatur selbstverständlich immer eine große Rolle. Interessanterweise gibt es in einer Zeit, da man für jedes Setting auch einen eigenen Genrebegriff parat hat, keinen, der sich Library Fiction oder Library Fantasy nennt. Aber den sollte es durchaus geben.
Zugegeben, meist dominiert in Geschichten über Bücher und Bibliotheken vorrangig ein anderes Genre wie etwa die Urban Fantasy oder schlicht der Thriller. Bibliotheken sind also Genreübergreifend. Ihr Stellenwert und ihr Einsatz unterscheidet sich am Ende wohl doch zu sehr voneinander, um daraus ein eigenes Genre zu schmieden.
Und trotzdem: Wenn in einer Urban Fantasy-Story Vampire die Hauptrolle spielen, spricht man von Vampire Fantasy. Oder nehmen wir den Steampunk, der ja grundsätzlich nicht von der Urban Fantasy zu trennen ist, aber aufgrund seiner spezifischen Eigenheit dann doch eher der Science Fiction zugerechnet wird.
Bibliotheken fühlen sich natürlich schon durch ihre Ausstrahlung wie magische Orte an, das liegt in ihrer Natur. Die zahlreichen Bücher, die dort zu finden sind, beinhalten die Möglichkeit, ihre Leser in wunderbare Welten zu entführen. Terry Pratchett brachte es einst auf den Punkt, als er sagte:
“Sie dachten, die Bibliothek sei wegen all der magischen Bücher ein gefährlicher Ort…. aber was sie wirklich zu einem der gefährlichsten Orte machte, war die einfache Tatsache, dass sie eine Bibliothek war…”
In vielen Romanen verwandeln sich die vielfältigen Möglichkeiten, die ein Raum voller Bücher bietet, in literarische Magie, wobei Bibliotheken die Türen zu unendlichen anderen Welten darstellen. Als Navigatoren dieser grenzenlosen Reiche besitzen fiktive Bibliothekare nicht selten auch magische Kräfte. Sie scheinen die einzigen zu sein, die die mystischen Geheimnisse der Bibliothek wirklich verstehen können.
Autoren, die sich an Bibliotheken als Schauplatz ihrer Arbeit orientieren, scheinen angesichts ihrer offensichtlichen Liebe zur Literatur völlig natürlich zu sein. Aber die Darstellung einer Bibliothek als mystischen Ort gefährlicher, realitätsbeugender Geheimnisse, oder von Bibliothekaren als Spione, Krieger und interdimensional Reisenden zeigt nicht nur die Liebe zum Wort, sondern auch die Sehnsucht nach jenen Orten, an die sie uns bringen können – und nach den unzähligen Geheimnissen, die sie besitzen. Die Bibliothek, und ihre oft magischen Qualitäten in der Literatur, verdeutlichen die Vorstellung, dass Wissen Macht ist.
Der Bibliothekar (Terry Pratchett / Scheibenwelt)
Beginnen wir mit dem bereits erwähnten Terry Pratchett und seinem Bibliothekar Dr. Horace Dusselhut, der die Bibliothek der unsichtbaren Universität leitet. Er ist wahrscheinlich einer der berühmtesten fiktiven Bibliothekare. Einst ein menschlicher Zauberer, verwandelte er sich durch Magie in einen Orang-Utan und wollte nicht wieder zu einem Menschen zurück verwandelt werden, denn seine gegenüberliegenden Zehen sind für ihn nützlich, um damit Bücher zu sortieren und neu zu lagern. Abgesehen von seinem zufälligen Artenwechsel zeichnet sich der Bibliothekar dadurch aus, dass er auf den B-Raum zugreifen und dort navigieren kann. Dabei handelt es sich um eine interdimensionale Zone, die alle Bibliotheken und alle Bücher miteinander verbindet.
Er kann in der Zeit zurückgehen, um zu sehen, wann bestimmte Bücher gestohlen wurden, oder unbezahlbare Texte vor der Zerstörung durch das Feuer bewahren.
Irene Winters (Genevieve Cogman / Die unsichtbare Bibliothek)
Irene ist eine Mischung aus einer Sammlerin seltener Bücher und einer Spionin. Als Mitarbeiterin der unsichtbaren Bibliothek muss sie in zahlreiche Paralleluniversen reisen und um jeden Preis seltene Bücher sammeln, die einzigartig in dieser Welt sind. Bewaffnet mit der Sprache, die magische Form einer universellen Ausdrucksart, die die Realität um sie herum verändern kann, erfüllt Irene ihre Aufgaben. Das gelingt ihr nicht etwa wegen ihrer besonderen Kraft oder der Fähigkeit, die Abläufe der Welt zu verändern, in die sie eintritt, sondern weil “der tiefste, grundlegendste Teil ihres Lebens die Liebe zu Büchern beinhaltet”.
Die Cheshire Katze (Jasper Fforde / Thursday Next)
Die Welt von Jasper Ffordes Thursday Next-Serie dreht sich natürlich ebenfalls um Bücher. Dabei ist Thursday Next in ihrer Welt eine Literaturdetektivin, die die Aufrechterhaltung des Friedens zwischen den kriegerischen Shakespeare-Wissenschaftlern, die ungebärdig fiktiven Charaktere, gefährliche Handlungsstränge und Ausbrüche des Mispeling Vyrus überwacht (sich einschleichende Rechtschreibfehler). Obwohl sie technisch gesehen keine Bibliothekarin ist, dient ihr die Cheshire Cat (oder die Katze, die früher als Cheshire Cat bekannt war) als Führer auf den 52 Ebenen und 26 Kellern der Großen Bibliothek. Die Katze hilft ihr, die Bücher zu finden, durch die sie springen muss, um die Ordnung zwischen den Genres zu erhalten. Vermutlich ist ihre Fähigkeit, überall nach Belieben auftauchen und auch wieder verschwinden zu können, sowohl für die Navigation in diesem riesigen, ständig wachsenden Gebäude, als auch für das Erreichen der höchsten Regale sehr nützlich.
Lirael (Garth Nix / Lirael: Das alte Königreich Bd. 2)
Die Bibliothek des Clayr in Garth Nix’ Lirael ist ein gefährlicher Ort, ein Aufbewahrungsort nicht nur für Bücher, sondern auch für zahlreiche unermessliche Übel: Heruntergekommene Kreaturen, alte Zauber, die sich aufgelöst hatten oder unberechenbar wurden, mechanische Fallen, sogar vergiftete Buchbindungen. Bei der Rekrutierung erhalten die Bibliothekare magische Dolche und werden angewiesen, eine Pfeife bereit zu halten, um Hilfe zu rufen, wenn sie jemals von den gefährlichen Bewohnern der Bibliothek angegriffen werden. Lirael selbst trotzt zahlreichen Monstern in ihrer Eigenschaft als Bibliothekarin, wie den seltsamen, insektenartigen Stilken. Liraels Beziehung zur Bibliothek ist ebenfalls bemerkenswert: Für sie ist es der Ort, an dem sie Zuflucht und Akzeptanz findet, und an dem sie zu ihrer engste Freundin, der sogenannten Fragwürdigen Hündin gelangt. Die Bibliothek ist ihre Möglichkeit, dem Druck ihres Lebens im Clayr zu entkommen und die Weisheit und Stärke unter den Bücherstapeln zu finden, die ihr wahres Schicksal freisetzt – als jemand, der auf lebendige Erinnerungen an die Vergangenheit zurückgreifen kann.
Dewey Denouement (Lemony Snicket / Eine Reihe betrüblicher Ereignisse)
Lemony Snicket ist ein mysteriöser Autor, der vor allem als Erzähler von „Eine Reihe betrüblicher Ereignisse“ bekannt ist. In dieser Reihe porträtiert er das Leben der drei Kinder von Beatrice Baudelaire und dokumentiert ihre tragischen Erlebnisse.
Das Buch beginnt damit, dass die drei Kinder der Baudelaires die niederschmetternde Nachricht erhalten, dass ihre Eltern bei einem schrecklichen Brand ums Leben gekommen sind, der auch ihr schönes Haus zerstört hat. Die Kinder, die nun Waisen sind, wurden vorübergehend in die Obhut eines Bankiers namens Mr. Poe gegeben, der für ihr riesiges Vermögen verantwortlich ist. Dann erhalten sie die Nachricht, dass sie zu ihrem neuen Vormund Graf Olaf ziehen werden. Wird er nett sein? – denken sie beunruhigt. Ich muss leider sagen, dass die Antwort auf diese Frage ein klares Nein ist!
Graf Olaf ist der furchtbarste, grausamste Mensch, den man sich vorstellen kann. Er hat eine lange Augenbraue und ein seltsames Augen-Tattoo auf seinem linken Knöchel, was die Baudelaire-Waisen aus guten Gründen nie vergessen werden…
Während Lemonys Figur Dewey nicht die Fähigkeit zur eigenen Magie besitzt, hortet er arkanes Wissen, wie etwa die mysteriöse Zuckerdose, in seiner Bibliothek, die unter dem Teich vor dem Hotel Denouement versteckt ist.
Er hat sein Leben nach bibliothekarischer Wissenschaft gelebt, indem er sein Hotel nach dem Dewey-Dezimalsystem organisiert (also nach seinem Namensvetter), und einen Bibliothekskatalog mit Beweisen erstellt hat, die gegen jedes schurkische Mitglied des mysteriösen VFD ( Volunteer Fire Department) eine Handhabe bieten (einschließlich einer Verzeichnung der 27 Kuchen, die der schreckliche Graf Olaf gestohlen hat).
Laut Dewey werden alle Informationen in Unterwasserräumen archiviert, die wie „ein Spiegelbild des Hotels selbst“ organisiert sind. Nach dieser Tatsache zu urteilen, ist die Bibliothek höchstwahrscheinlich die beste Möglichkeit, die brandstiftende Seite des Volunteer Fire Department zu verfolgen.
Das waren fünf Bibliothekare der Fantasy – und es gibt natürlich eine Menge mehr. Es ist gar nicht ausgeschlossen, dass wir eines Tages auf dieses Thema zurückkommen werden, aber vielleicht seit ihr ja auf eine der genannten Serien neugierig geworden.
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