Archetyp

Die Veränderung des Archetyps

Überraschungen und Wendungen sind nicht nur etwas für dunkle Gassen und Wendeltreppen in den schummrigen Herrenhäusern der Krimiwelt. Sie gehören auch zu Charakter-Archetypen, gerade dann, wenn sie auf den Kopf gestellt werden. Und niemand kann das besser als das Krimi-Genre, wenn nämlich Stereotypen sterben… oder besser noch, wiedergeboren werden.

Nehmen wir die Femme fatale, die Sirene der Schatten, die so alt ist wie das Genre selbst. Sie soll verführen, ein doppeltes Spiel treiben und in die Nacht entschwinden, oder? Falsch gedacht. Zeitgenössische Geschichtenerzähler haben beschlossen, dass dieses Drehbuch so altbacken ist wie das Brot von letzter Woche. Lisbeth Salander, die rätselhafte Hackerin aus Stieg Larssons „Millennium“-Reihe, tritt auf. Sie ist so gefährlich und unberechenbar wie jede klassische Femme fatale, aber sie ist auch die Heldin. Salander ist nicht dazu da, dem männlichen Protagonisten ein Bein zu stellen – sie ist die Protagonistin, eine zutiefst fehlerhafte und faszinierende Protagonistin.

Auf dem Weg vom Buch zum Bildschirm haben TV-Serien ihre eigene Kerbe in die Vernichtung von Archetypen geschlagen. Nehmen wir die BBC-Serie „Sherlock“, eine meisterhafte Modernisierung des Detektivs von Conan Doyle. Sherlock Holmes ist nicht mehr nur der eiskalte Intellektuelle mit der Pfeife, er ist ein hochfunktionaler Soziopath mit einem Smartphone. Sein Gegenstück, Dr. John Watson, ist nicht nur der treue Kumpel, der Notizen macht, sondern ein Kriegsveteran mit Blog und Pistole. Die Modernisierung beschränkt sich nicht nur auf Gadgets und Blogs, sondern erstreckt sich auch auf das Wesen der Figuren selbst und macht sie weitaus unberechenbarer.

Die muffigen Räume vergangener Krimis werden nun gelüftet, und mit ihnen der Archetyp des unfehlbaren Detektivs. Sie stehen nicht mehr als unanfechtbare Säulen der Logik und der Vernunft da. Sie wurden vermenschlicht, verletzlich gemacht. Adrian Monk aus der Serie „Monk“ ist der Inbegriff dafür. Er ist ein brillanter Detektiv, sicher, aber sein Kampf mit einer Zwangsstörung macht ihn zu einem ebenso großen Rätsel.

Inzwischen ist der Sidekick nicht mehr nur der Sidekick. Er ist aus dem Schatten des Protagonisten herausgetreten und in sein eigenes Schlamassel geraten. Man denke nur an Dr. Watson in dem bereits erwähnten „Sherlock“ oder an die zahlreichen Watson-Figuren, die im Laufe der Jahre mehr Tiefe erhalten haben und sich zu vollwertigen Charakteren mit eigenen Handlungssträngen entwickelt haben. Sie sind nicht nur dazu da, den Detektiv gut aussehen zu lassen. Sie lösen Fälle, sie stolpern, und manchmal retten sie sogar den Tag.

Die gemütlichen Krimis, diese malerischen, oft pastoralen Schauplätze, an denen Morde bei einer Tasse Tee aufgeklärt werden, sind von ungewöhnlichen Detektiven erobert worden. Die strickenden Großmütter und neugierigen Nachbarn wurden zwar nicht verdrängt, aber sie wurden durch eine bunte Besetzung ergänzt. Nehmen Sie „Pushing Daisies“, eine Serie, die den Charme eines gemütlichen Krimis mit dem Surrealen verbindet. Der Protagonist ist ein Kuchenbäcker, der Tote wiederbeleben kann – eine nützliche Fähigkeit, wenn es darum geht, die Verstorbenen zu fragen, wer ihnen das angetan hat. Die Geschichte ist so ungewöhnlich, wie sie nur sein kann, und verbiegt den Archetyp bis zur Unkenntlichkeit.

Aber vergessen wir nicht die Bösewichte – die schnurrbartzwirbelnden Superhirne. Autoren wie Gillian Flynn haben dem Archetypus des kriminellen Superhirns den Boden unter den Füßen weggezogen. In „Gone Girl“ spielt Amy Dunne das Opfer, die Antagonistin und manchmal auch die Anti-Heldin. Sie lauert nicht in den Schatten, sie ist der Schatten, das Licht und alles dazwischen. Es gibt keine Einteilung in Gut und Böse; es ist ein Spektrum, und Amy Dunne tanzt auf jedem Zentimeter davon.

Und dann ist da noch die Trope der korrupten Stadt als eigenständige Figur. Neo-Noir-Filme hatten schon immer eine Vorliebe für dunkle, verregnete Straßen als Kulisse für eine ebenso düstere Moral. Aber Serien wie „The Wire“ sind noch weiter gegangen und haben gezeigt, dass die Stadt nicht nur eine Kulisse ist, sondern ein komplexer Organismus mit eigenen archetypischen Subversionen. Die guten Cops können böse sein, die bösen Jungs können gut sein, und die Stadt selbst ist ein Rätsel, das komplizierter ist als jeder Mordfall.

Der archetypische Krimi – diese weitläufigen, knarrenden Villen – wurde gegen Raumschiffe und virtuelle Realitäten ausgetauscht. „Das Unsterblichkeitsprogramm“ verlegt die Detektivgeschichte in die Zukunft, mit einem Protagonisten, der nicht einmal immer denselben Körper hat. Aus dem Spukhaus ist das Spukbewusstsein geworden, und die Geister sind digital.

Auch die Krimis für junge Erwachsene sind auf dem Vormarsch, wobei die Teenager-Detektive von einst durch komplexere junge Protagonisten ersetzt werden, die mit der Last der Welt auf ihren Schultern zu kämpfen haben. Veronica Mars beginnt vielleicht als Highschool-Schülerin, die nebenbei als Privatdetektivin arbeitet, aber am Ende hat sie es mit Problemen zu tun, die auch Nancy Drew den Kopf verdrehen würden. Es geht nicht mehr nur darum, herauszufinden, wer die Prüfungsantworten gestohlen hat – es geht um den Zusammenbruch der Gesellschaft, Traumata und Gerechtigkeit.

Was ist die Ursache für diesen umwälzenden Trend? Vielleicht ist es der unstillbare Appetit des Publikums auf etwas Neues, oder vielleicht ist es die unvermeidliche Evolution des Genres. Was auch immer es sein mag, diese Abwandlungen klassischer Archetypen dienen nicht nur dem Schockeffekt. Vielmehr geht es um eine tiefgründigere Geschichte, reichhaltigere Charaktere und Krimis, die nicht nur davon handelt, wer der Täter ist, sondern auch davon, wer diese Menschen sind und warum sie tun, was sie tun.

Die Verfilmungen haben sich dabei als besonders geschickt erwiesen. Sie haben die visuellen Mittel, um zu verblüffen, und das Tempo, um die Herzen höher schlagen zu lassen, und wenn es darum geht, Archetypen auf den Kopf zu stellen, tun sie das mit Elan. „Knives Out“ ist ein glänzendes Beispiel dafür und spielt mit dem Ensemble des Krimis. Es ist eine Anspielung auf Agatha Christie, aber mit einem frischen Dreh, der dem Publikum immer wieder den Boden unter den Füßen wegzieht. Er nimmt das klassische Setting – Familientreffen, plötzlicher Tod, Testamentseröffnung – und verwandelt es in einen Kommentar zu Klasse, Privilegien und dem Genre selbst, dem er angehört.

Der archetypische Puzzle-Plot, bei dem alles mit uhrwerkartiger Präzision zusammenpasst, wurde ebenfalls unterlaufen. Serien wie „Twin Peaks“ haben gezeigt, dass die Puzzleteile manchmal nicht zusammenpassen oder aus ganz anderen Puzzles stammen. Es geht nicht um die Befriedigung, wenn das letzte Teil an seinem Platz einrastet; es geht um die Reise durch das Bizarre, das Unlösbare und das Beunruhigende.

Und so entwickelt sich das Krimi-Genre weiter und stellt seine eigenen Konventionen ständig in Frage. Charaktere, die einst so beständig schienen wie die Tinte, mit der ihre Geschichten gedruckt wurden, verändern sich. Sie sind nicht mehr die, die sie einmal waren – und genau das ist der Punkt. Es ist ein Spiel der Erwartungen, bei dem die einzige Regel ist, dass es keine Regeln gibt. Das einzig Sichere ist, dass nichts sicher ist, und dass niemand ganz der ist, der er zu sein scheint.

In einer Welt, in der der Wandel die einzige Konstante ist, sind die Kriminalliteratur und ihre Verfilmungen führend und beweisen, dass, wenn es um die Archetypen der Figuren geht, manchmal die Charaktere selbst die befriedigendsten Rätsel sind. Vorbei sind die Zeiten, in denen ein Detektiv nur ein Detektiv, ein Kumpel nur ein Kumpel und ein Schurke nur ein Schurke war. Jetzt können sie alles sein. Und in diesem neuen Zeitalter des Krimis ist es genau das, was sie sein müssen.


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