Nachtkurier

Nachtkurier: Märtyrer, Schlampertoni und der Heilige Bimbam

Meine Großtante Katharina pflegte zu sagen: „Heiliger Antonius, hilf.“ Das sagte sie dann, wenn sie etwas nicht finden konnte. Geldbörse, Brief von Cousin Friedrich, Heftpflaster, Perlenohrringe, Fahrradschlüssel, Handschuhe, Zucker, Familienstammbuch oder Schmierseife, egal, was es war, sie bat den Heiligen Antonius, ihr bei der Suche zu helfen. Tante Katharina schwor darauf, dass das fast immer funktionieren würde. Glaubhaft oder nicht, interessant fand ich die Sache allemal. Zumal meine Tante mir augenzwinkernd mitteilte, dass Antonius auch bei der Partnersuche die direkte Kontaktperson sei. Ich testete das als Vierzehnjährige im speziellen Fall Stefan Kuklinski an, es klappte aber nicht, ich blieb erfolglos verliebt. Die Sache ruhte dann für sehr, sehr lange Zeit.

Schlampertoni (Antonius)

Der Heilige Antonius tauchte erst wieder auf, als ich jüngst beim Zahnarzt im Wartezimmer in einer Illustrierten blätterte und auf diese denkwürdige „Wussten Sie eigentlich, dass…“-Kolumne stieß. Tatsächlich stand da ganz zuoberst, dass man den alten Spezi meiner Tante in Bayern ganz vertraulich „Schlampertoni“ nennt. Weil er Verschludertes wiederfinden lässt. Auch eine verschlampte Liebe. Recht amüsant, wie ich fand. Kannte ich aber im Kern bereits, las weiter.

Wussten Sie eigentlich, dass...die Heilige Appoloniaein offenes Ohr für an Zahnschmerzen Leidende hat? Man solle nur kräftig beten und bitten und hoffen, anstatt zu jammern, und, oh Wunder..was und wie auch immer.

Wussten Sie eigentlich, dass…der Heilige Laurentius nicht nur der Schutzpatron der Bäcker, Köche und Bierbrauer ist, sondern auch der Komiker? Weil er sich in Gefangenschaft über den Kaiser und dessen Leute lustig machte, derweil und obwohl er sich in äußerst brenzliger Lage befand.

Kosmos blutbespritzter Heiligenscheine

Wusste ich so jetzt nicht. Ich wusste überhaupt eine ganze Menge nicht, wie ich feststellte. Apotheken heißen hier und da Laurentius. Wer macht sich denn da groß einen Kopf, wer der Mann eigentlich war? Und Apolonia? Gilt als die Schutzpatronin der Zahnärzte. Insofern macht die Zahnschmerz-Geschichte Sinn. Aber warum die Zähne? Kurzum, meine neuerworbenen Kenntnisse, so arg bescheiden, genau genommen herzlich wenig inhaltsschwer sie auch waren, verlangten nach vernünftiger Recherche. Zuhause schlug ich nach. Und landete rasch im Kosmos blutbespritzter Heiligenscheine. Es sind viele!

Apolonia
Apolonia

Apolonia von Alexandria, wurde während der Christenverfolgung verschleppt, sollte ihrem Glauben abschwören, tat das trotz schlimmster Folter nicht und wurde verbrannt. Vorher schlug man ihr komplett die Zähne aus. So geschehen im 3. Jahrhundert.

In etwa zeitgleich wurde Laurentius, angeblich ihr Bruder, vermutlich aber nicht, – das mag Legende bleiben – , von den Römern regelrecht gebraten. Eine grausig-makabre Geschichte. Er spöttelte, als man ihn bei lebendigem Leib röstete. Dreht mich um, die eine Seite ist fertig. So soll Laurentius sich seinen Peinigern gegenüber geäußert haben, während er über offenem Feuer hing. Er war ein päpstlicher Jünger, verteilte von den Römern dreist für sich beanspruchte Kirchenschätze großzügig an Arme und Kranke, wurde verhaftet, brutal gefoltert und schließlich hingerichtet auf dem glühendem Eisenrost. Ein langer, ganz furchtbarer Tod.

Ich bin jetzt durch, ihr könnt mich essen. Sagte er das wohl wirklich, seinen Tod unmittelbar vor Augen? Die letzten Worte, die er hervorbrachte, sollen dem Kaiser gegolten haben, mit immerhin nötigem Ernst in der provokanten Prophezeiung: „Mir ist dieses Feuer eine Kühle, dir, du armer Mensch, bringt es ewige Qual.“

Laurentius sei stets ein humorvoller Mensch gewesen. Das will man heute so wissen. Wenn’s denn stimmt…trotzdem! Vor allem: Kann man sowas glauben? Sollte man?

Und wieder, nach so vielen von den Heiligen und ihren Talenten unbelasteten Jahren, kam mir Großtante Katharina in den Sinn.

Ich schweife jetzt keineswegs ab, es fügt sich: Mein Cousin Christian hat als Kind ziemlich stark gestottert. Das legte sich recht ordentlich, als er aufs Gymnasium kam. Seine Eltern und sein damaliger Deutsch- und Musiklehrer führten die deutliche Besserung darauf zurück, dass Christian seine Atemtechnik trainierte und im Schulchor sang. Meine Großtante Katharina behauptete, das sei wohl vor allem ihrer wiederholten Bitte an ihre Namenspatronin zu verdanken, dem Jungen das Stottern abzugewöhnen. Wer ihr das außer mir glaubte, – ich war acht, neun Jahre alt und offen für alles – , weiß ich nicht. Ich fand das sehr beeindruckend. Meine Tante sagte, die Heilige Katharina würde bei Zungenleiden helfen. Und beim Lernen und Schneidern! Es könnte ja nicht schaden, das zu wissen. Meinte sie. Ich staunte über soviel Können. Und glaubte das mal.

Heilige Jungfrauen können Sowas!

Katharina

Der Namenstag von Katharina, tatsächlich Schutzpatronin der Schneider, gleichwohl der Schulen und philosophischen Fakultäten, zudem auch zuständig für Sprachschwierigkeiten, fällt auf den 25. November. Meine Tante lud für diesen Tag traditionell ihre älteste Freundin Barbara Schlüthoff und die Nachbarin Dorothea „Dodo“ Wörner zu Kaltem Hund und Eckes Edelkirsch ein. Das ist ewig her, und was da Spezielles serviert wurde, ist als Erinnerung auch sinnfrei, was die ganze Sache angeht. Wohl aber nicht, dass die Frauen, die sich trafen, wahrhaftig allesamt so hießen wie drei der vier Hauptjungfrauen der frühen Kirche, genannt die Virgines Capitales, die als Märtyrinnen starben und heiliggesprochen wurden: Katharina, Barbara und Dorothea. Fehlte nur noch Margareta in der Runde.

Mich überfiel bei meinem Heiligen-Studium spontan ein wohliger Schauer. War das damals eine Bestimmung? Ein gutes, böses, dreifaches Omen und wofür? Hatte das tieferen Sinn? Gleich vorweg: Wohl eher nicht. Ich tippe mal auf puren Zufall, weil die Namen in den 1920er Jahren halt in Mode waren. Die Namen der legendären Virgines capitales! Als da wäre allen voran Katharina, über die meine Großtante, mal abgesehen vom Stottern und Nähen, mir nie eine ordentliche Auskunft hat geben können. Wer die denn gewesen sei, wollte ich damals nach Cousin Christians wundersamer Heilung wissen. „Na, eben eine Heilige, Kind“, sagte sie. „Heilige Jungfrauen können sowas.“ Und Punkt. Aber mal ehrlich: Wer von uns weiß denn auch Sowas aus dem Lameng?

Katharina von Alexandrien, überzeugte Christin, geweihte Jungfrau von königlichem Blut, schön, klug und sprachgewandt, legte sich mit dem römischen Kaiser Maximianus an, Verfechter von Götzendiensten und dementsprechend verbohrt. Trotzdem derart beeindruckt von ihr, dass er ihr seine Philosophen schickte, um sie zu bekehren. Es lief aber anders als geplant: Katharina bekehrte die Gelehrten. Weil die sich nun dem Christengott zuwandten, ließ der völlig erzürnte Kaiser sie alle töten. Katharina wurde eingekerkert, gegeißelt, gerädert und geköpft. Die Enthauptung wäre natürlich unter normalen Umständen entfallen, da das Kammrad, die Speichen bespickt mit dolchartigen Zähnen, wahlweise mit Messerklingen, als eines der fürchterlichsten Folterinstrumente unweigerlich den Tod brachte. Auf unvorstellbar grausam schmerzvolle Art. Nun erzählt man sich, dass das bei Katharina halt anders war, weil ein Racheengel das Rad zerschmetterte und unzählige ungläubige Gaffer diesen Zerstörungsakt nicht überlebten. Als sie letztendlich enthauptet wurde, floss Milch statt Blut. Sagt man. Das mag so gewesen sein, vielleicht auch ganz anders. Hier geht’s letztendlich nicht um die Sezierung von Wahrheit, Wunder, Wunsch und Lüge. Ergo die ewige Skepsis ausknipsen, es wird erzählt:

Katharina, Margareta, Dorothea und Barbara, die vier Virgines Capitales, wollten als Bräute Christi jungfräulich bleiben und waren bereit, für ihren Glauben zu kämpfen, zu leiden und als Märtyrerinnen ((Märtyrer, auch Martyrer, altgriechisch, übersetzt: Zeuge) zu sterben.

Tatsächlich lebten sie wie auch Apolonia und Laurentius in einer für Christen unbequemen Zeit. Im Römischen Reich war die neue Religion ein Dorn im Auge des Kaisers und des Staates. Integration in das vorherrschende Gesellschaftssystem war unerwünscht, das Christentum galt es, komplett zu unterdrücken, letztendlich zu zerschlagen. Die radikale Verfolgung der Anhängerschaft endete mit der Anerkennung des Christentums als Staatsreligion durch Theodosius Ende des vierten Jahrhunderts. Bis es aber soweit war, wurde jede Menge unschuldiges Blut vergossen. Und aus den Wunden flossen die Legenden.

Eben auch die von Margareta, Schutzpatronin der Bauern, Ammen und Gebärenden, mit Fackeln gefoltert, weil sie den hochrangigen Mann zurückwies, der sie zur Frau wollte. Schließlich enthauptet, weil sie nicht, wie beabsichtigt, an ihren furchtbaren Verbrennungen starb. Die heilten auf wundersame Weise von allein.

Aus Wunden flossen die Legenden

Die Geschichte von Dorothea, Schutzpatronin der Gärtner, Blumenhändler und Bräute, ist ähnlich: Sie wurde gefoltert und enthauptet auf Anweisung des heidnischen Statthalters Apricius, der sie erfolglos umwarb. Dorothea beschwor ihre Jungfräulichkeit um des Himmelsreiches willen und gab ihm öffentlich einen Korb. Zuviel an Demütigung für Apricius. Das war ihr Todesurteil.

Wäre noch Barbara von Nikomedien, die ebenfalls als christliche Jungfrau im 3. Jahrhundert als Märtyrerin starb. In ihrem Fall war es der eigene Vater, Dioscuros, der ihr den Kopf abschlug, weil sie an ihrer Berufung festhielt, nur für ihren Glauben zu leben. Unmittelbar, nachdem Dioscuros seine Tochter geköpft hatte, wurde er vom Blitz erschlagen. Klingt nach Wunschdenken, aber so war das wohl.

Während eines Fluchtversuchs zuvor aus einem Turm, in dem sie eingesperrt war, soll sich ein Felsen für Barbara geöffnet haben, damit sie hinein- und hindurchgehen konnte. Das mag angezweifelt werden, bleibt aber exakt so stehen. Denn eben dieser göttliche Schachzug, der leider nichts genützt hat, weil ein Hirte die fliehende Barbara verriet, bleibt auf ewig mit dem Bergbau verbunden. Den Felsen nahm man als das Symbol überhaupt für die verborgenen Schätze in der unterirdischen Welt. Daran rüttelt man nicht. Unter Tage hält die Heilige Barbara Wacht, jeder Kumpel weiß das und ruft sie an bei drohender Gefahr. Sie ist aber auch Schutzpatronin des Militärs. Ganz nach der Idealvorstellung, dass mit Barbaras Hilfe jedes Ziel genauso gut getroffen werden soll wie der himmlische Blitz den Dioscuros getroffen hat. Und Schutzpatronin der Bauern, die sie darum bitten, vom Gewitter (Blitz!) verschont zu werden. Und noch der Architekten. Wegen eines dritten Fensters, das Barbara im Turm einbauen ließ als Zeichen der Dreifaltigkeit. Außerdem gilt noch:

An Barbara die Sonne weicht, an Lucia sie sich wieder zeigt.“

Schaurig-tragische Geschichten

An Lucia heißt: Lichterfest am 13. Dezember. In nordischen Ländern kleidet man sich am Lucientag (alte Sonnenwendfeierlichkeit) gern ganz in weiß und reicht Gebäck. Lucias Geschichte ist geläufig? Mir war sie es bis dato nicht. Sie unterscheidet sich in der Kernaussage natürlich nicht von der anderer berühmter Märtyrerinnen: Eine schöne junge Frau soll heiraten, will ihr Leben aber Gott widmen und wird für ihre Gläubigkeit grausam gefoltert, – in Lucias Fall war es heißes Öl, mit dem sie übergossen wurde – , und getötet. Lucia, die Leuchtende, Schutzpatronin der Armen und Blinden, wird in der Ikonographie oft mit einem Teller in der Hand dargestellt, auf dem ihre herausgerissenen Augen liegen. Ein schauerliches Denkmal. Das ist dann schon ein Bild, das aus dem Rahmen fällt. Wie auch das der Heiligen Agatha, Patronin der Handwerker, Hungerleidenden und an Brustkrebs erkrankter Frauen. Sie trägt eine Schale mit ihren eigenen Brüsten, die ihr bei ihrer Folter abgetrennt wurden, bevor ihre Ankläger sie zum Sterben auf glühende Kohlen legten.

Lucia

Es sind schon schaurig-tragische Geschichten. Es waren aber auch finstere Zeiten, in denen man gnadenlos mit allen umging, die nicht ins eigene Konzept passten. Und es ging ja nicht nur den Frauen so, dass sie büßen mussten und gequält wurden, weil sie anders dachten und nach eigenem Gefallen und Wert leben wollten. Von Laurentius, der sich für seinen Glauben lebendig braten ließ, wurde anfangs berichtet. Blasius von Sebaste, Bischof aus dem 4. Jahrhundert, u.a. Patron der Ärzte und der wilden Tiere, zogen die Römer die Haut mit heißen Wollkämmeisen ab, bevor er geköpft wurde. Sebastian, Soldat in der römischen Armee, Schutzpatron der Sterbenden, Kriegsinvaliden, auch Gärtnern und Leichenträgern, wurde, weil er sich dem Christentum zuwandte, von Speeren durchbohrt und, weil die prinzipiell tödlichen Verletzungen wundersam wieder heilten, zu Tode geprügelt.

Die Steinigung des Erzmärtyrers Stephanus, Schutzpatron der Maurer und Zimmerleute, erster verzeichneter Märtyrer überhaupt, der sein Bekenntnis zu Jesus mit einem gewaltsamen Tod bezahlte, war der Auftakt zu einer durchorganisierten Christenverfolgung in Jerusalem, für die sich auch Saulus, der spätere Apostel Paulus, stark machte. Jugendsünde?!

Lektüre gäbs noch reichlich, wo und wie hört man auf? Vielleicht mit dem Heiligen Kanonenrohr, dem Heiligen Strohsack , der Heiligen Scheiße und dem Heiligen Bimbam? Kennt man. Stammt aus dem Mittelalter. Die Leute wollten die Namen der echten Heiligen nicht missbrauchen, wenn sie Überraschung, Verblüffung, Schreck, Vergnügen oder auch Entsetzen ausdrücken wollten. Das kam auf die Betonung an, wie so vieles, was wir sagen und tatsächlich (nicht) meinen.

Das letzte Wort verdient der „Schlampertoni“, der Heilige Antonius, mit ihm hat’s schließlich angefangen. Insgeheim gewappnet für eine weitere Mordgeschichte? Es ist keine:

Antonius von Padua, Ende des 12. Jahrhunderts ebenda geboren, Priester des Franziskanerordens, bedeutendster Prediger seiner Zeit, Wundervollbringer, Schutzpatron der Armen, wird unter anderem auch bei Beziehungssehnsüchten, vor allem aber für das Wiederfinden verlorener Gegenstände angerufen. Der Heilige Antonius, unermüdlich in seinem Engagement, starb auf dem Rückweg von einer seiner zahlreichen Reisen kurz vor Padua. Grad Mitte dreißig war er da, wahrlich noch sehr jung an Jahren. Vielleicht starb er an Erschöpfung. Allemal, es war ein ganz natürlicher Tod als Ende eines guten Lebens.

Keine böse Sache also. Schön, zu wissen.

Karin Reddemann

Karin Reddemann

Karin Reddemann, Jahrgang 1963, Studium Germanistik/Romanistik, Journalistin und Autorin; von 2015 - 2018 Redakteurin im Phantastikon-Magazin; Mitarbeiterin beim Online-Magazinn Fantasyguide; Kurzgeschichten in verschiedenen Anthologien, Buch Gottes kalte Gabe, Dr. Ronald-Henss-Verlag Saarbrücken (auch e-books).

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