Wir hören in letzter Zeit viel über die steigende Popularität der Weird Fiction. (Anm. Ich behalte hier die Originalbezeichnung bei, weil der Begriff in seiner eigentlichen Bedeutung nicht ins Deutsche übertragen werden kann, ohne fälschlich behandelt zu werden. Die häufigen und gebräuchlichen Übersetzungsfehler „Literatur der Angst“, „Unheimliche Literatur“ usw. führen hierbei nur in eine Sackgasse.)
Wie viel, oder wie wenig dieses neue Aufkeimen mit der New Weird-Bewegung von vor ein paar Jahren gemeinsam hat, überlasse ich den Diskussionen der Gelehrten. Über lang oder kurz kann man sagen, dass alle paar Jahre ein neuer Begriff uns als das neue große Ding der Horrorliteratur vorgestellt wird, und im Augenblick ist das ein Stamm unheimlicher Erzählungen, die ihre Inspiration hauptsächlich (wenn auch nicht immer offensichtlich) durch Lovecraft bezieht, genauso wie durch Chambers, Howard, Ligotti, und so weiter. Sie wird mit anderen Genres kombiniert, verdünnt, und in unterschiedlichste Formen verzerrt, aber am Ende des Tages, also im hier und jetzt, ist die „Weird Fiction“ König.
Zumindest trifft das auf Nordamerika zu. Ich würde behaupten, dass dieses Horror-Subgenre anderswo – hauptsächlich in Europa – weniger beliebt ist. Und wahrscheinlich ist das auch folgerichtig. Die Weird Fiction, von der wir reden, wurde in Amerika geboren, platze förmlich aus Lovecrafts Feder. Die Erforschung der kosmischen Gleichgültigkeit (im günstigsten Fall; Bösartigkeit im schlimmsten) verschmolz mit der Abenteuergeschichte, die zur Mentalität der Neuen Welt passte, deren Mythologie zu philosophischen Entdeckern tendierte. In diesem Sinne hat selbst der unfähigste Wissenschaftler eine Art von „männlicher Neugier“ ihm oder ihr gegenüber.
Diese Art von Geschichten, mitsamt der ganzen Verrücktheit, für die sie stehen, bilden ein Genre, das nicht selten das Potential des Horrors auf subtile Weise meidet. Große Offenbarungen und opernhaftes Gebaren füllen die spannungsgeladene Rolle er Abenteurers, und alles neigt dazu, größer zu sein als der Protagonist am Anfang der Erzählung erwartet hatte. Weird Fiction handelt vom Universum und unserer Existenz darin. Es mag hier und da erschreckend sein, aber meistens dreht es sich um Ehrfurcht.
Auf der anderen Seite haben wir die „Seltsame Erzählung“ (Strange Story), und obwohl beide Varianten viel miteinander gemeinsam haben, sind ihre Prioritäten anders gelagert. Sie gilt als ein Ableger der Geistererzählung, oft wird sie zusammenfassen als „Geistererzählung ohne Geister“ bezeichnet. Das sind Geschichten, in denen über ein Jenseits weniger bekannt ist als angedeutet wird, und anstatt die Philosophie unserer gemeinsamen Existenz zu erforschen, liegt der Fokus mehr auf der Psychologie unseres individuellen Lebens. Wenn „Weird“ das Kosmische betont, ist das „Seltsame“ mikro-kosmisch und untersucht das Universum anhand unserer psychischen Existenz.
Da die „Seltsame Geschichte“ aus der Geistergeschichte hervorging, ist es wenig verwunderlich, dass viele ihrer Autoren aus deren Gefilden kommen. Zu ihren Vorläufern gehören Schriftsteller wie Edith Wharton und L.P. Hartley, und ganz besonders Walter de la Mare, dessen Seatons Tante ist das beste Beispiel einer Erzählung, die als ein Prototyp der „Seltsamen Geschichte“ gelten kann; sie lässt ihren Leser mit dem Empfinden zurück, dass mehr dahintersteckt als oberflächlich herauszulesen ist.
Allerdings war es Robert Aickman, der sich der Seltsamen Geschichte annahm und sie zu seiner Sache machte. Unter seiner Leitung bekam das Seltsame einen mysteriösen Einschlag, etwas, das im Schriftlichen weniger Sinn ergab als im Instinktiven – oder zumindest mehr von der Logik der Träume gekennzeichnet war. Ähnlich dem„Alptraum-Horror“ ist das Seltsame auf seiner Höhe, wenn es sich die Kraft der Traumbilder zunutze macht, um unser unterbewusstes Verstehen darüber zu aktivieren, wie sich aus Ereignissen und unserem biologisch codierten Begehren Muster aus den unterschiedlichsten Elementen ergeben.
Liegt eine Geschichte vor, die keinen tatsächlichen Sinn ergibt, stellt unser Unterbewusstsein Brücken her, die die Ereignisse miteinander verbinden, generiert also die Geschichte für uns. In den Hände eines Experten kann diese Überbrückung dazu führen, dass sich eine befriedigende Erzählung ergibt, ohne dass ein logischer Zusammenhang notwendig wäre. Das ist die Kraft, die dem Seltsamen innewohnt.
Selbst wenn die Erzählungen nicht alle Vorteile der Traumlogik nutzt, um ihr verbindendes Gewebe auszuformen, kann die Seltsame Geschichte beim Leser einen traumähnlichen Zustand hervorrufen, indem sie ein anderes Tempo nutzt als in der Realität üblich. Im Wesentlichen ist dieser veränderte Zustand ein wichtiger Teil ihrer Atmosphäre. Betrachten sie einmal den Bewusstseinszustand, der in Filmen wie Peter Weirs Picknick am Valentinstag oder David Lynchs Inland Empire erschaffen wird; Zeit wird verlangsamt und die Handlungen bekommen dadurch etwas Zusammenhangloses. Oder denken Sie an die Stadt hinter dem Nebel in Ligottis “Our Temporary Supervisor,” deren Ton eine ähnliche Traumlandschaft andeutet wie sie in einem Stück von Robert Aickman aufgefunden werden kann. Diese vagen Hinweise auf eine Welt aus dem Lot sind ein wesentlicher Aspekt dessen, was wir Horrorliteratur nennen; aber wo immer wir diese Technik in traditionellen Erzählungen antreffen – den Geist im Spiegel, das Gefühl, von Schatten beobachtet zu werden – in der „Seltsamen Geschichte“ wird all das zur Gänze ausgeschöpft und stellt sich als voll entwickelt dar.
Es ist dieses Gefühl der Trennung, das die primäre Kraft der Seltsamen Geschichte ausmacht, und aus der sie den größten Teil ihrer emotionalen Verstörung zieht. Wirkliche Augenblicke von Verlust, Verzweiflung und Niedergeschlagenheit richten in uns ein bestimmtes Gefühl von Chaos an, sie können im wahrsten Sinne des Wortes unser Verständnis von der Welt verzerren. In vielerlei Hinsicht überschneiden sich diese Verzerrungen mit der angesprochenen Traumlogik, die „Seltsame Geschichte“ bietet sich hierbei als ein Stellvertreter an, damit der Leser sich seiner Aufruhr direkt stellen kann. Allerdings wäre es unverantwortlich, zu behaupten, der Leser könne sich dadurch gegen diese Kräfte schützen; der „Seltsamen Geschichte“ kann in ihrer Wirkung niemand entkommen. Jene, die überleben, werden durch dies Erfahrung Narben davontragen – und sie werden lebensechter und realistischer sein als in irgendeinem anderen Horror-Subgenre. Existentielle und lange nachwirkende Wunden begleiten sowohl die Protagonisten als auch die Leser, weil sie durch den Effekt des wirklich Unheimlichen einen vorübergehenden Wahnsinn im Angesicht des Unmöglichen auslösen.
Dieses Gefühl des Unzusammenhängenden der Seltsamen Geschichte illustriert auch eine der größten Herausforderungen. Der nötige spärliche Effekt ist kaum über eine Romanlänge aufrecht zu halten. Der Leser kann sich nur bis zu einem bestimmten Grad dem unterbewussten Wirkmechanismus dieser Erzählung unterwerfen, bevor er sich aus der Affäre zieht. Es sind also die Kurzgeschichten und Kurzromane, in denen das Seltsame am besten funktioniert. Die Weird Tale leidet nicht in gleichem Maße an diesen Dingen, weil ihre hybride Natur und ihre Abenteuerform leicht einen Handlungsstrang für ihre Figuren gestalten kann, in dem sich die Informationen so miteinander verbinden, dass alles auf diese eine Offenbarung hinausläuft. Dieser Rahmen ist es also, den die Weird Tale verhältnismäßig einfach wiedergibt, und seit der Roman unaufhaltsam zur populärsten Form aufgestiegen ist – bei Verlegern und Publikum gleichermaßen – verschwindet zunehmend die Möglichkeit für Erzählformen wie die der Seltsame Geschichte, in einem größeren Markt Fuß zu fassen.
Und vielleicht sollte man dankbar dafür sein. Denn trotz des wachsenden Erfolges anderer Bereiche der Horrorliteratur, schreitet das neu erwachte Interesse am Seltsamen langsam und unaufhaltsam voran. Es hat vielleicht länger gedauert, sich ins zeitgemäße Bewusstsein zu bringen als es bei der Weird Tale der Fall war, aber mit einer stets anwachsenden Zahl talentierter Autoren, die sich dieser Stimmung annehmen, beginnen sich neue Verbindungen zu etablieren (im Augenblick wohl am besten zu erkennen an den osteuropäischen Schriftstellern, die das Feld des dekadent-seltsamen bearbeiten), die die Lebendigkeit und Vitalität des Genres dokumentieren. Das Seltsame mag in Amerika nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die es verdient (Anm. gleiches gilt für Deutschland), aber dadurch, wie unsere globale Gemeinschaft wächst und die Grenzen zwischen den Nationen fallen, glaube ich, dass das Format der Seltsamen Geschichte in den kommenden Jahren stärker und stärker werden wird.

Simon Strantzas ist Autor von dunkler Phantastik und Weird Fiction. Er ist Herausgeber von „Aickman’s Heirs“ (Undertow Publications, 2015), Shadows Edge (Gray Friar Press, 2013) und Gastherausgeber von „The Year’s Best Weird Fiction, Vol. 3“ (Undertow Publications, 2016). Er ist außerdem Mitbegründer und Mitherausgeber der unregelmäßig erscheinenden Sachbuchzeitschrift „Thinking Horror“ und Kolumnist für das „Weird Horror Magazine“. Insgesamt war er Finalist für vier Shirley Jackson Awards, zwei British Fantasy Awards und den World Fantasy Award. Er lebt mit seiner Frau in Toronto, Kanada.