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Review / Fairy Tale / Stephen King

Fairy Tale Cover

Hallo Freunde draußen an den Radiogeräten und willkommen zur Buchbesprechung von Stephen Kings neuestem Roman mit dem märchenhaften Titel „Fairy Tale“. Und wenn ein Roman in jüngster Zeit sich gut in das hier besprochene Stephen-King-Multiversum einfügt, dann ist es dieser, den man am ehesten im King-Kanon in eine Reihe mit „Die Augen des Drachen“, die Romane um den dunklen Turm, dem Talisman oder „The Wind through the Keyhole“ (bei uns „Wind“) stellen kann.

Die alternative Märchenwelt des Buches kombiniert Grimmsche Märchenelemente mit Lovecraftschem kosmischem Horror, aber es dauert eine Weile, bis man dort ankommt. Charlie Reade, der Protagonist des Buches, beginnt seine Reise durch den Weltbrunnen erst nach etwa einem Viertel des Buches. Zunächst aber baut King das sorgfältige Porträt von Charlies Leben in der kleinen Stadt Sentry in Illinois auf. Dann aber fließt alles von Rumpelstilzchen bis zu den drei kleinen Schweinchen über Star Wars und den Hunger Games in diese mitreißende Coming-of-Age-Geschichte, die eine Erzählung von menschenfressenden Riesen, elektrischen Zombies, Duellen auf Leben und Tod, einem grausamen Herrscher und einer schönen Prinzessin umspannt.

Es sind jedoch ein Junge und sein Hund, die sich in die große Riege der unvergesslichen Protagonisten einreihen werden.

Als Charlie 8 Jahre alt ist, geht seine Mutter los, um Brathähnchen für die Familie zu holen, und wird von einem Lastwagen getötet, der auf einer vereisten Brücke ins Schleudern gerät. Sein Vater, ein Versicherungssachverständiger, ertränkt seinen Kummer in Alkohol, und auch Charlie selbst gerät für eine Weile auf die schiefe Bahn, indem er anderen gelegentlich grausame Streiche spielt. Sein Vater verliert seinen Job, die Rechnungen stapeln sich, und Charlie beginnt sich zu fragen, ob sie am Ende in ihrem Auto oder unter einer Brücke werden leben müssen.

In seiner Verzweiflung bietet der ansonsten kirchenferne Junge Gott einen Handel an, damit sein Vater aufhört zu trinken: „Wenn du das für mich tust, wer auch immer du bist, werde ich auch etwas für dich tun.“ Kurze Zeit später schaut ein ehemaliger Kollege im Hause Reade vorbei und überredet Charlies Vater, bei einem Treffen der Anonymen Alkoholiker vorbeizuschauen. Charlie hält die anhaltende Nüchternheit seines Vaters für ein „Wunder“, und er selbst hat jetzt eine Schuld zu begleichen.

Er hilft freiwillig bei der Straßenreinigung und sammelt Spenden für UNICEF, aber er wird das Gefühl nicht los, dass dies alles nicht genug ist, bis er als Teenager den einsiedlerischen alten Mann entdeckt, der die Straße hinauf wohnt und mit einem gebrochenen Bein am Fuß einer Leiter liegt.

Das Unheimliche in das Alltägliche einzubringen ist ein Markenzeichen von Stephen King – ein gutes Beispiel dafür sind die unheimlichen Botschaften, die ein Geist in „Bag of Bones“ (dt. „Sara“ von 1998 mit Buchstabenmagneten auf einen Kühlschrank buchstabiert. Hier haben wir es allerdings nicht mit dieser Art von King-Romanen zu tun. Abgesehen von einigen seltsamen Geräuschen, die aus dem Geräteschuppen des alten Mr. Bowditch dringen, geht es in diesem ersten Teil des Romans um Charlies Beziehung zu seinem Vater und seine wachsende Freundschaft mit dem schrulligen Kauz, die durch ihre gemeinsame Liebe zu Mr. Bowditchs alternder Schäferhündin Radar gefestigt wird. Manch einer mag dies als ziemlich langsamen Anfang für eine Abenteuergeschichte bezeichnen, dabei zieht er sich jedoch kein bisschen in die Länge. Im Gegenteil lässt gerade dieser ausführliche erste Teil viel Raum für Kings Paradedisziplin: der Figurenzeichnung.

Charlie ist ein grundguter Junge, aber er ist sich seiner Fähigkeit, sich auch anders verhalten zu können, nur allzu bewusst. Er verlässt das Baseballteam der Schule, um sich um Mr. Bowditch zu kümmern, sobald der alte Mann aus dem Krankenhaus entlassen wird, aber ein nicht unwesentlicher Grund dafür ist sein Wunsch, mehr Zeit mit Radar zu verbringen, die sich dem Ende ihres Lebens nähert.

Als Charlie herausfindet, dass Mr. Bowditch in dem Holzschuppen ein Portal zu einer anderen Welt verbirgt, rückt die Absicht des Romans in den Mittelpunkt. Das Königreich Empis am anderen Ende eines langen Tunnels voller Fledermäuse und gelegentlicher übergroßer Kakerlaken ist ein Reich mit windschiefen Häuschen, Gänsemägden und großen bösen Wölfen, denen man nachts nicht begegnen möchte. Es ist ein märchenhafter Ort, aber einer, der eindeutig in den älteren, dunkleren und gewalttätigeren Versionen der Märchen verwurzelt ist. Charlie findet viele Gelegenheiten, darüber nachzudenken, wie sehr es mit den Disney-Versionen kollidiert, selbst als sein braunes Haar blond wird, seine braunen Augen blau werden und die Einheimischen beginnen, von ihm als dem Prinzen zu sprechen, der dazu bestimmt ist, sie vor einem schrecklichen Fluch zu befreien. Es gibt eine gefährliche Suche in einer Geisterstadt, eine schöne Prinzessin im Exil, menschenfressende Riesen, einen Aufenthalt in einem Kerker, der von elektrifizierten Skelettsoldaten bewacht wird, und ein abscheuliches Wesen aus einer anderen Dimension, das nicht nur Empis, sondern auch Charlies Welt korrumpieren könnte.

In der Widmung von Fairy Tale lesen wir die Kürzel REH, ERB und HPL. Die meisten Leser werden sich nicht schwer damit tun, sie als Robert E. Howard (Schöpfer von Conan), Edgar Rice Burroughs (Tarzan) und H.P. Lovecraft zu identifizieren.

Moderne Märchenerzählungen lassen in den meisten Fällen die Erdverbundenheit der Originale vermissen, während Abenteuergeschichten aus der Pulp-Zeit zwar oft sehr unterhaltsam sind, aber in der Regel mit keiner emotionale Tiefe aufwarten. Fairy Tale hingegen bietet sowohl fleischliche menschliche Schwächen als auch ein voll funktionsfähiges Herz. Die Handlung wird nicht von dem Wunsch des Helden angetrieben, sein Glück zu finden, sondern von etwas so Starkem wie der Liebe eines Jungen zu seinem Hund.

Diese Liebe ist kindlich und einfach, und Charlie ist bereit, sein Leben zu riskieren, um Radar zu retten. Jeder Hundeliebhaber kann Charlies überschwängliche Hingabe an ein Geschöpf, das ihn anbetet, verstehen. Es ist diese Liebe, die ihn nach Empis zieht, aber es ist Charlies komplexe Liebe zu seinem Vater, die ihn wieder zurückbringt. Die Bindung, die Charlie zu seinem Vater empfindet, ist zum einen das elementare Band zwischen Eltern und Kind und zum anderen der hart erkämpfte Lohn für das, was sie gemeinsam durchgemacht und füreinander getan haben. Weder der Junge noch der Mann zögern, ihre Gefühle zum Ausdruck zu bringen, da sie beide nur zu gut wissen, wie plötzlich die Menschen, die wir lieben, aus dem Leben gerissen werden können. Die ersten Seiten, die King mit der Darstellung ihrer Beziehung verbringt, wirken den ganzen Roman hindurch nach und vertiefen ihn.

Es gibt Momente in Fairy Tale, in denen Charlie gezwungen ist, den dunklen Brunnen anzuzapfen, den er als Kind entdeckt hatte, als sein Vater entschlossen schien, das Andenken an seine Frau, Charlies Mutter, zu ehren, indem er abstürzte. Er hatte ihn eine Zeit lang gehasst, und er hasste sich selbst dafür, dass er seinen Vater hasste.

Der Hass ist in diesem Roman ist eine ebenso große Kraft wie die Liebe, und er erweist sich als die Wurzel von Empis‘ Fluch. Ein durchgängiges Thema in Kings Werk ist, dass jeder Mensch das Potenzial hat, Böses zu tun, und dass wir nur dann auf ein moralisches Leben hoffen können, wenn wir dies anerkennen und wachsam bleiben. (Vor allem Lovecraft war ein Schriftsteller, der sich nie mit seiner eigenen Neigung zum Hass auseinandergesetzt hat, und sein Werk ist deshalb tatsächlich weniger gut als ständig behauptet wird).

Aber Hass ist auch eine Art von Macht, vor allem für einen Geschichtenerzähler. Das Gute, das Böse, ein Königreich, das es zu retten gilt, Monster, die es zu erschlagen gilt – das ist der Stoff, aus dem phantastische Bücher gemacht sind. Die Striche sind hier breiter und publikumswirksamer als in den letzten großen King-Werken wie „Das Institut“, einem Roman, in dem es zum Teil darum geht, wie Menschen sich selbst davon überzeugen, dass lohnenswerte Ziele unsägliche Mittel rechtfertigen. Und es handelt sich nicht um einen Kriminal- oder Detektivroman wie „Billy Summers“ oder seine Holly-Gibney-Bücher. Fairy Tale ist sowohl weitreichend als auch in sich geschlossen, komisch und gruselig, berührend und düster. Am Ende des Romans muss Charlie eine Entscheidung treffen, die ebenso unvermeidlich wie schmerzhaft ist. Er tut schließlich das Richtige, aber das weiß er nur, weil er die Erfahrung darüber besitzt, wie leicht es ist, falsch zu handeln


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