Nur mal angenommen, wir lernen Menschen kennen, die uns normalerweise erschauern lassen würden. Weil sie gar nicht mehr da sein dürften. Es sind nette, ein bisschen seltsame, durchweg aber freundliche, aufmerksame, hilfsbereite Menschen. Gut so weit. Und dann finden wir Fotos von ihnen. Alte Post-mortem-Bilder. Echte Bilder, die unmittelbar nach ihrem Tod gemacht wurden. Eben Bilder von just Verstorbenen, die man im 19. und frühen 20. Jahrhundert zur Erinnerung an geliebte Familienmitglieder und innig geschätzte Freunde noch eilends anfertigen ließ und in Ehren hielt. Diese Bilder waren die oft einzigen Aufnahmen von ihnen, – die Fotografie, noch in den Kinderschuhen, war halt eine sehr kostspielige Angelegenheit – , und sie zeigten deren Leichen. Das war, salopp formuliert, ja auch besser als nichts.
Eine Geschichte über die Anderen weiterlesenKategorie: Filmjournal
Sophies Entscheidung
Sophies Geschichte ist furchtbar. Sie ist unfassbar traurig. Die Geschichte macht extrem betroffen. Auch extrem zornig. Und so verdammt hilflos, weil man sich unweigerlich selbst die schreckliche Frage stellt: Für welchen Menschen würde man sich entscheiden, könnte man nur einen retten? Wie verdammt glücklich dürfen wir uns schätzen, wenn wir niemals wählen müssen.
Von der jungen polnischen Mutter in Sophies Entscheidung wird das verlangt. Es ist der Zweite Weltkrieg, Sophie und ihre beiden Kinder Jan und Eva, sieben und vier Jahre alt, sind auf dem Weg nach Auschwitz. Ein SS-Arzt spricht sie vor der Rampe am Zug an. „Du bist so schön, ich möchte mit dir schlafen.“. Sie hat Angst, weicht aus, hält die Kleinen fest umklammert. Er wird wütend, fragt sie, ob sie „eine Polackin, eine dreckige Kommunistin?“ sei. Oder Christin? „Glaubst du an den Erlöser? – Du kannst eins deiner Kinder behalten. Los, wähle!“
Sophies Entscheidung weiterlesenDas Final Girl
Das „Final Girl“ ist eine zentrale Figur im Horrorfilm, insbesondere im Slasher-Genre. Sie ist die letzte Überlebende, die sich dem Mörder stellt, ihn besiegt oder zumindest überlebt. Ihre Ursprünge gehen auf Mari Collingwood in Wes Cravens kontrovers diskutiertem Film The Last House on the Left (1972) zurück, doch erst mit Laurie Strode in John Carpenters Halloween (1978) erlangte diese Trope Bekanntheit und popkulturelle Bedeutung.
Das Final Girl weiterlesenFlash Gordon (Dreigroschen im Weltraum)
Zunächst ein Zeitungs-Strip
Flash Gordon war nicht der erste große Science-Fiction-Held (John Carter und Buck Rogers kamen ihm zuvor), aber er war der erste, der ein multimediales Franchise hervorbrachte. Er erschien 1936 in den Kinos und inspirierte den Großteil des Genres, an dessen Spitze heute Star Wars steht.

Anfang der 1930er Jahre wollte King Features Syndicate einen Science-Fiction-Comic veröffentlichen, der mit dem wilden und beliebten Buck Rogers konkurrieren konnte. Einer ihrer Mitarbeiter, Alex Raymond, erhielt den Auftrag und entwickelte Flash Gordon, der 1934 erstmals in Zeitungen erschien. Wie Buck Rogers war auch Flash Gordon ein irdischer Actionheld, doch anstatt wie sein Vorgänger in die Zukunft geschleudert zu werden, reist Flash mit einer selbstgebauten Rakete zum bösen Planeten des Mongo, der die Erde bedroht.
Flash Gordon (Dreigroschen im Weltraum) weiterlesenHitchcock: Eine Dame verschwindet
Ich begrüße euch heute zu einer Buchbesprechung, die gleichzeitig eine Filmbesprechung ist. Das Interessante an Alfred Hitchcock ist nämlich, dass er einer der wenigen Regisseure war, die mit literarischen Vorlagen umgehen konnten und sie oft sogar besser gemacht haben als das, was im Buch stand. Ein solches Beispiel wollen wir uns heute genauer ansehen.
Hitchcock: Eine Dame verschwindet weiterlesenRaimis böse Hand und was aus ihr wurde
Der Koch-Horror-Kurztrip „Attack of the Helping Hand“ war kein Meilenstein in der Filmgeschichte. Kennt vermutlich auch kaum jemand. Ist aber eine spannende Sache, weil der sechsminütige Schauerstreifen als Erstlingswerk von Sam Raimi gilt. Der nun ist Schöpfer der legendären Evil-Dead-Trilogie und längst schon ein weltberühmter Filmemacher. Hat ergo recht bescheiden klein angefangen und wurde ziemlich schnell ziemlich groß. So kann’s gehen. Knapp zwanzig war Samuel Marshall Raimi, Literaturstudent aus Franklin in Michigan, als er gemeinsam mit seinem „Blutsbruder“ Bruce Lorne Campbell, dem Ash zu späterer Stunde, seinen Kurzfilm über eine mörderische Hand drehte.
In der Küche ging der Horror los

Wir schreiben 1979, Schauplatz Küche, Hauptdarsteller eine ahnungslose Hausfrau, die scheinheilige „Helping Hand“ und ein trotteliger Milchmann, gespielt von Raimi persönlich. Die „helfende Hand“, als freundliches Werbebild auf einer Fast-Food-Packung bekannt, wird lebendig und vor allem böse, greift die Frau an und will ihr an die Gurgel gehen. Sie wehrt sich panisch, kämpft mit der Hand und haut versehentlich den Milchmann um, der plötzlich in der Küche auftaucht. Der Milchmann verkennt komplett die Lage, bis ein Messer in seinem Rücken steckt. Die Frau kümmert das nur bedingt, sie will mit allen Mitteln die Hand loswerden. Klappt mit einem Mixer. Beschwingt holt sie sich eine neue Fast-Food-Schachtel, da grinst sie ein Marchmallow-Männchen auf dem Küchentisch an, sagt was und…
Raimis böse Hand und was aus ihr wurde weiterlesenNur nicht drängeln: You are next
You’re Next kann durchaus auch mal Gutes bedeuten. Macht’s aber oft nicht. Hier sowieso nicht. Normal. Wir wissen schließlich, wo wir uns befinden. Aktuell und generell im bösen Land. You’re Next ist ergo eine definitiv Furcht einflößende Aussage. Keine Chance, zu kneifen. Sich klammheimlich zu verdrücken. Augen zuzukneifen, Sonne brav kitzeln zu lassen und im Himmelbett aufzuwachen. Läuft so nicht, Freunde. You’re Next heißt bestenfalls, sich zu ducken, sonst ist der Kopf ab. Schlimmstenfalls bleibt keine Zeit für den fassungslosen Blick, der den letzten großen Schrei verschluckt. Und basta.
Ist schon denkwürdig, dass Adam Wingard’s Slasher von 2013 nach ersten Festivalaufführungen zwei Jahre in der Schublade schlummerte, bevor er in die Kinos kam. Denk- und noch mehr merkwürdig, weil halt Profis darüber entscheiden, welche verlockende Höllenpforte für uns eifrig Suchende denn nun wann und warum geöffnet wird. Mittlerweile durften wir alle den Schockstreifen natürlich längst schon gucken.
Nur nicht drängeln: You are next weiterlesenFrankensteins Fluch
Mit diesem Film begann die Wiederbelebung des Gothic-Horrors durch Hammer. Bis zu diesem Film bestand der Horror der 50er Jahre aus riesigen Monstern oder atomaren Unholden. Dieser Film brachte den Horror zu seinen Wurzeln zurück und fügte Farbe und ein gesteigertes sexuelles Bewusstsein hinzu. Regisseur Terence Fisher und Drehbuchautor Jimmy Sangster sollten für ihre hervorragende Arbeit an dieser Stelle gelobt werden.
Natürlich handelt es sich um eine Neuerzählung der berühmten Geschichte von Mary Shelley, aber sie unterscheidet sich grundlegend von der früheren Universal-Version. Der Baron (Peter Cushing) mischt sich nicht nur in das ein, was der Mensch nicht wissen sollte, er stürzt sich gleich kopfüber ins Ungewisse und genießt es. Er interessiert sich eigentlich nur für die Wissenschaft der Kreatur (Christopher Lee, der in einer kleinen Rolle sein Bestes gibt) und sieht sie nur als ein weiteres Experiment. Sein einziges Interesse an der Funktionalität der Kreatur besteht darin, wie sie die Akzeptanz seiner Arbeit in der wissenschaftlichen Gemeinschaft fördern kann. Hier steht der Baron im Mittelpunkt des Films, nicht die Kreatur, und Cushing macht seine Sache sehr gut. Er ist wie geschaffen für die Rolle des Frankenstein. In den Hallen des Schreckens gibt es Schauspieler, die durch ihre herausragende Leistung eng mit den Figuren verbunden sind. Nun, neben Boris Karloff als Monster und Lugosi als Dracula sollte es irgendwo noch einen Platz für Peter Cushing geben.

Das Monster ist viel komplexer, als es auf den ersten Blick scheint. Lee musste die Koordination eines Kindes im Körper eines Erwachsenen mit einer stupiden Blutgier kombinieren, die scheinbar keine Wut hervorruft. Die Kreatur tötet, weil sie zu nichts anderem fähig zu sein scheint. Sie kennt keine Liebe, keinen Hass, keine Krankheit. Sie ist von ihrem eigenen Aussehen nicht abgestoßen. Auf seltsame Weise ähnelt er den Pod People aus Die Körperfresser kommen. Die Produktion selbst ist so sparsam wie möglich. Das Schloss des Barons ist eine schöne gotische Kulisse, aber nicht sehr beeindruckend. Das Labor ist sehr realistisch, aber die sehr zurückhaltenden elektrischen Geräusche und die wenigen überflüssigen Apparate während der großen Reanimationsszene lassen den Wunsch nach den surrenden Apparaten der alten Zeit aufkommen. Aber die Regie macht das wieder wett mit ein paar netten Anspielungen auf dunklen visuellen Humor und ein paar schockierenden Andeutungen von Horror. Bonuspunkte für den gelungenen Schluss. Verblasst neben Karloffs Leistung, aber wer tut das nicht? Ansonsten einer der besten Horrorfilme aller Zeiten.
Das blutrote Kleid
Jedes Bild in Das blutrote Kleid des Genreregisseurs Peter Strickland ist bis ins kleinste Detail stilisiert. Eine solche Stilisierung mag die Geduld mancher Zuschauer auf eine harte Probe stellen, aber hier ist ein Maß an schamlosem Selbstbewusstsein vorhanden, das man nur begrüßen kann. Die Handlung dreht sich um ein verzaubertes Kleid und seine unheimlichen Auswirkungen, wenn es von einer Trägerin zur nächsten weitergereicht wird. Das Kleid selbst ist wunderschön anzusehen – seine tiefrote Farbe und die drapierte Silhouette sind unbestreitbar sinnlich, während der Stil des Giallo, der Softcore-Pornografie und des klassischen europäischen Kammerspiels imitiert wird.
Wie schon Stricklands Vorgängerfilm The Duke of Burgundy spielt Das blutrote Kleid in einem Universum, das an die 1970er Jahre erinnert, aber letztlich aus der Zeit gefallen ist. Beide Filme sind üppig und karg zugleich. Stricklands Inszenierung ist von fetischistischen Details geprägt, und einige der auffälligsten Passagen in Das blutrote Kleid drehen sich um Schaufensterpuppen und vaginale Bilder.

Chucky
Chucky will spielen. Der fiese kleine Kerl hat Übles im Sinn. Wissen wir. Denn Chucky ist berühmt. Weltweit bekannt, bestaunt als Wachsfigur. Irre grinsend neben Dracula und Jigsaw platziert im „Museo de Cera. Exposición Terror“ in Palma de Mallorca. Beglückend auch als Puppe in Originalgröße, mit zernarbtem Gesicht und großem Küchenmesser in der kleinen Hand, empfohlen ab drei Jahren !). Da hüpft frühzeitig das kalte Herz.
Ob es einem nun gefällt oder nicht, dass ein bösartiger Plastikkerl, auch noch so scheinheilig Pumuckel-rothaarig-niedlich, im Horror-Olymp neben wahren Schauerkoryphäen herum turnt, spielt hier keine Rolle. Chucky kann man nicht weg meckern. Der ist da. Klammern wir jetzt einfach mal aus, was und wer Chucky ist, dann wäre er der wahr gewordene Kleinmädchentraum. Eine Puppe, die lebendig wird. Die spricht und läuft. Komplett selbständig. Einfach so, eben deshalb, weil sie es halt kann. Punkt. Hätte ich als Achtjährige großartig gefunden, so eine zu haben. Gruselig finden wir diese Vorstellung erst, wenn irgendwann der Verstand anklopft und uns darauf hinweist, dass so was nicht normal ist. Richtig furchterregend wird es, wenn die Puppe sich bewaffnet und auf Mordtour geht. Exakt das macht Chucky unbekümmert seit 1988. Ende in Aussicht? Mitnichten.
Im Horror-Olymp der Schauerkoryphäen
