Nachtkurier

Familie Gämperl: So war das

Es gibt diese Geschichten, die irgendwie Steine schlucken lassen. Die so verstörend unangenehm sind, dass man sich schüttelt und denkt, dass das alles jetzt so irgendwie nicht wahr sein kann. Sollte. Dürfte. Ist es aber. Es ist so echt wie das zerbeulte Auto im Straßengraben. So wahr wie das Kreuzzeichen der alten Witwe, die seit zweiundzwanzig Jahren keine Farben trägt und dreimal über die rechte Schulter spuckt, wenn von links eine schwarze Katze kommt. So wahr und echt wie das Morden, die Folter, die unsinnigen Geständnisse, die abstoßende Zusatzstrafe und der Feuertod der Pappenheimer. Auf die stößt man, wenn man in Berichten über historische Serienmörder blättert. Die erwischen einen eiskalt. Und packen zu in der Nacht, die keinen Schlaf gönnen will, nur diesen finsteren Film zulässt, der sich immer wieder abspult, jeglichen Protest ignoriert, das Grauen rechtfertigt, das Entsetzen bespöttelt: So war das eben. Damals. Fertig.

Zimperlich war man Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts wahrlich nicht. Und wenig verwöhnt, was den Unterhaltungswert betraf, den das eigene Leben auf so kaltherzige, unfaire Art entbehrte. Wanderzirkus, Pranger, Laientheater. Gaukler, Diebe, Mörder, Huren, Kräuterweiber. Wunderheiler. Schmerzen. Schreie. Galgen und Schafott für das kriminelle Pack. Scheiterhaufen für das Hexergesinde. Der Rest war trister, harter Alltag.

Makabre Höhepunkte grauer Jahre

Eine öffentliche Hinrichtung wie die der Familie Gämperl, genannt „die Pappenheimer“, gehörte zu den makabren Höhepunkten der grauen Jahre. Horrorspekakel pur, wie es sich der abgeklärteste Splatter-Filmemacher nicht besser, da krasser ausdenken könnte. Zumal Vater Paulus, Mutter Anna und die Söhne Gumprecht und Michel zuvor sogenannte „Strafverschärfungen“ auferlegt worden waren. Was das bedeutete, will niemand wirklich wissen, der immer noch gern an gute Feen, eine gewisse Humanität und den Sinn der Anästhesie glauben möchte.

Zuvor hatte der kleine Hänsl ausgesagt, was er gesehen hätte. Kindshändln. Bei seinen Brüdern Gumprecht und Michel. Abggeschnittene Hände von ungetauften toten Kindern, mit denen Hexer über Geschwüre streichen, um sie verschwinden zu lassen. Und, – darauf kam es vor allem an – , mit denen sie des Nachts verschlossene Türen und Kirchenportale öffnen, um zu räubern. Sieben Händln seien es gewesen, sagte er. Hänsl Gämperl, jünster Spross der Pappenheimer, weinte. Man hatte ihn zuvor mit der Rute gezüchtigt. Der Junge hatte große Schmerzen. Noch mehr Angst. Und wusste wohl genau, dass sie alle sterben würden. Einen ganz und gar fürchterlichen Tod.

„Wer die Qualen der Folter aushalten kann, sagt die Wahrheit nicht. Wer sie nicht aushalten kann, auch nicht.“ (Michel de Montaigne, frz. Philosoph, 1533 – 1592)

Getauft sei er nicht, sagte Hänsl, und seine Mutter Anna habe ihn schwarze Magie gelehrt. Zum Hexensabbat hätte sie ihn mitgenommen. Und Hänsl weinte wohl noch mehr, damals, im Verhörraum des Münchner Rathauses anno 1600, in dem die „peinlichen Befragungen“ durchgeführt wurden. Hänsl blieb (noch!) Schlimmeres erspart als die eiserne Rute. Er war ein furchtsames Kind. Das Kind von einfachen, wenngleich kriminellen Leuten. Er redete.

Unheilvolle Weltanschauung

Ich stellte mir das alles vor und verbannte „die Pappenheimer“ in diese finstere Ecke. Hier steckt das Grauen. Der Horror. Hier gehören sie hin. An die errichteten Scheiterhaufen, wo man den Korb für abgetrennte Körperteile, Blasebälge und die Pfannen mit glühender Holzkohle platziert hatte. Den Männern wurden mit Zangen die Brüste und Bizeps herausgerissen, sie wurden gerädert, auf widerliche Art kastriert. Anna schnitt man mit eiserner Schere die Brüste ab, Symbol für den Fortbestand der Familie, eine im damaligen Bayern durchaus gebräuchliche, besonders harte Strafe. Paulus wurde gepfählt und lebendig aufgespießt in den Holzstapel zu seinen Söhnen und seiner Frau gesteckt, den man dann mit Pechfackeln entzündete.

Vorerst verschonte man den kleinen Hänsl . Freilich musste er sich das alles mit ansehen, festgebunden auf einem Pferd, scharf beobachtet vom Bußamtmann. Hänsl wurde nur wenige Monate später nach einem zweiten Prozess gemeinsam mit weiteren Person aus dem Umfeld seiner Familie zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.

Das ist alles ausnahmslos grausam. Und obgleich die Pappenheimer selbst brutal gemordet haben, obgleich es diese seltsame, düstere Zeit mit ihren eigenen Idealen, ihrem eigenen Irrsinn war …Menschen solch entsetzliche Qualen vor der Vollstreckung ihrer Todesurteile auszusetzen, um die aufgebrachte, nach Vergeltung und damit verbundenem Spektakel lechzende Meute zu befriedigen, ist eine dieser unheilvollen Weltanschauungen, die ich nie verstehen werde.

Weil es Mode war: Hexenprozess gebastelt

Weil sie als Verbündete des Teufels gelten sollten, nicht als gewöhnliche Diebe und Totschläger, wurden die Pappenheimer so penetrant grausig verhört und verstümmelt, bevor man sie 1600 vor dem Münchner Rathaus verbrannte. Aus dem ursprünglichen Mordprozess hatten der berüchtigte Inquisiteur Alexander von Haslang und Kommisar Wangereck einen Hexenprozess gebastelt. Kein Geniestreich. Zeitgeist. Es war Mode. Ganz einfach.

An dieser Stelle bekenne ich, mich in meiner Heimatstadt mit einem unrühmlichen Rekord konfrontiert zu sehen: Im Vest Recklinghausen wurden in der Zeit von 1514 bis Ende des 17. Jahrhunderts mit Quellennachweis 130 „Hexen“, darunter 26 Männer, auf abartigste Art gefoltert und, – mit wenigen Ausnahmen – , getötet. Das gilt als höchste Zahl der Hexenverfolgungen im engeren westfälischen Raum.

Die 80jährige Witwe Koppers war eine der Bedauernswerten, die unter qualvollemem Druck und nach erlittener Tortur wohl so ziemlich alles gestanden hatte, was ihr so im Leben nicht in den Sinn gekommen wäre. Die alte Frau gab Gottesverleugnung, die aktive Teilnahme an Hexenorgien und intimen Kontakt mit dem Teufel zu. Dafür wurde sie verbrannt. Dazu sagt ein für seinen interessanten Überblick bekannter Allround-Versteher von eigener Gnade: „Folter funktioniert. Absolut!“ (Donald Trump)

Und weil sie so absolut funktioniert, leugnete Familie Pappenheimer anno 1600 in München auch nicht wirklich lange. Letztendlich gestanden auch die Eltern anfänglich Bestrittenes „nach weiterem Zureden“, wie es in den Gerichtsakten vermerkt wurde: Anna hatte demnach ihren Jüngsten und auch den Michel, der sie bei seiner „Befragung“ im Folterkeller als berüchtigte Hexe denunzierte, schon im Mutterleib dem Teufel versprochen, und Vater Paulus erklärte, seine Frau habe ihn schon vor etlichen Jahren gelehrt, Pulver aus Kindshändln zu machen, das er auch auf Geheiß des Teufels mit seinen Haaren und seinem Zehennagel vermengt hätte, um mit dieser Paste Mensch und Vieh zu schaden. Nach weiterer Folter sagte er, auch bei seinen Söhnen mehrere Kindshändln gesehen zu haben, die für ihre Einbrüche an die Finger ein brennendes Kerzenlicht gesteckt hätten, dass dafür sorgen würde, dass niemand im Haus erwacht und um Hilfe schreit.

„Die Hände von ungetauften Kindern müssen es sein.“ So sagte es Paulus, der zwar etliche heimtückische Morde auf dem Gewissen hatte, – die er auch zugab – , der aber nach seiner Festnahme und ersten Verhören vehement betonte, mit Hexerei habe das, hätte er, hätten Frau und Söhne nichts zu schaffen. Nichts. Nie. Nur wenn die Folter funktioniert…dann schwört auch eine 80jährige Frau wie die Witwe Koppers, nackt um ein Feuer geflogen zu sein.

„Die Gefolterten sagen zu allem ja.“ (Friedrich Spee, Dichter und Gegner der Hexenprozesse, 1791 – 1635)

Mittelalterliche Serienmörder wie die Familie Pappenheimer waren in einer rauen, harten Welt zuhause. Menschen zu bedrohen, überfallen, sie zu quälen, abzustechen, auszurauben war vielerorts Tageswerk, die eigene Not mit brutaler Gewalt zu lindern ein Weg, den nicht wenige gingen. Der schwäbiche Familienclan, gesellschaftlich und sozial in die hinterste schäbige Ecke gestellt, eine Verbrecherbande, Abschaum im Volksmund, gehörte dazu. Seine Geschichte ist grau. Dreckig. Blutig. Auch traurig. Das ungute Ende war in die Wiegen gelegt.

Ungutes war in die Wiege gelegt

Um es irgendwie zu benennen: Die uns nunmehr bekannte Geschichte erzählt von Paulus, 1542 in dem kleinen Dorf Hüttlingen geboren, Sohn eines Leinwebers, seiner Frau Anna, Tochter eines Totengräbers, und den Söhnen Gumpprecht, Michel und Klein-Hänsl. Sie erzählt vom Betteln, von Brandstiftung, Kircheneinbrüchen, Überfällen und brutalen Morden. Von Hexerei als crimen exceptum (Ausnahmeverbrechen) erzählt sie grundsätzlich nicht. Und trotzdem erzählt sie lang und breit, mit perverser Phantasie und plakativer Abscheulichkeit davon. Paradox? Eher wohl auf schaurigste Art typisch.

Es sind entsetzliche Verirrungen des menschlichen Geistes gewesen.“ (Richard Wrede, Jurist und Autor, 1869 – 1932)

Vor Urzeiten war ich als Kind mit meinen Eltern in einem Folterkeller. Das war im Kriminalmuseum in Rothenburg ob der Tauber, und ich konnte meine Augen nicht von dem mit Nägeln bespickten Stuhl nehmen, der dort stand und wohl in seiner hässlichen Grausamkeit beschloss, meine Erinnerung niemals zu verlassen. Ich sehe ihn vor mir, und ich sehe eine Frau in zerlumptem Kleid mit strähnigem Haar, geschunden, blutend und schreiend auf ihm sitzen. Ich sehe Folter. Und ich höre das Wort, …

…das wir heute nur mit Entsetzen aussprechen und als Barbarei der Vergangenheit betrachten.“ (Franz Helbing, Gelehrter und Autor, 1854 – unbekannt)

Vergangen? Vorbei! Geglaubt? Gelogen!

Karin Reddemann

Karin Reddemann

Karin Reddemann, Jahrgang 1963, Studium Germanistik/Romanistik, Journalistin und Autorin; von 2015 - 2018 Redakteurin im Phantastikon-Magazin; Mitarbeiterin beim Online-Magazinn Fantasyguide; Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien, Buch Gottes kalte Gabe, Dr. Ronald-Henss-Verlag Saarbrücken (auch e-books).

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