Es war das Jahr 1896. Der kleine William Henry Pratt spielte im Schultheater den Dämonenkönig in Cinderella. Und sagte lange Zeit später: „Das war der Beginn eines langen und glücklichen Lebens als Monster.“
Aus William wurde der Schauspieler Boris Karloff, den Hollywood als „Boris the Uncanny“ auf das Podest der Einzigartigen, der Unvergesslichen stellte. Es war und blieb die Rolle seines Lebens: Frankensteins Monster, 1931 auf die Leinwand gebracht, erschaffen 1818 von der blutjungen Schriftstellerin Mary Shelley.
Die Geburt einer Legende! Wir dürfen uns vorstellen, vielleicht auch auf recht geheimnisvolle Weise nur zu gut wissen, wie sie war:
1818, irgendwann, irgendwie zu später Stunde: Regen peitscht, Blitze zucken, es grummelt, grollt, prasselt, kracht die schaurige Nacht. Die Luft ist dick und schwarz und riecht nach Feuer, die Erde spuckt blutigen Morast. Oder ist es nur Spuk und Trug in der Dunkelheit, die wir genießen wollen, solange sie unsere Ideen küsst? Egal auch.
Es bewegt sich – es lebt!
Die schöne junge Lady, – wir betrachten Mary Shelley wohlwollend: gutbürgerlich fein gekleidet in pastellfarbenem Musselin, die seidene Schärpe gebunden unter der Brust, das dunkle Haar gescheitelt und gelockt – , sitzt am Sekretär, taucht mit eleganter Eilfertigkeit wieder und wieder die Feder in das Tintenfass. Ihr Blick ist stolz, die Stirn klug. Ihre Idee ist kühn, das Monster macht Angst. Aber es ist schön. Und das Papier ist für die Ewigkeit.
„Es bewegt sich – es lebt – es lebt! ES LEBT …
(Victor Frankenstein)
Frankenstein oder der moderne Prometheus :Die Entstehung des Romans ist beneidenswert originell. So was wünscht man sich schon mal… gemeinsam mit geschätzten Grusel-Phantasie-Verbundenen abends beieinander zu sitzen, Geister-Stories zu erzählen und dabei auf den Einfall zu kommen, jeder der Anwesenden solle selbst eine Geschichte schreiben. So soll es gewesen sein, als Mary Shelley es sich 1816 in der Schweiz mit ihrem Mann Percy, Lord Byron und dessen Leibarzt John Polidori am Kamin für intellektuelle Plaudereien über Schauriges gemütlich gemacht hatte.
Mary Shelley sagte später, dass Berichte, mag sein, Gerüchte über galvanische Experimente Charles Darwins mit toten Würmern sie angeregt hätten, einen Wissenschaftler Herr über Leben und Tod spielen zu lassen. Mit gar fürchterlichem Ende…
Victor Frankenstein, völlig überfordert von dem, was er geschaffen hat, panisch entsetzt über sein eigenes, von ihm selbst als teuflisch definiertes Handeln, erhält letztendlich die grausame Quittung: Sein Monster, das er im Stich gelassen, dessen einzige Hoffnung auf Flucht vor der Einsamkeit (eine Frau) er vernichtet hat, tötet seine Braut. Und zeigt seinem „Vater“ damit, was er unter Gerechtigkeit versteht. Als wütendes Monster. Verzweifelt. Ohne Rat und Trost. Menschlich.
Frankensteins Monster ist weltberühmt, gilt als das Monster schlechthin. Und mal angenommen, man kennt das Buch gar nicht geschweige denn weiß man, wer es wann und warum bloß geschrieben hat, so weiß man trotzdem irgendwie von dieser seltsamen,düsteren, alten Geschichte. Und hat das Monster genau vor Augen. Freilich das aus Hollywood. Mary Shelley wäre vermutlich von seiner Furcht einflößenden, unschönen Optik etwas enttäuscht gewesen, sie beschrieb es deutlich attraktiver. Aber es war eben kein unheimlicher Adonis, sondern der Engländer Karloff in seiner Maske und Unverwechselbarkeit, der Shelley weit über hundert Jahre später rund um den Globus auf der Kinoleinwand huldigte und ihr eine neuere, modernere Art von Größe und Genialität verlieh. Und auch hier dürfen wir uns nur allzu gern, vorstellen, wie es war.
Ist der nicht das Monster?
Hollywood 1931, Premierenfeier. Taft raschelt, Gläser klirren, die Luft trägt Tabak und schweres Parfum. Jemand raunt. „Ist das nicht der?“ Irgendwer zögert, nickt. „Das Monster.“ Irgendwo auf dem Film-Olymp, nur zwei, drei Wimpernschläge später, eine weitere lange Nacht. Jemand sagt: „Da. Endlich.“ Alle heben die Köpfe. Einige flüstern. „Karloff the Uncanny.“ Andere rufen. „Er ist es. The Master of Horror.“ Und er lächelt, verneigt sich, der Mann, den Mary Shelley ungefragt, unbeteiligt und doch da zur Ikone der Populär-Kultur gemacht hat, zu einem der Heroen des Finster-Genres. Boris Karloff. Frankensteins Monster.
Ursprünglich vorgesehen für die Rolle war übrigens Ur-Dracula Bela Lugosi, damals als Erfolgsgarant für eine Schauerverfilmung im Visier. Lugosi lehnte kompromisslos ab, er wollte kein sprachloses Gruselsubjekt spielen, das Gesicht unkenntlich geschminkt, Mimik und Gestik beleidigend für einen berühmten Mimen wie ihn. Er unterschätzte das Monster und verhalf Kollege Karloff zu einer Karriere, die seine eigene weit übertreffen sollte. Karloffs Verkörperung der von genial-wahnsinniger Menschenhand erschaffenen Kreatur war perfekt. Die Maske war perfekt.
Dafür sorgten mit ganzer Raffinesse kreative Köpfe am Set. Für den Dreh von Frankenstein – The Man who Made a Monster (1931, Regie: James Whale) wurde genau festgelegt, wie der von Dr. Victor Frankenstein aus Leichenteilen gebastelte künstliche Mensch, bei Weltuntergangs-Gewitter durch Elektrizität zum Leben erweckt und für das Endzeit-Leid bestimmt, auszusehen hatte. Die Stahlbolzen im Hals erinnern an den, – wieder verworfenen – , Gedanken, das Monster als eine Art Roboter darzustellen.
Die Monstermaske mit dem traurig-hilflosen Blick aus dem Film erkor man bereits 1938 zum Symbol der Surrealismus-Ausstellung in Paris aus. Filmplakate wurde zu gigantischen Summen versteigert, Briefmarken mit seinem Konterfei wurden gedruckt, Künstler porträtierten ihn als Pratt (ohne Maske), der Nr.-1-Hit Monster Mash (1962) wurde ihm gewidmet, und bis Anfang 1980 zierte er als Zeichnung die Comicbuch-Reihe Boris Karloff’s Tales of Mystery (Gold Key Comics).
Boris Karloff in seiner Ur-Maske, mit diesem deformierten, traurigen, hilflosen, enttäuschten, zornigen Gesicht, hat dem Monster eine Identität geschenkt, die zumindest in der Pop-Kultur als nicht mehr austauschbar gilt: In Trickfilmen, Comics und in der Werbung ist es Karloff, den wir sehen. Zwar ist auch Christopher „Dracula“ Lee 1957 inThe Curse of Frankenstein (Regie: Terence Fisher)in die Haut der Kreatur geschlüpft, aber die Rechte für das typische, klassische Make-Up befanden sich im Besitz der Universal Studios. Hammer musste neu kreieren. Im globalen Kopf blieb/bleibt freilich Karloff.
Mit Karloff the Uncannyerhielt das Monster, dem erstmalig 1910 in einem sechzehnminütigen Stummfilm, in England produziert von Thomas Alva Edison, dem Erfinder des Telefons, auf der Leinwand schreck- und ehrfurchtsvoll gehuldigt worden war, – Untertitel: A liberal adaption of Mrs. Shelley’s Tale – , ein unzerstörbares Spiegelbild.
Träume, Furcht und Liebe
Hat sie geträumt, was sie bewirken würde mit ihrer Geschichte, die 18jährige Mary Godwins, spätere Mrs. Shelley, eine für die damalige Etikette und Moral recht progressiv denkende und agierende Frau, Tochter eines Sozialphilosophen und einer Schriftstellerin, die von Percy Shelley, mit dem sie durch Europa reiste, schwanger wurde, als der noch ein verheirateter Mann war?
Nach dem Selbstmord seiner von Gram und Schmach besudelten Frau Harriet im Londoner Hyde Park heiratete er Shelley zwar, die feine Gesellschaft freilich blieb verschnupft. Nach Percy’s Tod unterstützte der Schwiegervater Mary finanziell. Vom Schreiben allein konnte sie nie leben. Kaum vorstellbar… genügt uns heutzutage ein einziger literarischer Knaller, und wir gelten als hoch gehandelte Bestseller-Autoren forever. Andere Zeiten eben.
Wen’s belangt: Die Schreibmaschine wurde erst 1829 erfunden, zwei Jahre nach der Photographie. Mary wurde (noch) ganz üblich porträtiert. Und gehörte grundsätzlich zu den im positiven Fall liebreizenden Mädchen jener Tage, die Klavier spielen, etwas zeichnen, tanzen, bescheiden französisch parlieren konnten und etwas von Mythologie, wenig von Geographie, nichts von den großen Wissenschaften verstanden. Grundsätzlich, wohlgemerkt. Mary war besonders.
Ahnte die Besondere das Phantastische, als sie während eines längeren Aufenthaltes am Genfer See, – es waren trübe, regnerische Tage, wie geschaffen für die von genialster Finsternis umarmte Muse – , zu schreiben begann und nicht mehr aufhörte, bis er stand, einer der berühmtesten Horror-Romane aller Zeiten? Mit einem Helden, der über einhundert Jahre später als hässliches Monster weltweit Film-Karriere machte, obgleich er von seiner Schöpferin definitiv nicht als unansehliche, abstoßende Kreatur gedacht und beschrieben war? Mit einer Identifikationsfigur für Outsider, die hoch geachtet wird? Wie beispielsweise in Brasilien: Da fuhr vor sechs Jahren zum 200. Geburtstag des Monsters beim Karneval in Rio ein prunkvoller Jubiläums-Mottowagen durch die Straßen. Die Menschen jubelten ihrem Monster zu, dem Andersartigen, dem Ausgestoßenen, wegen seines so fremden, gleichwohl erschreckenden Erscheinungsbildes Gefürchteten und Verfolgten. Den sie lieben, weil er für sie authentisch, ehrlich, echt ist.
Zu schön für Hollywood
Mary, zum Zeitpunkt der (vorerst) anonymen Veröffentlichung ihres Buches frisch verheiratet mit dem älteren Percey Shelley, der trotz seiner Affären und seines frühen Todes, – er ertrank 1922 während einer Bootstour im Golf von La Spezia – , immer ihre große Liebe blieb, malte mit ihren beschreibenden Sätzen einen überdurchschnittlich großen, athletisch gebauten Mann mit schwarzem Haar und weißen Zähnen. Das klingt fast zum Dahinschmelzen. Einwandfrei zu schön für Hollywoods Gruselkabinett.
Den Mann, den Mary Shelley beschrieben hat, kennen wir, wenn überhaupt, nur aus der Vorstellung heraus: Das Monster hätte schön sein können. Durfte, sollte, musste es aber nicht, um sich einen Platz im Horror-Olymp, gleichsam in der Gunst des Publikums zu sichern. Das wollte und will das Tragische an der wenn auch scheußlichen Figur, das Mitleiderregende, Bedauernswerte.
Und somit war klar: Es mussten die grotesk hohe Stirn, der platte Kopf, die tief hängenden Augenlider, der wuchtige, ungelenke Körper sein.
So sah, sieht es aus, so kommt das Monster alias Karloff zurück in The Bride of Frankenstein (1935, Regie erneut James Whale). Da wird das Herz warm bei seiner Begegnung mit dem blinden Einsiedler, da fröstelt es einen, wenn das bitterlich traurige Ende naht: Victor Frankenstein vernichtet die Braut, dem Heulen des Verfluchten gilt die Rache…und mächtig Eindruck schindet zweifellos die Frisur von Elsa Lanchester: Einen halben Meter hoch senkrecht stehendes Haar mit einem hineingefärbten Blitz.
„Wie Gott zu fühlen!“
Die Szene aus Frankenstein – The Man who Made a Monster , in der das Monster versehentlich ein kleines Mädchen ertränkt, weil es möchte, dass es wie die Seerosen schwimmt, wurde nach der Uraufführung gekürzt: So poetisch sie ist, umso grausamer wirkte sie auf die Zuschauer. Die aber sollten die Kreatur nicht hassen, sondern begreifen. Und sich gleichwohl auch nicht über die Blasphemie des Monstermachers erzürnen sollen. Der von Victor Frankenstein mit gellend lauter Stimme in die Nacht gebrüllte Satz…
„Jetzt weiß ich, was es heißt, sich wie Gott zu fühlen!“
…fällt in seinem Original-Ton der Schere zum Opfer. Zu anmassend. Zu ungehörig.
Shelley’s Monster erfuhr 1994 in Frankenstein (Regie: Kenneth Branagh) mit Robert de Niro in der Hauptrolle ein aufwühlendes, bewegendes Bekenntnis zur Quelle der Geschichte. Das vermenschlichte Geschöpf demonstriert die ganze Schwere, Traurigkeit, Verletzbarkeit und Wut seiner ungewöhnlichen Persönlichkeit, die sich so wesentlich gar nicht vom wahrhaftig Menschlichen unterscheidet. Auch De Niro beweist Mut zu einer generell als hässlich eingestuften Optik. Gleichwohl wirkt diese zwar fremd und furchterregend auf den ersten Blick, wird aber vertraut und damit fast sympathisch. Allemal, dieses Monster geht an die Substanz.
Ein Tragik-Revival anderer Machart erfolgt auch in der US-amerikanisch-britischen Horror-Serie Penny Dreadful (2014 – 2016, John Logan); Rory Kinear spielt das Monster. Er ist genial. Es ist (fast) schön. Und so darf es bitte auch sein. In bester böser Erinnerung, Mary!
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