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Nick Cutter: Das Böse

Der Kanadier Craig Davidson hat bereits vier Bücher unter dem Pseudonym Nick Cutter geschrieben, die auch alle in Übersetzung vorliegen. An einem fünften Cutter-Buch arbeitet der Autor gerade. Während Davidsons Arbeit unter seinem echten Namen mit Chuck Palahniuk verglichen wird, geht sein Horror-Alter Ego gerne mit Stephen King spazieren, zumindest wenn es nach der internationalen Presse geht. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Davidson ihn oft genug als wichtigen Einfluss in Interviews erwähnt. King ist zwar nicht der einzige, dem sich der Autor verbunden fühlt, aber man weiß ja, wie das funktioniert:

Nick Cutter schreibt Horror.

Nick Cutter erwähnt King.

Nick Cutter schreibt wie King.

Ein Dreisatz. Der aber falsch ist. Man muss gar nicht lange lesen, um zu erkennen, dass Cutter nicht nur einen völlig anderen Stil schreibt, sondern seine Horror-Tropen auch ganz anders einsetzt. Da ist selbst Peter Straub (der ebenfalls nicht das geringste mit Kings Stil zu tun hat) näher dran. Es kommt nicht von Ungefähr, dass die Sehnsucht nach einem Schriftsteller, der King einmal war, mitschwingt. Ein Koontz war immer viel zu schlampig und untalentiert, Clive Barker zu barock, Peter Straub mit sich selbst beschäftigt. Hinzu kommt die Tatsache, dass der altgediente Horror, der in den 70er und 80er Jahren groß war, mittlerweile tot ist. Da haben wir auf der einen Seite die Weird Fiction-Fraktion (die in unseren Breitengraden so gut wie überhaupt keine Leser findet), und auf der anderen die Pornofolterbänke drittklassiger Schreiberlinge. Und dann kommt da scheinbar ein Kanadier ums Eck, der sich Nick Cutter nennt, und legt mit seinem 2019 erschienenen „Little Heaven“ (dt. „Das Böse“) seinen bis zu diesem Zeitpunkt ambitioniertesten Höllenritt vor. Das Problem an der Sache: die versprochene „neue Horror-Sensation aus Amerika“ bleibt, obwohl Cutter alles richtig zu machen scheint, eine blasse Massenhorror-Erscheinung. Die Kritiker sind aus dem Häuschen. Ich bin es nicht.

Dabei kommt die Verwirrung mancher Kritiker und Leser nicht von Ungefähr, denn Nick Cutter setzt hier seine Serie von Genre-Mashups, die er in seinen vorherigen Büchern bereits anbot, konsequent fort und kreiert ein böses Epos, das Lovecraft‘sche-Bilder auf die Grundlage eines Neowesterns setzt. Als Zugabe bringt er die Nebenhandlung eines Kults mit ein. Der Roman pendelt zwischen den 1960er Jahren (wo drei Auftragskiller namens Micah, Minerva und Ebenezer es mit einem hinterwäldlerischen Kult – ähnlich dem des Peoples Temple in Jonestown 1974 – zu tun bekommen, während sie versuchen, einen kleinen Jungen aus deren Fängen zu retten) und den 1980er Jahren (als Micah die drei wieder zusammenbringt, um seine eigene Tochter zu retten) hin und her. Im Handlungsstrang der 1960er Jahre entdecken die drei Killer allmählich die schrecklichen übernatürlichen Hintergründe von Little Heaven, während es in den Kapiteln der 1980er Jahre um die widerwillige Rückkehr des Trios an diesen Ort geht, den sie nie vergessen konnten.

Die Handlung bedient sich dabei großzügig an bekannten Westernmotiven und sogar an deren Klischees, aber Cutter kontextualisiert sie geschickt unter dem düsteren Schirm des Horrorgenres neu. In den 1980er Jahren haben Micah, Minerva und Ebenezer einen faust‘schen Pakt geschlossen, der ihnen enorme, ja sogar übernatürliche Gaben gegen schrecklichen Kosten bescherte. Minerva etwa ist nicht in der Lage, sowohl eine Schießerei zu verlieren als auch ihr eigenes Leben zu beenden – trotz ihrer wiederholten Versuche. Ebenezer bat darum, das Antlitz Gottes sehen zu dürfen, und seinem Wunsch wurde entsprochen:

„Gott hatte das Gesicht eines Idioten. Das schwachsinnige, geifernde, gelähmte Gesicht eines riesigen Kleinkinds.“

Micah scheint unterdessen so etwas wie ein normales Leben erhalten zu haben, bis ein Geschöpf aus seiner Vergangenheit seine Tochter entführt und sie zurück nach Little Heaven bringt.

Cutters Schreibstil hat sich seit „Das Camp“ deutlich weiterentwickelt und verlässt sich nicht mehr nur auf den Faktor der Brutalität, um den Terror in die Herzen der Leser zu bringen. Das heißt nicht, dass es in diesem Roman nicht viel Blut und Dreck gibt, ganz zu schweigen davon, dass diejenigen, die Angst vor Schlangen oder Krabbeltieren haben, beim Lesen dieses Romans eine besonders harte Zeit durchmachen werden. Damit ein Horrorroman wirklich wirksam wird, sind drastische Darstellungen jedoch nur ein geringer Bruchteil der Rechnung. Viel wichtiger ist die Finesse, eine Atmosphäre der Angst und Spannung an die Oberfläche zu bringen. Man kann nicht sagen, dass Cutter das nicht gelungen wäre. Ein allumfassendes Gefühl der „Verdrehtheit“ ist durchaus vorhanden. Die Szenen, die in in Little Heaven spielen, sind dabei besonders gut geschrieben. Das dortige Elend, die Degeneration und der Wahnsinn dringen von allen Seiten auf den Leser ein.

Meine Kritik richtet sich also nicht gegen das, was Cutter kann, sondern gegen das, was er nicht kann. Und das ist die Figurenentwicklung. Theoretisch müssten drei Charaktere wie Micah, Ebenezer und Minerva nahezu von selbst hervorragend funktionieren. Knallharte Killer und Kopfgeldjäger, moralisch ambivalent – damit haben andere Autoren bereits eine Menge anstellen können. Leider schafft Nick Cutter das nicht einmal im Ansatz. Die Figuren bleiben blass und sogar flach skizziert. Eine irgendwie geartete Entwicklung ist nicht zu erkennen. Selbst in Anbetracht der Tatsache, dass wir zwischen „Plot-Driven“ und „Charakter-Driven“ unterscheiden, ist das hier zu wenig.

Besieht man sich andere Rezensionen, schwirrt der Begriff „Old School Horror“ in Bezug auf dieses Buch durch die Medien. Und das ist an sich nicht ganz falsch, denn wie ich oben bereits gesagt habe, finden sich hier allseits bekannte Tropen zuhauf. Und dass es für mich nicht funktioniert hat, bedeutet nicht automatisch, dass sich jemand davon abhalten lassen sollte, dieses Buch zu lesen. Die meisten Besprechungen fielen positiv aus – und wem die Voraussetzung gefällt, der sollte natürlich zugreifen.


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