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Review / Ada, oder Das Verlangen / Vladimir Nabokov

1959 arbeitete Nabokov an mehreren Projekten gleichzeitig: „The Texture of Time“ und „Letters from Terra“. 1965 war er der Meinung, dass die beiden Ideen, die er verfolgte, miteinander kompatibel seien und machte daraus Ada, oder das Verlangen. Der Roman erschien 1969 und wurde zunächst mit gemischten Gefühlen rezipiert, bis die New York Times konstatierte, dass sich dieses Werk neben den größten Arbeiten von Kafka, Proust und Joyce einreiht.

Wie jedes gute Buch ist Ada eine Herausforderung. Hier gibt es keine lineare Geschichte, ganz im Gegenteil mäandert sie, unterbrochen von Brüchen in der Zeitlinie und Anmerkungen über das Konzept der Zeit an sich, und entfaltet so seine phantastische Größe.

Das Buch erscheint in der Hauptsache als die Memoiren von Van Veen, einem erfolgreichen und verwöhnten Aristokraten, der hier seine Erziehung auf dem Familenbesitz, seine langjährige Liebesbeziehung mit seiner Schwester Ada, die Liebe der anderen Schwester Lucette, die er nicht erwidert, und andere Angelegenheiten und Intrigen der Familie auf dem Planeten Antiterra, eine Variante unserer Erde, beschreibt.

Nach vielen Verzögerungen, bleiben er und Ada für immer zusammen und leben fast ein halbes Jahrhundert in inzestuöser Glückseligkeit.

Nabokov prangerte oft den sozialen und psychologischen Realismus an und reicherte seine Bücher mit Verfremdungseffekten und Distanzierungsvorrichtungen an – was ihn zu einem der größten Schriftsteller aller Zeiten machte. Hier aber warf man ihm interessanter Weise vor, den Realismus völlig abzuschaffen.

In schelmischer und magisch fließender Prosa geschrieben, ist Nabokovs längster, reichhaltigster Roman eine Liebesgeschichte, aber auch ein Märchen, eine historische Parodie, eine erotische Satire, eine Erforschung des Zeitkontinuums und eines der herausragendsten Werke der Phantastik, vermutlich das schönste, mitreißendste, außerweltlichste Buch in englischer Sprache.

Eine alternative Geschichte

Lange hat man sich darüber gestritten, ob das hier vollendete Science Fiction sei, was vornehmlich am Konzept einer alternativen Geschichte festgemacht worden war. Die meisten Kommentatoren zogen es jedoch vor, den Genrebegriff herunterzuspielen und suchten stattdessen ungeschickt nach Wegen, das Eindringen „trivialer“ Literatur in ein literarisches Meisterwerk zu entschärfen. Der Gipfel der Absurdität wurde dann auch erreicht, indem man erklärte, Nabokov sei ein Autor von „Physics Fiction“. Andere Kritiker bestanden darauf, dass Ada ein Roman über Sprache sei, oder eine Liebesgeschichte, oder ein Puzzle, das sich als Geschichte ausgibt, oder ein Kommentar zur Erschaffung literarischer Werke.

Wir sollten uns stets daran erinnern, dass ein Kunstwerk immer die Schaffung einer neuen Welt ist, so dass wir als Erstes diese neue Welt so gut wie möglich untersuchen und sie als etwas ganz Neues betrachten sollten, ohne offensichtliche Verbindung zu den Welten, die wir bereits kennen.

Nabokov in „Die Kunst des Lesens“

Das Buch beginnt im frühen 19. Jahrhundert, aber die Charaktere beziehen sich immer wieder auf anachronistische Technologien – darunter Flugzeuge und Filme. Dennoch haben sie keinen Strom und halten das strenge Tabu aufrecht, überhaupt davon zu reden. Es ist das Ergebnis einer mehrdeutigen historischen Katastrophe, die als „das L-Desaster“ bezeichnet wird. Seitdem ist die Elektrizität in eine spirituelle Obszönität gewandelt, über die man nicht sprechen kann. Viele der Technologien in Ada werden mit Wasser betrieben – Menschen sprechen durch ein wasserbetriebenes „Dorophon“ miteinander, anstatt ein Telephon zu benutzen, und bekommen Licht von einer plätschernden Lampe.

Der Roman spielt auf einem Planeten, der der Erde geographisch ähnlich ist, aber Antiterra genannt wird. Vieles, was wir als Nordamerika kennen, insbesondere Teile Kanadas, offenbaren einen ausgeprägten russischen Kulturgeschmack – ähnlich dem französischen Einfluss auf die heutige Québécois-Kultur. Die Vereinigten Staaten selbst erstrecken sich bis nach Südamerika. England ist eine Monarchie, die von König Victor regiert wird, und viele Teile der Welt – einschließlich Frankreich und Indien, Südafrika und Skandinavien stehen unter britischer Kontrolle.

Die Menschen auf diesem Planeten haben ein gewisses Bewusstsein für unsere eigene Erde, die sie Terra nennen, und die ihrer Vorstellung von einem Paradies entspricht. Nach dem Tode, so glauben sie, werden sie dorthin gehen. Einige Fanatiker oder Okkultisten haben Träume oder Visionen von Terra, aber ihre Schilderungen werden verspottet. Reden sie zu viel und zu leidenschaftlich von Terra, werden sie sogar als Wahnsinnige bezeichnet.

Dieses phantastische Setting durchwebt Nabokov mit einer grenzüberschreitenden Liebesgeschichte, die sich zwischen Van Veen und seiner Schwester Ada entwickelt hat. Diese Affäre zwischen minderjährigen Geschwistern, die intime Details präsentiert, ist noch weitaus unkonventioneller als selbst Humbert Humberts Beziehung zu Lolita. Zwischen den beiden Romanen liegen elf Jahre. Wir sprechen hier von einer Phase, in der sich die Durchsetzung der Zensur erheblich verändert hat, die noch in den 50er Jahren zu Verhaftungen, Buchverbrennungen und öffentlichem Aufschrei geführt hätte. Aber selbst diese Liebesgeschichte ändert wenig an den Anomalien des alternativen Universums, in dem sie angesiedelt ist und die dem Leser quasi auf jeder Seite vor Augen geführt werden. Denn natürlich hatte Nabokov als Geschichtenerzähler nur ein halbherziges Verhältnis mit der sogenannten Realität. Dennoch durchzieht Nabokovs Interesse für Wissenschaft den Roman.

Unser Protagonist Van Veen ist ein renommierter Wissenschaftler auf den Gebieten der Expertise literarischer Techniken, philosophischer Überlegungen und der Umgestaltung der Konzepte von Raum und Zeit. Veen nimmt den Leser dann auch häufig – abschweifend von der Geschichte seines Liebeslebens – auf Abstecher zu seinen Theorien der physikalischen Realität mit. Das mag sich manchmal so anhören, als würde Nabokov vergessen haben, dass er da einen Roman schreibt, aber er hat eindeutig die Vorarbeiten etwa von Proust und Thomas Mann im Sinn, die ja bereits vor ihm Reflexionen über die Zeit in ihre Romane aufgenommen hatten. Tatsächlich kommt Nabokov darauf auch auf den ersten Seiten zu sprechen. Deren poetische Reflexionen sind allerdings mehr Kunst als Philosophie, während Nabokov in diesen prallen Abschnitten den strengen Ton eines Pedanten annimmt und seine größte Stärke schrulliger Ausdrucksweisen hier gar nicht erst in Erwägung zieht.

Denn wenn er nicht gerade versucht, Einstein zu verbessern, verblüfft Nabokov mit all seinem Können in Sachen Witz, Wortspiel, Sex und Zynismus mit einer an Parodie grenzender Präzision und einem Vokabular voller Anspielungen, die selbst eine ganze Bibliothek voller Lexika herausfordern würde. Wer nicht bereit sein sollte, das Spiel nach Nabokovs Regeln zu spielen, sollte sich ein anderes Buch zur Unterhaltung suchen.


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