Seidenspinner

Robert Galbraith: Der Seidenspinner (Cormoran Strike #2)

Es ist fast unumgänglich, dass nahezu jede Besprechung von Rowlings großartiger Krimireihe, die 2013 mit Der Ruf des Kuckucks ihren mehr als soliden Start markierte, mit Hinweisen auf Harry Potter gespickt ist. Es ist fast zu schade, dass ihr Pseudonym Robert Galbraith so früh schon gelüftet wurde, die Rezensionen sähen anders aus. Und wie man sieht, komme auch ich nicht umhin, ihre berühmten Kinder- und Jugendbücher zu erwähnen.

Dass Rowling eine herausragende Autorin ist, kann nur ein Dummkopf bestreiten. Dass sie einen soliden Krimi schreiben kann, war deshalb keine große Überraschung.

Im ersten Roman folgten wir Cormoran und seiner neuen Sekretärin Robin Ellacott, wie sie den mysteriösen Tod des Models Lula Landry aufklärten. Strike litt noch unter der Trennung von seiner verlobten Charlotte und sein Detektivgeschäft ging gerade den Bach runter. Im „Seidenspinner“ geht es aufwärts: Das Geschäft boomt, es gibt jede Menge Kunden, und Cormoran kann es sich sogar leisten, nicht mehr in seinem Büro wohnen zu müssen.

In „Der Seidenspinner“ begibt sich die Autorin auf ein Terrain, das dunkler und verstörender ist als dieser – bereits gelungene – Auftakt. Rowling hat nicht lange gebraucht, um sich in diesem Genre nicht nur umzusehen, sondern auch gleich ein Spitzenwerk abzuliefern, das viele ihrer langjährigen Kollegen auf die Plätze verweist.

Strike wird hier von der Frau des verschwundenen Autors Owen Quine (Kwein) engagiert, um ihn zu finden und er nimmt an, obwohl er weiß, dass es sich womöglich nicht auszahlen wird.

Quine verschwand, als er die Nachricht erhielt, dass sein neuestes Manuskript nicht veröffentlicht werden kann, weil er dort verschiedene Berühmtheiten aus der Welt der Literatur in bösartiger Weise porträtierte. Was folgt, ist ein sadistischer Mordfall, und damit sind Cormoran und Robin gezwungen, sich ihren Weg durch den trüben Sumpf der Verlagsbranche zu bahnen, während im ersten Band die Paparazzi ihr Fett weg bekamen. Rowlings Lebenserfahrung ist also nicht zu übersehen. Sowohl „Der Ruf des Kuckucks“ als auch „Der Seidenspinner“ dekonstruieren die Vorstellungen von Erfolg, Ruhm und einem Leben im Rampenlicht.

Als Cormoran im Zeitschriftenregal nach einer Ausgabe des Tatler sucht, in dem seine Ex-Verlobte abgebildet ist, entdeckt er Emma Watson auf dem Titelblatt der Vogue – ein echter Agatha-Christie-Witz.

Im ersten Band wurde sehr eindringlich beschrieben, wie er in einer Limousine sitzt und von Paparazzi verfolgt wird. Diesmal gibt es einige besondere Seitenhiebe auf die zweifelhaften Literaturwelt.

Ein Autor erklärt Strike: „Wer lebenslange Freundschaft und selbstlose Kameraderie sucht, sollte zur Armee gehen und das Töten lernen. Wer sich ein Leben voller temporärer Allianzen mit Kollegen wünscht, die sich im Versagen des anderen sonnen, muss Romane schreiben“. Es ist unmöglich, hier nicht Rowlings ganz persönliche Erfahrung herauszulesen. Und es ist leicht zu verstehen, warum sie sich dafür entschied, unter einem Pseudonym zu veröffentlichen: Sie wollte wegen ihrer schriftstellerischen Arbeit und nicht wegen ihrer Berühmtheit wahrgenommen werden. Während die hochnäsigeren Schichten der literarischen Welt sie vielleicht belächeln, weil sie im Grunde nicht so viel von Literatur verstehen wie sie vorgeben, zeigt sie dem echten Verständigen einmal mehr, welch überragende Gabe zur Beschreibung sie hat.

Rowling hat es sich bei der Entwicklung ihres Privatdetektivs nicht einfach gemacht, weil es diese Art vom Ermittler heute nicht mehr gibt. Ein Privatdetektiv hat kaum die Möglichkeit, in einem Mordfall zu ermitteln und man muss sich schon etwas einfallen lassen, um ein glaubhaftes Szenario zu entwerfen, bei dem das gelingen kann. Nicht, dass mich das in irgendeiner Weise interessieren würde, aber Rowling gelingt es, Strikes Fälle legitim darzustellen. Dabei hat sie mit Cormoran Strike auch noch einen höchst interessanten Detektiv entworfen. Er ist als uneheliches Kind eines alternden Rockstars sogar selbst eine kleine Berühmtheit und schafft es unter all den zahlreichen Ermittlern, die es mittlerweile gibt, zu den besten ihrer Zunft aufzusteigen.

Die Beziehung zwischen Cormoran und Robin entwickelt sich hier auf interessante Weise, und einer der Haupthandlungsstränge hier betrifft die Ausweitung ihrer bisherigen Rolle. Robins Beziehung zu ihrem langjährigen Verlobten Matthew steht weiterhin unter seinem rigorosen Unmut, dass seine baldige Frau, die als Sekretärin anderswo bei weitem mehr Geld verdienen könnte, für einen – für ihn – windigen Detektiv arbeiten will.

Strike weist in einer seiner Überlegungen den Leser darauf hin, dass die Bedingung dafür, dass Robin mit ihrem Verlobten zusammenbleibt, darin besteht, dass sie „nicht sie selbst ist“, und es gibt eine allgemeinere Betrachtung über die Schwierigkeiten, sich von einer langjährigen Liebe zu trennen.

Es gibt eine ganze Reihe dysfunktionaler Paare in „Der Seidenspinner“, von den trunksüchtigen Waldegraves über die kaltblütige Arroganz der Fancourts, der repressiven Chards bis hin zu den überaus seltsamen Quines. Leonora Quine ist eine wunderbar gezeichnete Figur: verkorkst und mürrisch, nur mit ihrer Tochter beschäftigt und ziemlich desinteressiert an ihrem Mann. Sie las seine Bücher nur, sobald sie einen ordentlichen Einband hatten, und sie weigert sich hartnäckig, von der Entwicklung der Ereignisse schockiert zu sein. In beiden Teilen von Cormoran Strikes Abenteuern ging es mehr um die Beziehungen zwischen den Figuren als um das Endziel, und in der Tat scheint der wahrhaftigste Bösewicht von allen Cormorans ehemalige Verlobte Charlotte zu sein, die so etwas wie die Irene Adler für Holmes ist. Dabei wird sie zwar andauernd erwähnt, ist aber noch nicht wirklich in Erscheinung getreten.

Wie geschickt Rowling darin ist, die Entwicklung ihrer Figuren zusammen mit einem interessanten Fall zu präsentieren, und nicht nur nebeneinander, zeigt sie hier mit einer Grandezza, die eigentlich alle Kritiker zum Verstummen bringen müsste. Wie wir wissen, ist das natürlich nicht der Fall. Mindere Geister werden ihr ihren Erfolg weiterhin neiden.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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