Fantasy verhält sich zur Literatur wie Liebe zum Leben. Anders: Fantasy ist lebensnotwendig. Das sind in der Tat starke Worte; der eine Satz stammt von einem Autor, der andere von einem Psychoanalytiker. Die besten Werke der Phantastischen Literatur wurden in der Sprache der Träume verfasst, sagt George R.R. Martin, und er sagt weiter:
Fantasy ist Silber und Scharlachrot, Indigo und Azurblau, ein Obsidian, durchzogen von Adern aus Gold und Lapislazuli. Realität hingegen ist schlammbraunes Sperrholz, olivfarbenes Plastik. Der Geschmack der Fantasy erinnert an würzigen Pfeffer, an Honig, an Zimt und Nelken, an vorzügliches rotes Fleisch und an Weine, süß wie der Sommer. Realität ist Bohnen und Tofu mit einem Aschegeschmack. Realität ist das Einkaufszentrum von Burbank, die Schornsteine von Cleveland, eine Tiefgarage in Newark. Fantasy steckt in den Türmen von Minas Tirith, in den alten Steinen von Gormenghast, in den Hallen von Camelot. Fantasy fliegt mit den Flügeln des Ikarus, Realität mit Southwest Airlines. Warum sehen unsere Träume so klein aus, wenn sie endlich wahr geworden sind?
Wir lesen Fantasy, um die Farben wiederzufinden, denke ich. Um starke Gewürze zu schmecken, und um die Lieder zu hören, die die Sirenen sangen. Es gibt da etwas altes und wahres innerhalb der Fantasy, das mit etwas, das tief in uns verborgen liegt, kommuniziert; dieses Etwas, das als Kind davon träumte, eines Tages durch die Wälder der Nacht zu jagen, um ein Fest in den Höhlen des Merlin zu feiern, um eine Liebe südlich von Oz zu finden oder nördlich von Shangri La.
Sie können ihren Himmel behalten. Wenn ich sterbe, will ich nach Mittelerde.
Das hört sich beinahe schon wie ein Manifest an. Tatsächlich aber ist die Phantastische Literatur mit dem fortgesetzten Spiel eines ausgebildeten Geistes zu vergleichen, der in der Kindheit begann, sich im Traum seiner Möglichkeiten bewusst zu werden.
Wird das „Spiel“ über einen längeren Zeitraum hinweg verweigert, beginnt sich bei jedem Menschen nachweislich das Gemüt zu verfinstern. Wir verlieren den Sinn und den Optimismus und fördern die Depression, werden unfähig, Freude zu empfinden.
Soweit Dr. Thomas E. Brown, Direktor der Psychiatrie der Yale-Universität. Er schlägt bei selbstmordgefährdeten Kindern und Jugendlichen den spielerischen Umgang mit der Fantasy vor. Mit erstaunlichen Ergebnissen. Die Fantasy-Literatur scheint ein wichtiger Stabilisator der geistigen Gesundheit zu sein und außerdem eine heilsame Therapie. „Fantasy zu lesen ist das Spiel des Geistes.“ Dr. Brown behauptet, dass der Spieltrieb jedem Säugetier innewohnt. Bei jungen Katzen bilden sich durch ihre spielerischen Scheinkämpfe neurale Verknüpfungen im Kleinhirn. Nachdem unsere körperlichen Grundbedürfnisse gestillt sind, steht der Drang, zu spielen, bei einem gesunden Säugetier im Vordergrund. Eine dauerhaft verweigerte tägliche Dosis führt zu einem Defizit, das mit einem Schlafdefizit verglichen werden kann.
Schließen wir diesen kurzen Artikel noch einmal mit einem Zitat von Dr. Brown:
Es sind die „sinnlosen“ Momente, die den Tag unvergesslich und wertvoll machen.
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