2015 erschien mit The VVitch das Spielfilmdebüt des US-amerikanischen Filmregisseurs, Drehbuchbuchautors, und Szenenbildners Robert Eggers, das im Englischen A New-England Folktale heißt und im Rahmen des Sundance Film Festivals seine Premiere feierte.
The VVitch zeigt das fromme und gottesfürchtige Leben einer Puritanerfamilie um ca. 1630. Wir sehen William (gespielt von Ralph Ineson), der samt seiner Familie, gerade erst in Neuengland angekommen, aus der puritanischen Gemeinde verstoßen wird. Weshalb? Das erfahren wir nicht. Wir sehen nur, dass ihnen der Prozess gemacht wird. Gemeinsam mit seiner Frau Katherine (gespielt von Kate Dickie) und seinen 5 Kindern (Thomasin, Caleb, Mercy, Jonas und Samuel) lässt er sich mit samt dem Hab und Gut der Familie auf einem Acker nieder, der direkt an einen Wald grenzt. Ein Wald, der ihnen im Verlauf gehörig zusetzt, beginnend damit, dass wir miterleben, dass das jüngste Kind Samuel (ein Säugling) vor den Augen des ältesten Kindes, der Tochter Thomasin (gespielt von Anya Taylor-Joy), von einer Hexe gestohlen wird. Gestohlen in dem Moment, in dem Thomasin mit ihm ein „Versteck-Spiel“ spielt, in dem sie sich immer wieder die Augen zuhält, um ihn erneut zu entdecken, nimmt sie ihre Hände beiseite, ihre Augen zu öffnen.
Thomasin kommen in ihrer Rolle innerhalb der Familie besonders viele Pflichten zu, aufgrund dessen, dass sie das älteste Kind ist. Mutter wie Vater haben vor allem an sie große Erwartungshaltungen. Besonders ihre beiden jüngeren Geschwister Mercy und Jonas, die wie kleine fiese Blagen des Teufels daherkommen, machen ihr das Leben schwer. Auch die Beziehung zu ihrer Mutter steht unter keinem guten Stern. Katherine wirkt gar stiefmütterlich. Hart und ablehnend agiert sie ihrer Tochter gegenüber. Fast so, als wäre sie nicht ihre leibliche Mutter. Allein ihr Vater und Caleb zeigen sich ihr gegenüber als Zugeneigte.
Wir erleben in diesem Kammerspiel, das wahrlich reduziert ist auf das Spiel dieser Familie, was die Ausrufung der Erbsünde bedeutet. Was es heißt, Siedler zu sein, einen Acker zu bearbeiten / zum Erblühen zu bringen, der sich als kein fruchtbarer erweist. Wir erleben, wie bedroht und ausgeliefert der Mensch in der Wildnis / der Welt ist. Wie rau und hart sich das Leben zeigt, obschon man ein frommes, entbehrungsreiches und gottgefälliges zu leben versucht. William, das Oberhaupt der Familie, erscheint nicht selten als ein Abraham oder gar als der Messias höchstpersönlich, denken wir an das wirkungsvoll von Eggers in Szene gesetzte Abendmahl der Familie. Dennoch ist er ein Oberhaupt, dem es nicht gelingt seine Familie zu versorgen, der nach und nach das Ansehen seiner Liebsten verliert, die ihn und seine Taten infrage stellen.
Auch Caleb, der mit Thomasin (ähnlich wie Hänsel und Gretel), trotz des Verbotes der Familie, heimlich in den Wald geht, um dafür zu sorgen, dass Thomasin von William und Katherine nicht als Dienerin an eine andere Familie verkauft wird, begegnet der im Wald lebenden Hexe, wird von ihr zu sich gelockt. Jung und bezirzend schön erscheint sie ihm vor ihrer Hütte. Ganz anders als jene, die wir sahen, als uns gezeigt wurde, was mit Samuel passiert ist. Die dem Säugling etwas abschnitt, um Flugsalbe für sich und ihren Besen herzustellen. Eine, die dämonischen Charakter hat, die Caleb wieder in seine Familie entlässt. Infiziert und besessen, in des Teufels Bann gezogen wirkt er. Mit Gebeten und Gottesanrufungen versuchen sie ihm zu helfen, ihn vom Bösen zu befreien. Etwas, das scheinbar gelingt, da Caleb sich kurz vor seinem Tod noch einmal aufbäumt, in seinen Sterbeminuten verkündet, Jesu ansichtig geworden zu sein, gar zu ihm spricht (jedoch sind Calebs Worte blasphemisch anmutende). Zuvor lösen sie ihm jedoch noch einen kleinen Apfel aus dem Mund.
Der Apfel als inszeniertes Motiv wird hier gekonnt eingesetzt. Eine einfache Requisite, die die Erkenntnisfrucht als vom Teufel / der Schlange / der Frau vermaledeite präsentiert. Auch denken wir an den vergifteten Apfel aus Grimms Schneewittchen. Denn: wie schon Thomasin ihrem Bruder Caleb gestand, sie sehne sich nach einem der Äpfel des Baumes, den Caleb als Lüge erfand, um Katherine nicht zu erzürnen. Da er und sein Vater ohne ihr Wissen in den Wald gingen, um nach Beute in den von William aufgestellten Fallen zu schauen, die er nur kaufen konnte, da er, ebenso heimlich, Katherines Silberbecher dafür eintauschte. Ein Becher, den sie geerbt hatte, an dem sie sehr hing. Ein Gegenstand, der den inneren Familienkonflikt weiter auflodern lässt, da Katherine Thomasin verdächtigt, ihn genommen oder gar verloren zu haben. Das Familiengefüge wird zunehmend instabiler, alles gerät mehr und mehr außer Kontrolle. Keiner traut dem anderen über den Weg. Jeder ist von seiner eigenen fixen Idee, hinter den Taten des Anderen das Wirken des Teufels zu vermuten, besessen. Thomasin wird, vor allem von Katherine, zum Sündenbock erklärt, zur vaterverführenden Dirne, die mit dem Teufel im Bunde steht, den Mercy und Jonas im Ziegenbock der Familie erkennen wollen, dem Schwarzen Phillip, mit dem sie sich immer wieder unterhalten.
Und so erleben wir die Initiierung einer jungen Frau, die zur Hexe wird. Sie selbst, die das puritanische Leben von ihrer Familie am meisten ablehnt, bittet zu Beginn des Films noch Gott sich ihrer Seele anzunehmen, da sie weiß, dass sie im Innern ein nicht in gleicher Weise demütiges Leben führt. Jedoch all die Zweifel und Beschuldigungen ihrer Familie lassen sie diese von ihnen vermutete und somit zugedachte Rolle nach und nach einnehmen. Schon im Streit mit ihren beiden jüngeren Geschwistern Mercy und Jonas bezichtigt sie sich selbst, eine Hexe zu sein, sogar jene, die Samuel gestohlen hat. Sie behauptet es natürlich im Affekt. Jedoch ist es genau das: es sind die Handlungen und Reaktionen der einzelnen Protagonisten im Affekt, die jene Familientragödie ihren Lauf nehmen lassen. Nicht etwa, weil sie nicht gottesfürchtig genug waren, sondern weil solch ein von Angst und Hölle bestimmtes Leben kein selbstbestimmtes ist. Der Acker, der sich als kaum Früchte tragender herausstellt, stellt den Nährboden für ein von Zweifel, Schuld und Sünde geprägtes Leben. Er dient als Metapher für das Leben dieser uns gezeigten puritanischen Familie. Die Verweisung aus der Gemeinde setzt das Leben der Sieben auf einen Zustand Null. Sie werden zu jenen aus dem Paradies Vertriebenen, denen es nur unter größten Anstrengungen möglich ist, ein Leben in der Welt zu führen. Doch da wir auch um die Sage von Kain und Abel wissen, wissen wir, es wird ihnen nicht möglich sein. Erschlagen werden sie sich gegenseitig, im Namen Gottes und seines Sohnes. Von diesen im Stich gelassen, den Teufel in allem sehend, von der Hexe im Wald geholt, bleibt am Ende nur Thomasin übrig, die ihre Mutter mit einem Messer tötet, als diese versucht sie zu erwürgen.
Am Abend betritt Thomasin den Stall, um den Schwarzen Phillip zu sprechen, der ihren Vater getötet hat. Phillip antwortet und erscheint ihr in menschlicher Gestalt, der Gestalt eines Junkers. Er verspricht ihr ein freies Leben in Lust, wenn sie sich in das nun vor ihr liegende Buch einträgt. Thomasin willigt ein und geht nackt mit ihm (wieder in der Gestalt des Ziegenbocks) in den Wald. Wir sehen: Ein Hexenzirkel nimmt sie in ihrer Mitte auf.
Eggers präsentiert uns eine Hexe, die in ihrem Wesen und Äußeren an dem mit Angst verknüpften Urbild einer Hexe rührt. Keine gute, für das Weibliche stehende wird uns hier geboten. Hässlich, furchteinflößend und alt ist sie, als wäre sie einem Albtraum entsprungen. Ihre Schönheit, mit der sie sich Caleb zeigt, ist nur Blendwerk, Zauberei und teuflische Verführung. Er zeigt uns eine Urform der Angst, die, genährt vom puritanisch gottes- und teufelsfürchtigen Leben, wiederbelebt wurde. So sehr er mit zeitgenössischen Überlieferungen, Prozessakten (besonders die Hexenprozesse von Salem sind hier zu nennen), landwirtschaftlichen Sachbüchern gearbeitet hat, wie auch mit Historikern, um ein von Puritanern besiedeltes Neuengland nachzubilden, so sehr hat er sich bei der Darstellung der Hexe seiner Phantasie überlassen. Er selbst gibt an, er sei seiner eigenen Angst gefolgt, der Phantasie, die er als Kind hatte.
Und so gelingt es ihm Wahrhaftes mit Wahrhaftem anzureichern, den Ängsten des Menschen zu jener Zeit Zeuge und später Chronist zu sein. Nicht zuletzt, da er für den Cast, nur englische Schauspieler zuließ, um eine größtmögliche Authentizität zu erreichen. Die schauspielerischen Leistungen, Kostüm und Szenenbild sind herausragend. Die Atmosphäre: gottverlassen.
Wir sind sehr gespannt auf Robert Eggers zweiten Film. Kein geringeres Thema als Nosferatu hat er sich vorgenommen. Murnaus Nosferatu. Und wir trauen es ihm zu, bei so einem Debüt wie diesem. Einem Debüt, von dem wir uns fragen, ob das mit rechten Dingen zuging, oder ob nicht ein Junker sein Buch ins Spiel geworfen hat, bei dem von ihm vorgelegten Niveau.
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