Baba Yaga

Baba Yaga (Die alte wilde Mutter)

Baba Yaga und die slawischen Folklore

Oft werden Hexen als böse, hässlich und gefährlich dargestellt, die mit dunkler Magie und teuflischen Mächten paktieren. Doch nicht alle Hexen sind gleich. In der slawischen Folklore gibt es eine besondere Hexe, die viel mehr ist als nur eine alte Frau mit einem spitzen Hut und einem Besen: Baba Yaga.

Baba Yaga
 Ivan Bilibin: „Vasilisa the Beautiful and the Baba Yaga“ (Detail)

Baba Yaga ist eine übernatürliche Gestalt, die in verschiedenen slawischen Ländern bekannt ist, wie Russland, Polen, Tschechien, Slowakei, Serbien, Kroatien und anderen. Ihr Name variiert je nach Region, aber er bedeutet meistens „Großmutter“ oder „alte Frau“. Sie erscheint als eine verformte oder grausame Frau mit einer riesigen Nase, herabhängenden Brüsten und einem knochigen Bein. Sie fliegt in einem Mörser, schwingt einen Stößel und lebt in einer Hütte im Wald, die auf Vogelbeinen steht . Ihre Hütte ist oft mit Menschen- und Tierknochen geschmückt.

Baba Yaga ist keine gewöhnliche Hexe. Sie ist eine uralte Göttin des Todes und der Wiedergeburt, die die Quellen des Lebenswassers bewacht . Sie kann Menschen helfen oder schaden, je nach ihrer Laune und den Umständen. Sie ist manchmal eine Lehrerin oder eine Prüferin für diejenigen, die sie um Rat oder Hilfe bitten. Sie ist aber auch eine gefürchtete Kannibalin, die vor allem gerne Kinder verspeist

Die Hütte auf Hühnerbeinen

Ivan Bilbin
Ivan Bilibin

In einer magischen Hütte im tiefen Wald, das auf Hühnerbeinen steht und sich ständig dreht, lebt die Baba Yaga. Sie hat knöcherne Beine, eine lange Nase und schärft ihre eigenen Zähne. Sie sieht aus wie eine alte Frau, aber ist sie überhaupt eine alte Frau?

Sie ist nicht gerade schön anzusehen – ihr Gesicht ist mit Warzen übersät, ihre Nase berührt fast ihr Kinn, das von Haaren bedeckt ist. Sie hat krallenartige Hände und einen Buckel auf dem Rücken. Aber sie ist auch nicht einfach böse. Obwohl sie oft damit droht, die Helden ihrer Geschichten zu verspeisen, wie Iwan den Prinzen, Mashenka oder Vasilisa die Schöne, tut sie es nie. Stattdessen bietet sie ihnen magische Unterstützung an, die manchmal unerwartet oder rätselhaft ist.

In russischen Märchen muss der Held oft den Bewohnern des Waldes begegnen, wie Igel, Kaninchen, Bär, Hecht und andere, und mit ihnen sprechen, bevor er die Hütte auf Hühnerbeinen erreicht, wo Baba Yaga wohnt. Dort muss er sich einer Prüfung unterziehen, bei der er den wahren Feinden gegenübersteht, die aus der Welt der Toten kommen: Koschtschei dem Unsterblichen, Smok Gorynitsch dem Drachen, Likho dem Einäugigen, Kikimora dem Nachtmahr, Leshy dem Walddämon und anderen. Baba Yaga gehört ebenfalls zu dieser magischen Welt, aber nur halb. Sie hat ein Bein aus Knochen und ein Bein aus Fleisch.

Der Grenzschutz der toten Lande

Baba Yaga ist die Torwächterin der Unterwelt. Ihre Hütte ist eine Art Grenzübergang. In dieser Hütte muss der Held alle erforderlichen Rituale durchführen, um seine Reise in die magische Welt anzutreten. Er reinigt sich in der Badstube, die das Waschen eines Leichnams vor der Bestattung darstellt. Er speist und trinkt im Überfluss, was ein Zeichen für das traditionelle Mahl (Pominki) nach einer Beerdigung ist. Er schläft stets in der fremden Hütte, denn die Nacht ist die Zeit der Geister, die Zeit des Übergangs von einer Welt zur anderen. Und Schlaf ist eine Form des kleinen Todes.

Um übernatürliche Macht zu erlangen, muss der Held in die fantastische Welt eindringen, wo er geprüft wird. Denn seine eigene Macht reicht nicht aus, um die Schwierigkeiten zu bewältigen, die das Leben ihm entgegenstellt.

Die alte wilde Mutter

Dr. Clarissa Pinkola Estés, eine Psychoanalytikerin und Philosophin, hat eine interessante Theorie über die Ursprünge der Baba Yaga. In ihrem Buch “Die Wolfsfrau” schreibt sie, dass sie eine Art Prototyp der ursprünglichen Weiblichkeit ist, ein Wesen mit einer enormen wilder Kraft. “Baba Yaga”, schreibt sie, “ist die Essenz einer instinktiven und vollständigen Seele. Sie weiß alles, was vorher war. Sie ist eine Hüterin himmlischer und irdischer Geheimnisse. Sie erweckt Angst, weil sie gleichzeitig die zerstörerische Kraft und die Kraft der Schöpfung und des Lebens verkörpert.”

Interessanterweise ist es nur der männliche Held, der einen Test in Baba Yagas Haus bestehen muss, um sich auf die Begegnung mit der anderen Welt vorzubereiten. Heldinnen nicht. Alles, was sie tun müssen, ist, einige niedere “weibliche” Aufgaben zu erledigen, und sie erhalten Kraft und Weisheit automatisch von ihrer “wilden Mutter”.

Doch nicht alle Heldinnen überleben die Begegnung. Auch die Helden nicht.

Baba Yaga ist in einigen Mythologien eine mächtige Göttin des Krieges. Sie könnte eine Rolle im russischen Pantheon gespielt haben, ebenbürtig mit Perun, dem russischen Thor. Sie könnte eigene Tempel gehabt haben. Sie wird manchmal als Herrscherin über die Tiere und Vögel, als Wächterin der Totenwelt, als Lebensräuberin oder als Lebensspenderin dargestellt. Sie kann sowohl den Helden helfen als auch ihnen schaden.

Es ist diese Unvorhersehbarkeit, die sie so faszinierend macht. Kein Wunder, dass so viele Schriftsteller sie immer wieder auf neue und unerwartete Weise wiederbeleben.

Der Name Baba Yaga

Der Name Baba Yaga hat verschiedene mögliche Ursprünge und Bedeutungen. Eine Theorie ist, dass er von dem altslawischen Wort “baba” abgeleitet ist, das “Großmutter” oder “alte Frau” bedeutet. Eine andere Theorie ist, dass er von dem iranischen Wort “bābā” abgeleitet ist, das “Vater” oder “Weiser” bedeutet. Eine dritte Theorie ist, dass er von dem griechischen Wort “baubo” abgeleitet ist, das eine Art obszöne Komödie bezeichnet. Der zweite Teil des Namens, Yaga, könnte von dem slawischen Wort “jaga” abgeleitet sein, das “Schrecken” oder “Qual” bedeutet. Oder er könnte von dem slawischen Wort “ježda” abgeleitet sein, das “Reiterin” oder “Fahrerin” bedeutet. Oder aber von dem türkischen Wort “ayazma” , das “heilige Quelle” bedeutet.

Das Aussehen von Baba Yaga

Das Aussehen von Baba Yaga variiert je nach Quelle und Interpretation. In einigen Darstellungen ist sie eine hässliche und hagere Frau mit einer langen Nase, einem spitzen Kinn, einem eisernen Zahn und einem buschigen Haar. In anderen Darstellungen ist sie eine schöne und verführerische Frau mit einem jugendlichen Gesicht und einer üppigen Figur. In manchen Darstellungen hat sie drei Schwestern oder Töchter, die alle den gleichen Namen tragen. In manchen hat sie auch verschiedene Attribute oder Begleiter, wie einen schwarzen Hund, eine weiße Katze, einen roten Hahn, einen Zauberstab oder einen Kessel.

Die Rolle von Baba Yaga in den Märchen

Ein bekanntes Märchen ist “Vasilisa die Schöne”; in dem muss ein Mädchen Feuer von Baba Yaga holen, aber vorher muss sie einige schwierige Aufgaben erledigen. Falls sie versagt, wird sie verspeist. Eine magische Puppe, die ihre Mutter ihr geschenkt hat, hilft ihr dabei. Baba Yaga gibt ihr schließlich einen Feuerschädel, der ihre Stiefmutter und Stiefschwestern tötet. In “Iwan Zarewitsch und der graue Wolf” will ein Prinz ein magisches Pferd von ihr haben, aber auch er muss zunächst einige schwierige

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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