Ich erwachte in meinem fensterlosen Turm, in dem es nach alten Büchern und Würmern roch, die sie befallen hatten, und fegte die bleichen, geflügelten Viecher aus meinen gelockten Haaren, wo sie sich eingenistet hatten. Ich schüttelte die seidigen Körper von mir, stand auf und starrte auf die weiße Kugel aus sanftem Licht, die knapp über meinem länglichen Schatten schwebte – die Kugel, die von jeher mein Begleiter war. Durch ihr Licht konnte ich die Worte aus den alten Büchern verschlingen, Silben, die ich schmecken konnte, sobald sie gesprochen wurden. Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, wie ich die Kunst des Lesens erlernt habe, aber ich kann mich schwach an die Frau erinnern, die in meinen Träumen tanzte und immer ein weißes Buch in der Hand hielt, die mir die leuchtenden Blätter zeigte und vorsichtig ihre stummen Lippen bewegte, damit ich die Worte verstehen konnte, die sie bildeten. Es war diese Frau in Weiß, die sich auf dem Höhepunkt einer Vision in eine Lichtkugel auflöste, die mir aus dem Schlummer gefolgt war und mit mir in dem einsamen Turm wohnte; und es war diese strahlende Kugel, die mich am Tag meines Entschlusses begleitete, den Turm zu verlassen und den umliegenden Wald zu erkunden. So verließ ich das Turmzimmer, das seit Menschengedenken mein Zuhause gewesen war, stieg die gewundenen steinernen Stufen hinunter und überquerte die gewölbte Schwelle, die zum Boden der stillen Erde führte, wo alles dunkel war, bis auf jene Flecke, die vom Schein der Kugel, die mir folgte, geküsst wurden. Ich atmete die eisige Luft ein, und leichter Nebel schwebte durch meine Lippen und trieb auf die dunklen, stummen Bäume des schweigenden Waldes zu. Obwohl kein Geräusch zu hören war, bildete ich mir ein, hinter fernen Bäumen heimliche Bewegungen wahrzunehmen, und dachte, dass vielleicht die blassen geflügelten Wesen, die sich stets zur Zeit des Schlummers in mein Haar schmiegten, meine Schritte heimlich beschatteten. Es machte mir nichts aus – ich mochte ihre glatten, kalten Formen, wenn sie sich in meinem aufgerollten Haar wanden und meine Kopfhaut küssten.
Die dunklen Bäume des endlosen Waldes standen wie stille Wächter, die mich auf meinem Weg beobachteten, und als der Weg begann, sich zu neigen und in eine tiefere Region abzufallen, griff ich nach einem nahegelegenen Stamm, um mein Gleichgewicht zu halten; aber es erschreckte mich, als ich meine Handfläche gegen die verästelte Form drückte, wie substanzlos das Geschöpf wirkte, als könnte es das Element eines Traums sein, durch den ich wanderte. Während ich darüber nachdachte, schoss die bleiche Kugel, die mich begleitete, vor mir her, gefolgt von ebenso bleichen geflügelten Wesen, von denen einige sofort nach meinem Haar griffen und mich endlich auf den richtigen Weg zerrten, endlich aus dem Wald heraus und in Richtung eines Feldes, wo schlanke schwarze Steine aus dem Boden ragten. Erst jetzt wurde ich mir meiner Empfindungen bewusst, denn ein Gefühl der Kälte umhüllte mein Inneres. Der Boden, auf dem ich stand, wirkte fest und seine raue Beschaffenheit fühlte sich unter meinem nackten Fuß unangenehm an. Der Himmel über mir war pechschwarz, aber als ich in seine gewölbte Weite blickte, schwebte meine Lichtkugel direkt vor meinem Gesicht und drückte gegen meine Augen; dann schwebte sie von mir weg, in den Mitternachtshimmel hinauf, wo sie sich in einen aufgeblähten, pilzförmigen Mond verwandelte, der ein verfallenes Licht auf die Felsplatten warf, die sich über den umliegenden Boden wölbten. Ich berührte eine dieser Platten und versuchte, die Worte zu lesen, die darauf eingraviert waren, als die Stille des Ortes durch ein Geräusch durchbrochen wurde, mit dem ich einigermaßen vertraut war; denn in meiner Turmkammer hatte es eine Sammlung von Glocken verschiedener Größe gegeben, und ich vergnügte mich manchmal, indem ich sie anhob und ihrem Geläut lauschte. Was ich jetzt in der kühlen Luft spürte und in unmittelbarer Nähe hörte, war ein tiefes Geläut, wie von einer fernen Mammutglocke; und war es nicht seltsam, wie ich die Schwingungen des Tons in der Luft vor mir fast sehen konnte, wie sie sich in mein Fleisch, meine Augen, meinen kribbelnden Mund drückten? Und als ich diesem Klang folgte, wurde er bald von einem leichteren Zittern begleitet – und auch das erkannte ich, denn zu meinen Besitztümern in meiner Kammer gehörte eine antike Spieldose, die, einmal aufgezogen, eine beschwingte Melodie spielte, die mich oft in den Schlummer führte. Das Geräusch, das jetzt in der dunklen Luft widerhallte, war ein ähnlicher Klang, jedoch stärker und wuchtig.
Ich folgte dem bezaubernden Klang und erspähte die Rechtecke aus goldenem Licht, die sich als Öffnungen eines Turms erwiesen, der meinem eigenen nicht unähnlich war. Aus diesem Gebäude ertönte Musik, eine Musik, die mich lockte und mich aufforderte, durch eine goldene Öffnung in einen hellen Raum zu steigen. Ich trat auf einen glatten, polierten Boden und sah das Wesen, das neben mir brannte, eine Gestalt, die mir insofern ähnelte, als sie Gliedmaßen und einen Rumpf hatte. Ich sah, dass die Beleuchtung des Raumes von den hochgehaltenen Händen des Wesens stammte, die mit gelbem Feuer brannten. Ich sah die anderen seiner Art, die regungslos dastanden, während ihre flammenden Hände das Licht lieferten, mit dem sich die übrigen Anwesenden im Raum tanzend zur Musik bewegten, die von den auf einer Plattform versammelten Wesen gespielt wurde. Eine der Tänzerinnen bewegte sich auf mich zu, und ich staunte über ihr strahlendes Weiß, über die künstlichen Flügel, die in ihr Gewand eingenäht waren, über die Berührung ihrer behandschuhten Hände, die sich durch mein Haar bewegten. Ich wunderte mich über den Gestank, der von meiner neuen Gefährtin ausging, ein schwerer Geruch, wie er mir noch nie in die Nase gestiegen war; und doch, so sehr er meine Sinne beleidigte, gab es einen Aspekt, den ich als beruhigend empfand. Ich wurde in den Tanz hineingeführt und von einem bunt gekleideten Mann umarmt, der den größten Teil des Fleisches verloren hatte, das einst sein Antlitz bedeckte, und ich lachte über das grimmige Vergnügen, das von seinem zu breiten Grinsen ausging. Eine weitere geflügelte Frau in Weiß schwebte zu mir, und ich fragte mich, warum ihre Füße knapp über dem glänzenden Boden zu schweben schienen. Mein Herz zitterte heftig, als ich das weiße Buch erblickte, das sie umklammerte, das Buch, das für mich geöffnet war. Wie gebannt stand ich da, als die Frau den spitzen Nagel einer langen Kralle in meinen Finger bohrte, und ich wurde fast ohnmächtig bei dem Geruch der dunklen Substanz, die aus meinem durchstochenen Fleisch zu quellen begann. Ihre Hand führte meine eigene, um meinen verwundeten Finger auf die saubere weiße Seite zu drücken, und als ich meine Hand wegnahm, sah ich die Abdrücke auf dem schimmernden Papier.
Ich blickte noch immer nach unten, als das weiße Buch von mir genommen wurde, und so sah ich das Bild auf dem Boden aus geschliffenem Glas; und ich wusste, dass das, was ich sah, mein eigenes Spiegelbild war, von dem ich zwar gelesen, es aber nie gesehen hatte, denn in meinem Turmzimmer gab es weder Fenster noch Spiegel. Ich fiel auf die Knie und berührte mein glattes Ebenbild mit der Hand, und ich staunte, dass ich ein Ding von schillerndem Weiß war wie die Lichtkugel, die einst mein ständiger Begleiter gewesen war. Ich lachte, als ich sah, wie dünn die Beschaffenheit meines Gesichts geworden war und den Schädel unter meiner fleischlichen Maske zum Vorschein brachte. Ich wusste, dass ich mich bald der Schar freundlicher Geister anschließen würde, die sich um mich scharten, und dieses Wissen verzauberte mich so sehr, dass ich mein Gesicht hob und in Ekstase stöhnte, woraufhin sich die anderen um mich versammelten und mir ihre grässlichen Hände anboten, oder das, was einmal Hände gewesen waren. Und ich summte den makabren Walzer des Orchesters mit, während meine Landsleute um mich herum knieten und mich in ihrer aasigen Umarmung willkommen hießen.
Entdecke mehr von Phantastikon
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
Gib den ersten Kommentar ab