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Das Lied der Krähen / Leigh Bardugo

Heist Fantasy ist relativ selten. Und wenn man es mit ihr zu tun bekommt, dann fällt einem als erstes Locke Lamora ein, die kongeniale Diebesschöpfung von Scott Lynch. Aber auch Artemis Fowl gehört dazu.

Tatsächlich kann „Das Lied der Krähen“ die lange Wartezeit (wahrscheinlich nie!) auf den nächsten Teil des Gentlemen-Ganoven überbrücken. Und bei aller Ähnlichkeit: Leigh Bardugo hat keineswegs abgeschrieben. Angesprochen auf die Ähnlichkeit mit Locke Lamora gab sie an, Scott Lynch erst nach der Fertigstellung ihrer „Crows“ gelesen zu haben. Das ist möglich, und wir wollen ihr glauben, vor allem, weil ihr Erfolg gar nicht davon abhing. Den hatte sie bereits mit ihrer „Grisha-Trilogie“, und in dieser Welt sind auch die beiden bisher erschienenen „Krähen-Bücher“ angesiedelt. Auch ist Kaz Bregger ein weniger sympathischer Zeitgenosse als Locke. Mehr noch als zu Lynch führen die Spuren wohl zu Ocean‘s Eleven, wobei es bei Bardugo „nur“ sechs sind, die sich für eine unmögliche Aufgabe zusammenschließen. Laut eigener Aussage kam ihr die Idee zu ihrem Roman, als sie in Los Angeles eine Plakatwand sah, die für den Film „Monuments Men“ warb. George Clooney war darauf zu sehen, aber Bardugo erinnerte sich sofort an Ocean’s Eleven und hatte von da an nur noch ihre Fantasy-Heist-Story im Kopf.

Die Welt ist eine (Fantasywelt) der Vorindustrialisierung, oder besser: der Spätrenaissance. Es scheint ohnehin so, als wäre das die ideale Zeit für phantastische Diebesbanden, so wie die schwertbewehrten Heroen sich eben im Mittelalter auf die Füße treten.

Zu Beginn des Romans gelingt es Bardugo noch nicht, den Leser für die unterschiedlichen Figuren zu begeistern. Das ändert sich aber, als sie beginnt, etwa ab der Hälfte des Buches die Hintergrundgeschichten der Charaktere zu entfalten. Da bekommt sogar das egoistische Arschloch Kaz einen sympathischen Anstrich, sobald man erkennt, was er durchgemacht hat und woher diese eiskalte Ader stammt. Die Tragik hinter den einzelnen Figuren ist dann allerdings ein Muster, das sich bei allen Protagonisten wiederholt. Vor allem wendet Bardugo hier die Erzähltechnik eines weiteren Kollegen an: George RR Martin, der seine Kapitel ebenfalls immer einer Figur widmet, um seine Perspektivwechsel zu etablieren. Und das ist sicherlich die beste Art, diese Geschichte zu erzählen und die Charaktere durch ihre Vergangenheit im Wechsel mit ihrem Verhalten im Hier und Jetzt strahlen zu lassen. Bardugo selbst vermeidet den Begriff „Grimdark“ in Interviews, aber weit entfernt ist er wahrlich nicht.

Jene, die gleich in die Handlung springen wollen, finden hier aber keinen Kritikpunkt vor. Dieses Young Adult-Abenteuer ist von der ersten Seite an überraschend düster angerichtet, und so kommen auch erwachsene Leser durchaus auf ihre Kosten, auch wenn Kontext und Motivation anfangs fehlen.

Das Problem in dieser soliden Abenteuergeschichte ist wohl das Alter der Protagonisten. Bardugo wollte hier bewusst junge Menschen abbilden. Der Kontrast zwischen dem, was sie tun und ihrem Alter ist groß. Von einer Coming-of-Age-Story kann hier nämlich keine Rede sein. Man vergisst, dass sie Teenager sind, bis man in unterschiedlichen Situationen darauf gestoßen wird. Das wirkt in sich nicht schlüssig und stört etwas.

Die Welt, die hier aufgebaut wird, fühlt sich wechselweise karg, und dann wieder gut entwickelt an. Das ist der Tatsache geschuldet, dass Bardugo davon ausgeht, dass ihre Leser die erste Trilogie gelesen haben. Wer mehr über das interessante Magiesystem der Grisha in Erfahrung bringen möchte, sollte das auch tun, es ist aber nicht notwendig, um etwa die Zusammenhänge zu verstehen. Wer sich dennoch dafür interessiert, findet die Bücher bei Carlsen.

Obwohl es mittlerweile durchaus einige Stories zu unmöglichen Raubüberfällen gibt, wurde unsere Vorstellung davon hauptsächlich vom Film geprägt. In der Literatur funktionieren einige dieser bekannten Tricks einfach nicht, und manchmal merkt man das der Geschichte auch an. Trotzdem ist es nicht so, dass der Roman sich verliert. Geschickt lässt Bardugo das Buch dort enden, wo man unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Und wer es mochte, wird sicherlich gleich zu Band 2 greifen.


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