Richard Middleton, bekannt für „Das Geisterschiff“, war ein versierter Stilist der unheimlichen Literatur. Zu den Lobeshymnen für Middletons Werk gehört diese Passage aus „Horror Literature“ (1981), herausgegeben von Marshall Tymn:
„Middleton, einer der interessantesten Stilisten der britischen Schauerliteratur, ist reich und überschwänglich in seiner Art, klassische Geistergeschichten zu erzählen (insbesondere die humorvollen), aber knapp und präzise in seinen originelleren psychologischen Geschichten.“
Und in „Shadows in the Attic: Neil Wilson, Guide to British Supernatural Fiction 1820-1950“, schreibt er:
„Die unbestreitbare literarische Fähigkeit des Autors erlaubt es den meisten Geschichten, sich über das rein Morbide und Sentimentale zu erheben“.
Richard Barham Middleton wurde am 28. Oktober 1882 in Staines, Middlesex, England, geboren. Während seiner Schulzeit wurde der verträumte sensible Jugendliche von Gleichaltrigen gehänselt. Das waren Erfahrungen, die ihren Weg in seine Geschichte „A Drama of Youth“ fanden. Er wurde an der Cranbrook School in Kent ausgebildet und verbrachte ein Jahr an der University of London. Er bestand die Oxford und Cambridge Higher Certificate-Prüfungen in Mathematik, Physik und Englisch. Trotz seines akademischen Hintergrunds nahm er eine Stelle als Angestellter bei der Royal Exchange Assurance Corporation in London an. In dieser Zeit begann er, Essays und Kurzgeschichten in verschiedenen Zeitschriften zu veröffentlichen, und er schloss sich den New Bohemians an, einer Gesellschaft literarischer Männer, denen auch Arthur Machen angehörte.
Middleton blieb nur sechs Jahre lang in seinem Bürojob, hasste die Plackerei der Büroarbeit und strebte leidenschaftlich nach dem Lotterleben eines Schriftstellers. Er kündigte 1907 seinen Job, um seinen Traum zu leben. Aber der Traum wurde zu einem Albtraum. Er verdiente nicht viel Geld mit seinem Schreiben und lebte in Armut. Obwohl er in Zeitschriften wie The Academy und Vanity Fair und sogar in der amerikanischen Zeitschrift The Century untergekommen war, erblickte zu seinen Lebzeiten keine Buchpublikationen das Licht der Welt. Auch litt er unter einer Reihe von körperlichen Beschwerden – entweder real oder eingebildet – und unter Enttäuschungen in seinem Liebesleben.
Neben Kurzgeschichten und Essays wagte er sich auch an Gedichte, obwohl „The Cambridge History of English and American Literature“ ihn höchstens für einen „kleineren Dichter“ hält. In dieser Zeit hatte er einige literarische Jobs: Lord Alfred Douglas machte ihn zum Buchkritiker für The Academy, und Edward Jepson stellte ihn als Co-Redakteur für Vanity Fair ein.
Die humorvolle, vielanthologisierte Geschichte „Das Geisterschiff“ erzählt von einer unheimlichen Galeone, die von einem Sturm in ein Rübenfeld nahe eines Dorfes im Landesinneren geblasen wird, das „der geisterhafteste Ort in ganz England“ ist. Mit der Zeit hetzt der spukhafte Kapitän des Phantomschiffes die respektablen Geister im Dorf auf und verärgert die Dorfbewohner solange, bis er und seine Mannschaft aufgefordert werden zu gehen. Als das Schiff abfährt, sind die Dorfbewohner darüber, dass viele ihrer Lieblingsgeister mit an Bord sind.
„The Coffin Merchant“ erzählt von einem Londoner, der an einem tristen Novembertag ein Flugblatt für eine Trauerfeier erhält. Beim Bestatter erfährt er zu seinem Entsetzen, für wen die Dienste wirklich bestimmt sind. In „On the Brighton Road“ trifft ein Landstreicher auf den Geist eines Jungen, der die Brighton Road durchstreift und immer wieder aufs Neue stirbt. Ein Kind in „The Bird in the Garden“ wandert durch einen fabelhaften Garten und wartet auf einen wundersamen Vogel, „einen Vogel aller Farben, hässlich und schön, mit einer harten, süßen Stimme“, aber als er aufwacht, bemerkt er, dass die Realität ganz anders ist. Der Zauberer eines fehlgeschlagener Auftritts in einem Musiksaal in „The Conjurer“, versucht einen letzten verzweifelten Trick, um seine Karriere zu retten und lässt seine geliebte Frau verschwinden, unter tosendem Applaus, bis er herausfindet, dass sie wirklich verschwunden ist.
Einige von Middletons Geschichten neigen durchaus zum Grauen. In „The Hand“ findet eine im Dunkeln herumtastende Person eine Hand auf einer Tischplatte. In „The Luck of Keith-Martin“ kommt ein Reisender im abgedunkelten Haus eines alten Freundes an, und als ihm die Stimme einer Frau sagt, er solle gehen, macht er das Licht an und findet heraus, dass sein Freund gerade von der Frau ermordet wurde, die mit seinem Blut bedeckt ist. Ein Würger betrachtet die Leiche, die er gerade in „Wet Eyes and Sad Mouth“ erschaffen hat. Zwei Leute zerhacken eine Leiche in „The Making of a Man“. Grausam, aber trotzdem stilvoll geschrieben.
Auf der Suche nach literarischer Inspiration zog Middleton Anfang 1911 nach Brüssel, Belgien. Am 1. Dezember 1911, im Alter von 29 Jahren, beging er dort Selbstmord, indem er Chloroform trank. Sein Selbstmord war eine Überraschung, da er als eine stabile Persönlichkeit galt. Vielleicht war seine Armut der Grund, gescheiterte Liebesaffären, mangelnder Erfolg und andere Enttäuschungen, die ihn zu diesem Schritt gedrängt haben.
Middletons Ruf stieg nach seinem Tod, vor allem dank Henry Savage, Edgar Jepson und John Gawsworth. Innerhalb weniger Jahre nach seinem Tod veröffentlichte Savage fünf Bücher mit Middletons Werken: „The Ghost Ship: And Other Stories“ 1912); „Poems and Songs“ (1912); „Poems and Songs, Second Series“ (1912);“The Day Before Yesterday“ (1912), eine Sammlung von Essays und Monologe (1913). 1933 veröffentlichte Gawsworth „The Pantomine Man“, eine Sammlung von bisher nicht gesammelten Geschichten, und Essays und Skizzen. Gawsworth veröffentlichte auch mehrere ungelesene Geschichten in verschiedenen Anthologien, darunter sechs in „New Tales of Horror by Eminent Authors“ (1934).
„The Ghost Ship and Other Stories“ enthält die Titelgeschichte und andere Erzählungen, darunter „The Coffin Merchant“, „On the Brighton Road“, „The Conjurer“ und „Shepherd’s Boy“. Machen schrieb ein Vorwort für den Band, in dem er von „Das Geisterschiff“ sagte: „Ich erkläre, dass ich diese kurze, verrückte, bezaubernde Fantasie nicht gegen eine ganze Wildnis scheinbarer Romane eintauschen würde“.
Viele der Bücher und Geschichten von Middleton sind online im Original verfügbar.
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