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Die Geschichte der Fantasy – Teil 3

Wir haben uns in den ersten beiden Artikeln (Die 4 Merkmale einer unabhängigen Welt / Weltentwürfe) die Frage gestellt, wer denn der erste Autor war, der eine unabhängige Anderswelt beschrieb. Dort haben wir nach Hinweisen oder Regeln gesucht, die eine unabhängige Anderswelt definieren könnten. In unserem dritten Teil werden wir uns einige Marksteine ansehen, die in der Vergangenheit dazu benutzt wurden, um eine Fantasiewelt von der Realität zu unterscheiden.

Zur Erinnerung: Üblicherweise wird William Morris zugeschrieben, der erste gewesen zu sein, der seine Geschichten in einer reinen Fantasiewelt ansiedelte. Das bedeutet, die Handlung in eine Welt zu verlegen, die nichts mit unserer gemeinsam hat. So zumindest wurde es von Lin Carter und L. Sprague de Camp behauptet. Allerdings gibt es jemanden, der lange vor Morris eine eigenständige Welt erschuf. Wir sollten uns dennoch die Frage stellen, warum es überhaupt so lange dauerte, bis jemand auf diese Idee kam.

Denken wir daran: Morris‘ Die Zauberin jenseits der Welt erschien im Original 1894. Und auch wenn es einen Schriftsteller gab, der vielleicht ein paar Jahrzehnte früher eine Anderswelt erfand, bleibt es dennoch bei der Tatsche, dass man Tausende von Jahren benötigte, um auf die Idee einer unabhängigen Welt zu kommen. Warum?

Es wird kaum daran liegen, dass die Künstler früher weniger Fantasie besaßen. Schaut man sich nämlich die alten Werke an, ist darin eine Menge phantastisches Material enthalten – ziemlich nahe dran an dem, was wir heute High Fantasy nennen. Vielleicht sind die dort zu beobachtenden, stets wiederkehrenden Motive dann auch dafür verantwortlich, dass man davon ausging, es bräuchte gar keine erfundene, eigenständige Welt. Wir finden Geschichten, die vor dem Jahre 1800 entstanden sind, die zwei und sogar drei der (im ersten Teil dieses Artikels) aufgeführten vier Merkmale enthalten, und dennoch ist in ihnen immer einen Bezug zu unserer realen Welt vorhanden.

Im Wesentlichen basieren viele dieser älteren Werke auf einer Allegorie, die zwar die Fantasie beflügeln kann und soll, aber stets mit den gleichen Bausteinen arbeitet, die den Bezug zur realen Welt nicht verwerfen. Denken wir an E.R. Eddison, der seinen Roman „Der Wurm Ouroboros“ mit einer Figur aus unserer Welt beginnt, um sie dann durch ein Out-of-Body-Erlebnis nach Merkurien zu versetzen. Auch wenn der Rest des Buches völlig wild daherkommt, ist dies doch ein Beispiel, wie er den Faden zur Realität nicht gänzlich aufzugeben bereit war.

Viele der frühen Versuche, von einer „glaubhaften“ Anderswelt zu sprechen, fanden ihr fantastisches Ziel im Jenseits, aber auch hier wird der Rahmen zeitgenössischer Vorstellungen nicht verlassen. Abgesehen davon, dass man hier durchaus seine Ideen unterbringen konnte, wird die Verbindung zur realen Welt stets durch ein vorangegangenes Leben beibehalten. Oder besser: auch ein fantastisches Jenseits definiert sich durch ein reales Diesseits.

Das bringt uns die Frage wieder ins Gedächtnis: Wer war wirklich der erste Schriftsteller, der die Notwendigkeit einer völlig eigenständigen, unabhängigen Welt erkannte und eine solche erfand?

Begriffe wie „Jenseits“, „Fantasy“, und ganz besonders „High Fantasy“ bedeuten für viele Leser nicht das gleiche. Es gibt unzählige Variationen der Deutung. Werden wir diesbezüglich etwas genauer: Fantasy meint jede Geschichte, die mit Elementen der Magie oder des Übernatürlichen einhergeht. Ja, das umfasst Teile des Horrors, und ja, es umfasst auch Teile der Science Fiction. In der High Fantasy treten diese phantastischen Elemente so dominierend auf, dass sie ihren eigenen Gesetzen in ihrer eigenen Welt folgen. Jenseitsfantasien spielen sich in einer Welt ab, die nicht die unsere ist, in der es keinen Bezug mehr zu unserer Realität gibt. Von diesem Standpunkt her sind diese Jenseitsfantasien also ein Unterkapitel der High Fantasy, so wie High Fantasy ein Subgenre der Fantasy ist.

Trotz dieser Definition müssen wir dennoch einen Grund nennen, warum wir nicht einfach eine Jenseitsfantasie wie „Die Pilgerreise“ von John Bunyan (1628 – 1688) als High Fantasy etikettieren können. Worin liegt der Unterschied zu „Der Herr der Ringe“?

Ob man nun Morris als ersten Fantasy-Autor akzeptiert oder nicht, fest steht, dass der Herr der Ringe lange nachdem es bereits Jenseits- oder Anderswelt-Fantasien gab geschrieben wurde. Man kann den Unterschied, wie Tolkien seine Welt mit der realen Welt verband, durchaus erkennen. Er tat das nämlich in einer Weise, wie kein Autor vor ihm. High Fantasy kam also später aufs Parkett als besagte Jenseitsfantasien. Traditionelle Fantasy aber gab es bereits vorher. Wie fühlt sich diese traditionelle Fantasy dem Realen verpflichtet? Und wie hat sich die Fantasy dann von der Realität und dem Altbekannten abgesondert, bis sie schließlich ihr eigenes Reich in Anspruch nehmen konnte?

Wir sollten uns zunächst fragen: Was, wenn es diese Verschiebung eigentlich gar nicht gab? Was, wenn eine reale Welt anders dargestellt werden soll, wenn sie also ein Ort ist, an dem nicht nur phantastische Ereignisse geschehen, sondern dort grundsätzlich phantastische Ereignisse dominieren, sie aber das gleiche Recht für sich in Anspruch nimmt, wahr und plausibel zu sein, wie es der Weltenbau einer realistischen oder engagierten Literatur ebenfalls von sich behauptet?

Das hört sich zunächst natürlich paradox an. In Wirklichkeit spreche ich hier von Mythen. Mythen beschreiben Ereignisse (auch historische) jenseits gewöhnlicher Erfahrungen. Der Punkt ist aber, dass sie ebenfalls dazu gedacht sind (oder waren), die reale Welt zu beleuchten.

Ein Mythos, der erklärt, wie die Welt entstanden ist, beinhaltet notwendigerweise auch die reale Welt. Ein Mythos, der erklärt, wie die Jahreszeiten entstanden sind, hat den Zweck, uns zu erklären, wie sich die Welt, wie wir sie kennen, ausgebildet hat. Die Entwicklung der Mythen geht also in erster Linie den Weg vom Phantastischen zum Realistischen. Und Mythen beinhalten stets die uns bekannte Welt, erklären sie, geben ihr Sinn, beschreiben ihre Geschichte.

Gleichzeitig geben uns Mythen zu verstehen, dass unsere Welt in ihrem Ursprung und in ihrem Sein bereits überaus phantastisch ist. Ein Geschichtenerzähler, der einen Mythos nacherzählt, besitzt daher bereits genügend phantastisches Material. Aber die Struktur des Mythos begreift sich dahingehend, dass seine phantastischen Elemente stets darauf bedacht sind, die reale Welt und  das in ihr Bekannte abzubilden.

Betrachten wir das anhand des Gilgamesh-Epos oder der Odyssee. In beiden Epen geht es um die Reise in alle möglichen Gebiete einer unbekannten – und dann um die Fahrt zurück in die reale Welt. Hier gibt es eine eigene Logik, die abhängig ist von den Gesellschaftsformen und den kulturellen Normen ihrer Protagonisten. Hier wird uns von wunderlichen und unglaublichen Dingen erzählt; und es gibt eine eigenständige Geographie. Außerdem gibt es eine abweichende geschichtliche Entwicklung, die mit dieser Geographie Hand in Hand geht. Gilgamesh trifft den Überlebenden der Sintflut am Ende der Zeit, und Odysseus wird vom Trojanischen Krieg heimgesucht, der bereits zu Ende war, als seine eigentliche Geschichte begann. Beide Geschichten erzählen uns jedoch mehr darüber, was nach ihrer Rückkehr geschah, als über das, was sie in der Ferne vorfanden.

Man kann also sagen, dass Mythen in sich geschlossen erscheinen. Die Geschichte des Kampfes von Marduk gegen Tiamat erscheint ziemlich weit hergeholt, um einen Bezug zur Realität zu haben. Aber die Schlussfolgerung der Geschichte, nämlich dass Marduk die Welt aus Tiamats Leichnam geschaffen hat, zeigt, dass dieser Kampf die Existenz der realen Welt zum Ziel hatte. Es scheint so, als ob die menschliche Erfahrung durch einen Mythos mit phantastische Elementen dargestellt und subsumiert werden soll, immer aber sind diese Fantasien mit der realen Welt verbunden.

An dieser Stelle sollten wir ebenfalls über jene Werke reden, die keine traditionellen Mythen sind, allerdings die Aufgaben von Mythen übernehmen. „Die göttliche Komödie“ (Dante) oder „Das verlorene Paradies“ (John Milton). Insbesondere auch (oder gerade) die Arbeit von William Blake, der über Götter schrieb. Auch hier wird der Versuch unternommen, die Welt zu erklären und wie sie entstanden ist. Obwohl er eine phantastische Geographie entwarf, blieben seine Geschichten literarisch wie symbolisch  auf der Plattform dieser Welt.

Es geht hier nicht darum, den erwähnten Arbeiten ihre Qualität abzusprechen, oder das damit verbundene Wunderbare zu schmälern, es geht lediglich darum, zu betonen, dass Mythen keine vollständigen Fantasy-Gebilde sind, weil sie keine völlig eigenständige Welt zu bieten haben. Im Gegenteil, sie wollen die unsrige sogar damit erklären. Die Struktur des Mythos ist jedoch dazu geschaffen, mit Fantasy-Elementen zu arbeiten. Wie ich oben bereits sagte, ist hier eine Verschiebung zu erkennen, die im Grunde nicht stattfindet. Das ist die erste Technik, um eine phantastische Anderswelt an unsere reale Welt zu binden. Gibt es noch andere?

Die einleuchtende Strategie der Verlagerung (oder Verschiebung) von Schauplätzen ist eine wörtliche: es geht darum, eine phantastische Welt in einem unbekannten Teil der realen Welt anzusiedeln, über den niemand etwas weiß. Mit anderen Worten, hier wird etwas erfunden (meist eine Geographie), die überhaupt erst erfunden werden kann, weil sie unbekannt ist. Das war zu einer Zeit, als es auf der Welt tatsächlich noch mehr als genug unbekannte Territorien gab, natürlich nützlich. Die Menschen hatten so wenig wissen über ihre Welt, dass dies allein schon ausreichte, ihre Fantasie anzuregen. Es gab zum Beispiel Wolfram von Eschenbach, der in seinem Parzival behauptete, man könne von der Bretagne nach England reiten, oder Shakespeare, der behauptete, Böhmen besäße eine Küste.

Oft wurden phantastische Welten an isolierte Orte verfrachtet, Inseln zum Beispiel sind diesbezüglich ein Dauerbrenner. Aber unterirdische Reiche haben ebenfalls nie an Popularität verloren.

Den letzten richtigen Gebrauch von dieser Strategie machten wohl die Autoren der Sword and Planet-Fraktion – in der Art von Burroughs‘ Mars-Abenteuer, C.S. Lewis‘ Perelandra-Trilogie, oder E.R. Eddisons Merkurien. Die phantastische Anderswelt wird hier zu einer SciFi-Anderswelt, die Idee dahinter ist jedoch immer noch jene, über die wir bereits gesprochen haben.

Wenn das Versetzen einer Anderswelt traditionell geographisch vonstatten geht, dann steht dem die historische Verschiebung in nichts nach. Gerade in der traditionellen Fantasy spielt sich die Geschichte meist in einer Epoche ab, die anfällig war für Magie und Legendenbildung. Denken wir dabei an die Tafelrunde des König Artus, oder an die Legenden um Karl den Großen.

Die wildesten dieser Fantasien wurden – und das ist auffällig – von Autoren geschrieben, die nicht dem Kulturkreis der jeweiligen Legenden angehörten. Französische und deutsche Autoren schrieben viele der seltsamsten Artus-Geschichten (vor allem über die Suche nach dem Heiligen Gral), während italienische Autoren bevorzugt über die Abenteuer Karls des Großen und seiner Ritter fabulierten, die zum Mond aufbrachen oder gegen Riesen und Zauberer kämpften.

Diese Autoren interessierten sich nicht für Geschichte; sie schrieben Fantasy und benutzten die Figuren bereits bekannter Abenteuer, um sie so zu erzählen, wie sie es wollten. Möglicherweise hatten die dabei weniger Skrupel, sich in anderen Kulturkreisen umzusehen, weil dadurch die Flickschusterei weniger ins Gewicht fiel, als hätten sie ihre eigenen Sagen derart verwurstet.

Die Nachahmungen der Arabischen Nächte sind ein gutes Beispiel. Relativ wenige englische Schriftsteller haben sich davon beeinflussen lassen, aber einer davon, William Beckford, schrieb seinen „Vathek“ 1782 in französischer Sprache nieder. Allerdings schrieben nicht wenige französische Phantasten arabische Geschichten, vor allem im 18. Jahrhundert. Man fragt sich, ob für diese Autoren das ferne Arabien nicht die gleiche Funktion erfüllte, wie für uns eine Anderswelt.

So viel zu Zeit und Raum. Gibt es noch weitere Techniken der Verlagerung? Sicher. Die vielleicht einfachste Art, eine Fantasywelt mit unserer Realität zu verknüpfen, ist der Traum. In einem Traum kann naturgemäß alles geschehen, vor allem Phantastisches. Es ist gar nicht so sehr überraschend, dass traditionelle Arbeiten der Fantasy, die den Rahmen eines Traumes für sich nutzen, sich nicht wie Träume verhalten – sie weisen nicht den surrealen, chaotischen Sinn eines Traumes auf, sondern bemühen sich um eine narrative Struktur.

Der Traum war ein sehr beliebter Rahmen für allegorische Arbeiten für Schriftsteller, die etwas über die Welt aussagen wollten, indem sie einer Figur durch eine symbolische Erzählung führten. Diese Figur wirkte dadurch nicht selten wie eine überdimensionierte Karikatur. Jedes Detail einer solchen Erzählung, jeder Charakter präsentiert ein spezielles Thema oder verkörpert eine bestimmte Idee. Die Folge war oft ein surreales Bild, das entstand, weil ein Element der Erzählung für etwas ganz anderes stehen konnte; durch diese Dualität schoben sich zwei Dinge, die eigentlich nicht zusammen gehörten, wie ein Teleskop ineinander, eine Vorgehensweise also, die den Traum imitiert.

Die besten Allegorien funktionieren trotz dieser ganz speziellen Logik trotzdem wie eine Erzählung. Eines der beste Beispiele ist die bereits erwähnte „Pilgerreise“ vom John Bunyan, eine symbolische Geschichte über eine Seele, die einer Versuchung widersteht, um in den Himmel zu gelangen. Das Buch folgt dem Hauptcharakter (im Original Christian) auf dem Weg in die himmlische Stadt. Dabei kommt er an Orte wie den Sumpf der Verzagtheit, oder dem Palast Prachtvoll, kämpft gegen Monster wie den Riesen Verzweiflung. Seiner Form nach handelt es sich hier um eine Abenteuergeschichte in einer phantastischen Welt – aber das Unternehmen ist ganz klar als Traum kenntlich gemacht.

Eine andere Möglichkeit der Realitätsverschiebung ist die Geschichte in einer Geschichte, wo eine erfundene Figur die Geschichte einer anderen erfundenen Figur erzählt. Auf diese Weise gelingt es, eine phantastische Welt als reale Fiktion in Erscheinung treten zu lassen.

Das hört sich nach einer sehr modernen strukturalistischen Technik an, aber einige der großen mittelalterlichen Sammlungen, wie die „Canterbury Tales „oder „Das Dekameron“ tun genau das. Hier gibt es eine Rahmenerzählung, die den Eindruck erwecken soll, dass eine einzelne Person die Geschichte einer anderen Person erzählt.

Im Englischen gibt es etwas, das „Club-Story“ genannt wird, die angeblich auf Lord Dunsany zurückzuführen ist. Das Konzept ist einfach: ein Gentleman in einem Gentleman’s Club erzählt eine Geschichte, die ihm angeblich selbst widerfahren ist, oder von der er gehört hat, einem anderen Club-Mitglied. Auf diese Weise lässt sich ein phantastisches Erlebnis als etwas wiedergeben, das man von jemanden gehört hat, um die offensichtliche Lüge zu umgehen. Es gibt sehr viele frühere Phantasten, die diese Technik angewandt haben, um Unerhörtes in aller Glaubhaftigkeit zu erzählen.

Das ist also eine wirksame und umfassende Art, ein Fantasy-Setting zu verschleiern, wie immer es auch geartet sein mag.

Im 19. Jahrhundert scheinen die Ideen von einer phantastischen Anderswelt zu einem literarischen Konzept zu werden. Die Methode, die dabei gerne angewandt wird, ist, einer Figur ein Portal zur Verfügung zu stellen, durch das sie in eine andere Welt gelangen kann. Denken wir an das Kaninchenloch bei Alice usw. George McDonalds Roman Lilith von 1895 beschreibt, wie die Hauptfigur durch einen Spiegel in eine andere Welt gelangt.

Natürlich können auch alle erwähnten Techniken zusammen angewendet werden, um einen interessanten Effekt zu erzielen. Ein Schriftsteller kann mit der Realität spielen, ungewöhnliche Perspektiven einnehmen, und zwischen Traum, Erzählung und Anderswelt balancieren.

Betrachten wir einmal E.T.A. Hoffmanns kompliziertes Märchen „Nussknacker und Mausekönig“. Ein kleines Mädchen beobachtet einige seltsame Ereignisse und fällt in Ohnmacht; sie erwacht und denkt, dass alles nur ein Traum gewesen sei. Dann erzählt ihr Patenonkel ihr eine Geschichte, die eine Verbindung zu dem, was sie gesehen hat, aufweist. Das führt zu immer weiteren merkwürdigen Ereignissen; am Ende schläft sie ein, wacht wieder auf, und diesmal sind es die Eltern, die ihr erklären, dass alles nur ein Traum gewesen sei. Am Ende taucht der Neffe des Patenonkels, dem sie im Traum begegnet ist, in ihrem wirklichen Leben auf. Sie heiraten, und die Geschichte schließt, indem wir davon unterrichtet werden, dass Marie die Königin eines Puppenreichs ist, das nur von jenen gesehen werden kann, die auch die Augen dafür haben.

Hier wird die Fantasie erstens dadurch verschleiert, dass sie ins Reich der Träume verwiesen wird, dann ist sie plötzlich Fiktion geworden, am Ende wird sie zu einer Realität. Gleichzeitig nimmt Hoffmann diese „Realität“ wieder zurück, indem er sagt, dass diese Anderswelt nur von jenen gesehen werden kann, die auch Augen dafür haben. Damit deutet er an, dass alles nur eine Frage der Perspektive ist.

Im Allgemeinen wäre es ein Fehler anzunehmen, ein Werk müsse nur eine Strategie der Verlagerung anwenden, um die Realität von einer Fantasywelt zu unterscheiden. Denken wir an die Filmversion von „Der Zauberer von Oz“; in dieser Geschichte wird Dorothy nicht einfach nur von einem Wirbelsturm aus Kansas heraustransportiert, sie erwacht und hält außerdem alles für einen Traum. Auch Alice, die in ein tiefes Loch fällt, erwacht am Ende und denkt, sie habe geträumt.

Sind wir damit schon am Ende angelangt? Sind wir unserer Eingangsfrage etwas näher gekommen? Möglich, aber am Ende sind wir dennoch nicht.


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