Nachtkurier

Für den Fall der bösen Fälle: Augen zu, dann durch.

Erstaunlich, was prinzipiell sensible Zivilisten alles aushalten, wenn sie sich diese gewissen Filme angucken. Böse, blutige Filme. An Lötkolben, Kneifzange, Hammer, Schwert und Motorsäge im Folterkeller haben sie zwar nicht ihre helle Freude, verfolgen das alles aber recht entspannt, wachsam und mit diesem gewissen Einverständnis, das bei noch deutlich sensibleren Gemütern auf Unbehagen stossen könnte.

Gilt die Vermutung, dass das Schlachten und Metzeln, zumal, wenn es verdient ist, insofern nicht sonderlich juckt, weil man sich, während man da so mit Knabberzeug im Sessel hockt, überhaupt nicht vorstellen will, dass einem selbst prinzipiell jederzeit abartig Schlimmstes widerfahren könnte. Möglich ist ja alles.

Will man aber gar nicht so genau wissen. Außerdem kann man bei den wirklich scheußlichen Szenen weg gucken, dann sind sie irgendwie gar nicht da. Man kann auch „Lalelu“ singen mit dem Kissen auf den Ohren. Kurz mal in die Küche oder auf die Toilette verschwinden. Wieder kommen und fragen: „Und? Hab‘ ich was wichtiges verpasst?“ Da heuchelt man natürlich ein bisschen. Wichtig kann das nicht gewesen sein, nur widerlich. Zu widerlich. Sonst hätte man sich das angesehen.

Muss man nicht unbedingt genau wissen

Ewiger Zwiespalt, fürwahr: Sieht man tapfer hin, wenn was passiert, das man vielleicht ganz gern verpasst hätte, will man halt auch was sehen als Belohnung für eigenen Todesmut. Da ist man sogar schwer enttäuscht, wenn in der finsteren Gasse ein langes Messer oder scharfes Gebiss blitzt und die gellend schreiende blonde Bedienung aus dem Imbiss gleich um die Ecke sehr offensichtlich zerfetzt und ausgeräumt oder abgestochen und aufgeschlitzt wird, ohne, dass Wesentliches erkennbar ist. Damit ist man in global bester Gesellschaft: Dass man die unappetitlichen Details tatsächlich gar nicht sehen muss, um zu wissen, dass man sie ekelhaft abartig finden würde, steht dabei nicht zur Debatte. Da ist der Trotz, dass die Erdnüsse bis zum letzten Schnitt, zum letzten Schrei schmecken sollten, ohne dass jemand bestimmt, ob reeller Würgereiz angebracht ist oder rein die Phantasie, die einen getrost auch mal wegsehen lassen kann. Man weiß ja ungefähr…ob man nun wissen will oder gar nicht so unbedingt.

Da gibt es diese Leute, die sich darüber beschweren, dass Horror sich meist nun mal in finsterer Nacht abspielt und das Bild ergo annehmbar dunkel bleibt, – „Man sieht ja gar nichts!“ – , aber wenn denn doch gut was erkennbar ist, – deutlich mehr, als man erkennen möchte – , ist das auch nicht so recht in Ordnung. Gequält, abgenervt, angeekelt gefragt: „Muss man das so zeigen?“ Und nachgehakt: Will man das sehen? Oder ist es die Show vor der Leinwand, im Wohnzimmer, im Kinosaal, die man vor sich selbst und vor anderen abziehen kann, die einen zur finsteren Stunde putzmunter und höchst aufgeschlossen macht? Und die einen die Diskretion eines Kameramanns nicht öffentlich schätzen lässt. Man will erwachsene Pflicht auf dem Schirm. Arbeit, die nicht im stillen Kämmerlein erledigt wird. Man will Blut sehen, wenn da Blut im Spiel ist. Plakativ. Aus, wenn’s insgeheim schüttelt.

Ich persönlich mag das Köpfen. Den definitiven Exitus. Da gucke ich interessiert hin. Immer. Ob Dämon, Vampir oder profanen Serienkiller, man köpft ihn und macht ihn damit ohne Splatter-Sauerei fertig. Köpfen ist eine akzeptable, da saubere Angelegenheit, die ich eventuell sogar als eigene Todesursache erwägen würde. Nur für den Fall. Kopf ab. Fertig. Das kriegt man ja so gar nicht mit.

Augen in Großaufnahme in gewissen Filmen an bestimmten Stellen sind freilich für mich immer ein Grund, misstrauisch zu werden. Da denke ich, dass jetzt gleich ein spitzer Bleistift, ein Nagel, ein Skalpell ins Bild kommt, dass irgendwas wirklich Fieses passieren muss, weil die Augen ja nicht umsonst so riesig gezeigt werden. Und ich überlege, ob jetzt eventuell die Hunde oder meine Fingernägel dringend meine Aufmerksamkeit bräuchten oder ich an den Kühlschrank gehen oder einfach nur an die Wand mit den Familienfotos starren sollte, die ich nachzeichnen könnte, so gut kenne ich sie. Und so gut kenne ich auch meine Schwachpunkte. Ich liebe Grusel, Grausen, Nervenkitzel, Bosheit und Arglist des klugen Kaliebers, spöttische Kaltschnäuzigkeit und den genialen Wahnsinn, der zubeisst und seine Zähne ins Hirn schlägt. Ich mag es, wenn es richtig böse wird. Aber ich schaue nicht gern dabei zu, wie ein Mensch bei lebendigem Leib fein seziert, grob zerstückelt oder häppchenweise gefressen wird.

Augen in Großaufnahme erwecken Argwohn

Old school Horror und seine zumutbaren Kinder verschonen im Regelfall mit diesen Unappetitlichkeiten. Das ist grundsätzlich eine vernünftige Sache. Man kann sich auf diese ganz spezielle Art entspannen, die ein Aufschrecken oder gar einen Aufkreischen ohne eine sich androhende Verkrampfung verträgt. Diese großartige Entspannung finde ich, jetzt mal als Beispiel, bei Die Frau in Schwarz, durchaus auch beim Babaddok und längst schon bei Dracula. Das war natürlich nicht immer so, Dracula hat mich sehr wohl erschrecken und aufschreien lassen können, als ich noch Schleifen in den Zöpfen trug. Aber dass ich nicht hingeguckt habe, wenn Zähne sich in Hälse geschlagen und Pflöcke in Brustkörbe gehämmert wurden, haben war nicht der Fall.

Ich erinnere mich, dass eine Cousine meiner Mutter uns allen Ernstes bei Die Rache der Pharaonen den Fernseher ausgeschaltet hat, – wir Kinder hockten auf dem Teppich im Nebenraum und klebten davor, während die Erwachsenen im Wohnzimmer ihren Weinbrand hatten und Rommé spielten – , und das tat sie mit den Worten: „Schlimm. Das kann man ja gar nicht mit ansehen. Und sowas lasst Ihr Eure gucken?“ Nun musste und sollte sie das gar nicht mit ansehen, – sie hatte nur den Ton gehört, war einfach ‚rübermarschiert zu uns und hatte völlig dreist mittendrin unseren Film abgeschaltet – , und zudem war sie ja nun nicht befugt zu sowas. Das sagten wir ihr auch. So ungefähr. Das wirklich Tragische an der ganzen Geschichte war aber, dass unsere plötzlich schamerfüllte Mutter meinte, mit dieser Meinung konform zu gehen. Zumindest für diesen Abend, an dem Gäste da waren, die ihr einwandfrei pädagogische Greueltaten hätten unterstellen können. Also blieb der Bildschirm schwarz. Feierabend.

Solche Aktionen kann man mit mir nicht mehr machen. Ich gucke trotzig gern, prinzipiell unbevormundet, und ich gucke zudem, weil ich’s darf und kann. Saw und Hostel, das Blutgericht in Texas, American Mary und deren restliche krasse Sippschaft. Ich kenne sie (fast) alle. Alle Szenen im Dretail kenne ich aber nicht. Ich bin aufgrund gescheit aussagekräftiger Sätze aus Filmkritiken wie „extrem schockierend“und „blutige, harte Folterszenen“, kurzum bezüglich des einzig aufrechten Vermerks „nichts für schwache Nerven“ stets mental bestens gerüstet. Ich weiß schon im Vorfeld, dass ich weggucken werde. Weil ich nicht hingucken will. Damit kann ich leben. Andere beissen sich, ohne offiziell zu schlucken, einfach durch alles.

Grundsätzlich ist das natürlich eine große grausige Nummer. Durchhalten bis zum Limit, vielleicht noch über die eigene Schmerzgrenze hinaus. Längst programmierte Alpträume im Visier, die bei späterem Missfallen nicht mehr weggescheucht werden können, weil sie sich festgebissen haben. Und freiwillig auch nicht wieder loslassen. Wer sowas mental im Griff hat, ist auf dem Gebiet gut trainiert und im gewissen Fall auch bei drastischen Folterszenen, – nicht mit mir! – , ziemlich kaltschnäuzig. So wirklich (un-)vernünftig abgebrüht, wie man sein könnte, dürfte, müsste auf dem Gebiet aller denkbaren Alptrum-Extrem-Situationen bin ich nicht, Horror-Schreiberin hin oder her.

Vielleicht kommt das mit den Jahren, man wird sensibler. Auch empörter. Man sagt schneller: „Das geht doch nicht.“ Oder strenger: „Das brauch ich nun wirklich nicht zu haben.“ Oder eben einfach nur, um nicht verzichten zu müssen, aber flüchten zu können: „Da guck ich jetzt gar nicht erst hin.“ Freilich stets mit der Prämisse, dass man das Ganze an sich mit den kleinen, feinen, schäbigen Abstrichen auf gar keinen Fall ignorieren will. Das gehört dazu. Manchmal auch dann, wenn in einer Filmkritik vom optimalen Ekelfaktor die Rede ist. Da macht das Verständnis von optimal sehrwohlneugierig.

Ungute Beziehung zum optimalen Ekelfaktor

Ich habe neulich Das Ritual gelesen, in dem Graham Masterton von Leuten in einer denkwürdigen Sekte erzählt, die sich selbst amputieren, filetrieren, tranchieren und sich dann essen, bis nichts mehr geht. Was von ihnen noch übrig bleibt, servieren sich die anderen. Ich bekenne, dass mir sowas schwer im Magen liegt. Zumal Lektüre einen ja nicht weggucken lässt.

Eine Freundin hat gesagt, sie habe bei Robin Hood den Kinosaal verlassen, weil da eine Szene war, in der einem die Hand abgehackt werden sollte. Das hätte sie sich nicht antun können, weil ihr die nicht mehr aus dem Kopf gegangen wäre. Diese eine abgehackte Hand! Oh segensreiche Unschuld!

Aber für die Seligen schreiben wir ja nun nicht. Trotzdem rührend, wie manche Menschen die Welt sehen wollen. Fast schon bizarr. Und auch das könnte irgendwie blutig werden. Für den Fall der bösen Fälle: Augen zu, dann durch.

Serien Navigation<< Kompromisslos unseligWenn es aus heiterem Himmel knurrt und beißt >>
Dies ist Teil 16 von 17 der Serie Nachtkurier

Bleibt bitte freundlich beim Kommentieren.

Das geht hier nicht.

Entdecke mehr von Phantastikon

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen