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Colin Dexter: Zuletzt gesehen in Kidlington (Inspector Morse 2)

Vor mehr als zwei Jahren verschwand Valerie Taylor, eine siebzehnjährige Schülerin der Roger Bacon School in der Nähe von Oxford, unter mysteriösen Umständen. Inspector Morses Kollegen von der Polizei fanden trotz intensiver Nachforschungen nichts heraus. Warum also den Fall jetzt wieder aufrollen, wo die Spuren längst kalt sind und die Erinnerungen verblassen? Sicherlich laufen jedes Jahr Hunderte von Mädchen von zu Hause weg und machen sich auf den Weg zu den hellen Lichtern der Großstadt. Morse bevorzugte eine Leiche: eine Leiche, die eines unnatürlichen Todes gestorben ist. Und sehr bald bekommt er eine.

Zuletzt gesehen in Kidlington

Colin Dexters zweiter Roman ist voller roter Heringe, falscher Fährten also, die äußerst unterhaltsam sind, weil Morse sie selbst legt und dann, wenn wir mit ihm in der Sachgasse angekommen sind, wieder verwirft. Morse springt von einer Idee zur nächsten, operiert oft mit ein paar fragwürdigen Fakten und zieht daraus wackelige Schlüsse. Er verzweifelt, nachdem eine Theorie nach der anderen ins Gras beißt, aber am Ende bekommt er doch noch Recht. Es ist eine sehr verschwenderische Art, Detektivarbeit zu leisten, und es steckt nicht viel Logik dahinter; Morse stolpert fast zufällig über die Lösung des Verbrechens. All das macht die Lektüre des Romans zu einer sehr akademischen Übung, und es ist gerade das, was Colin Dexter vom Rest seiner Kollegen abhebt.

Tatsächlich ist dieser Roman ein Paradebeispiel für die Aussage: „Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muss das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag.“ Dieser Satz von Sherlock Holmes fasst Morses Methode, den Fall zu lösen, gut zusammen.

Man tut gut daran, bereits den ersten Band gelesen zu haben, um sich an Morses Eigentümlichkeiten zu gewöhnen, und das trifft auch auf Colin Dexters Schreibstil zu, der sich erheblich vom Mainstream unterscheidet. Tatsächlich ist Morse weit davon entfernt, ein verweichlichter, politisch korrekter Typ zu sein. Er raucht, mag Pornografie, säuft regelrecht und flucht manchmal wie ein Bierkutscher. Und gerade deshalb ist der Roman charmant und unapologetisch ehrlich, wobei Dexter sämtliche Klischees des Kriminalromans untergräbt. Noch stehen die ganz großen Romane um Morse aus, aber die zunehmende Kompaktheit und Perfektion macht bereits einen großen Schritt nach vorne. Dabei benötigt Colin Dexter keine literarischen Tricks oder avantgarde Techniken, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu gewinnen, er tut das mit einer Raffinesse, die schlicht umwerfend ist.

Und bereits jetzt tut sich etwas in der Beziehung zwischen Morse und Lewis, der übrigens keineswegs dessen Watson ist, wie so oft behauptet wird. Der Kontrast zwischen Morse und Lewis ist zwar vorhanden, aber ganz anders wie Watson, der Sherlock intellektuell völlig unterlegen ist und die Geschichten des großen Detektivs aus seiner Warte betrachtet, ist Lewis nicht immer einverstanden, mit dem, was Morse treibt, auch wenn er sich fragt, mit welchen Kunststückchen er seine Fälle eigentlich löst. So ist Lewis geradlinig, während Morse geistige Verrenkungen fabriziert, die äußerst abenteuerlich sind, und denen Lewis deshalb nicht folgen kann.


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