Don Quijote

Miguel de Cervantes: Don Quijote

Cervantes
Anaconda

Don Quijote ist eines jener Bücher, dessen Einfluss so weitreichend wie die Odyssee oder die Bibel ist. Und wie die anderen beiden Bücher wird mehr darüber geredet als dass man sie gelesen hat. Doch was Cervantes‘ Roman von diesen anderen Werken unterscheidet, ist die Tatsache, dass es sich um eine ausgesprochen burleske Geschichte handelt. Der Held tappt im Dunkeln, die Figuren des Autors fallen von Pferden, betrinken sich in Tavernen und versuchen, ihre Fürze in Schach zu halten – im Quijote sind heilige Angelegenheiten gewöhnlich auf die Wahnvorstellungen des Helden beschränkt. Der berühmte Eröffnungssatz informiert uns:

„Irgendwo in der Mancha, an einem Ort, an dessen Namen ich mich nicht erinnern will, lebte vor nicht langer Zeit ein Herr, einer von jenen, die eine Lanze im Gestell, ein altes Schild, einen hageren Gaul und einen Windhund zum Jagen halten.“

Vor über 400 Jahren verlor die Welt ihren ersten modernen Romanautor, den spanischen Schriftsteller Miguel de Cervantes, der am 22. April 1616 in Madrid starb. Unter den Sammlungen von Gedichten, Theaterstücken und Romanen, die er uns hinterlassen hat, konnte im Grunde nur ein Werk wirklich überdauern. Dein Don Quijote gilt als der erste Roman der europäischen Literatur und als einer der besten uns inspirierendsten Bücher der Geschichte. es gibt unzählige Abhandlungen über den innovativen Stil, die Kreativität, die Komplexität der Szenen und Figuren. Doch warum?

Don Quijote: Held oder Narr?

Don Quijote ist für viele Menschen heutzutage eine heroische Figur, ein Träumer, der gegen Widerstände kämpft und seinen edlen Zielen treu bleibt. Sein Tod ist das tragische Ende eines Idealisten, der unter der Last der Realität zermalmt wurde.

Als er sich zum ersten Mal als fahrender Ritter auf den Weg machte, wollte Don Quijote den vergangenen Ruhm des Rittertums wieder aufleben lassen, indem er die Taten berühmter Ritter (insbesondere Amadís von Gallien) nachahmte und dadurch ewigen Ruhm erringen wollte. Implizit in diesem Traum war der Wunsch enthalten, als ritterlicher Held gesehen zu werden, der sich gegen Ungerechtigkeiten auflehnt und die Bedürftigen, darunter Jungfrauen, Witwen und Waisen, beschützt.

Das Problem ist, dass Don Quijote eine unmögliche Vision verfolgte, denn die umherziehenden Ritter waren jugendliche Übermenschen aus fernen Zeiten und Orten, und er war nur ein gewöhnlicher 50-jähriger Mann aus niedrigem Adel (solche Leute nannte man in Spanien „Hidalgos“) aus den trockenen Wüsten von La Mancha. Infolgedessen sind seine „ritterlichen“ Abenteuer eine Parodie und eine Entmystifizierung derer, denen man in Ritterromanen begegnet. Don Quijote wurde zwar berühmt, aber aus den falschen Gründen: wegen seiner Missgeschicke und nicht wegen seiner Heldentaten.

Don Quijotes Abenteuer sind in vielen Fällen reine Slapstick und bringen uns zum Lachen. Doch Heldentum – vor allem von der Art, wie man es in epischen Versen oder in Ritterromanen findet – ist eine ernste Angelegenheit, und das Lachen untergräbt sie. Don Quijote wollte ernst genommen werden, aber die Leute lachten ihn aus oder brachten bestenfalls ihr Erstaunen darüber zum Ausdruck, dass ein Verrückter manchmal vernünftige Argumente ins Feld führen konnte.

Das Lachen in Don Quijote nimmt viele Formen an, vom Witz der Körperfunktionen (z.B. Sancho erbricht und leidet gleichzeitig an Durchfall) bis zur subtilen Ironie.

Wenn man sich dieser Geschichte nähert, sollte man sich zunächst die Vorstellung „klassisch“ aus dem Kopf schlagen, denn wie bei fast allen großen Werken der Prosaliteratur handelt es sich bei diesem Roman um eine lebendige, erdige Geschichte. Sicher, die Hauptfigur ist ein bisschen verrückt, sein Name wurde zum Synonym für den Kampf gegen imaginäre Übel – und ein Adjektiv wurde ebenfalls nach ihm benannt: quixotisch -, und sicher hält er seinen klapprigen Gaul für ein edles Ross, den schlampigen Bauern Sancho Panza für seinen Knappen und eine Hure für eine tugendhafte Dame, die es zu retten gilt. Aber uns, den Lesern, wird die Welt realistisch gezeigt, mit Menschen darin, die wirklich sind, die verblendete Hauptfigur eingeschlossen.

Im Prolog zum ersten Teil von Don Quijote sagt Cervantes, er habe die Absicht, den Einfluss der Ritterromane auf die Menschen seiner Zeit durch Spott zerstören. Don Quijote ist wahrscheinlich verrückt geworden, weil er zu viele solcher Märchen gelesen hat. Die komischen Kapitel, die seine Missgeschicke zeigen, sind in der Tat recht unterhaltsam, und das sind jene Passagen, die in die Populärkultur Einzug gehalten haben, vor allem der berühmte Ritt gegen Windmühlen.

Im Buch aber kommen zu viele Nebenhandlungen und Abschweifungen vor, die für den modernen Leser kaum von Interesse sind. Zu viele Gedichte, die von liebeskranken Hirten und Ziegenhirten vorgetragen werden, machen den ersten Teil zur Plackerei.

Der zweite Teil, der zehn Jahre später geschrieben wurde, erhöht dann das Tempo etwas; dadurch wird die Hauptfigur und sein treuer Diener viel interessanter. Don Quijote und Sancho sind hier weniger Figuren, über die man sich lustig machen kann, sondern vollwertige und liebenswerte Menschen. Aus der Geschichte wurde mehr, als Cervantes ursprünglich beabsichtigt hatte.

Das Buch hat einen enormen Einfluss auf unsere Kultur, und zwar nicht nur durch die Schaffung der Romanform und die Beispielhaftigkeit moderner Stilistik, oder die romantische und antiromantische Einstellung zur Literatur. Wie Shakespeare, Jean Paul oder Erika Fuchs hat Cervantes viele Wörter und Phrasen geliefert, die wir heute noch verwenden.

„Kann man je zuviel des Guten haben?“ – „Ein Vogel in der Hand ist mehr wert als zwei in einem Busch.“ – „Tatsachen, mein lieber Sancho, sind die Feinde der Wahrheit.“ – „Jeder fasse sich an seine eigene Nase.“

Um nur einige zu nennen.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

Alle Beiträge ansehen von MEP →

Das geht hier nicht.

Entdecke mehr von Phantastikon

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen