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Interview mit einem Vampir (Film)

Verliebe dich nicht in die Nacht, damit du nicht den Weg verlierst.“

Das hört sich an wie singende Schokolade. Man seufzt und schmilzt dahin.

Es ist ein Vampir, der da spricht, Lestat de Lioncourt. Stark und ungefesselt, weil er kalt ist, böse und schwach, weil er fühlt. Ein stattlicher, stolzer, selbstgefälliger Mann, der die Sehnsucht nicht vergessen hat, die seinen Weggefährten in der Dunkelheit träumen lässt: Louis de Pointe du Lac, sensibel, schwermütig, erstklassig schön zudem. Den klugen Rat seines Lehrmeisters nimmt er an, doch die Verlockung bleibt.

„Zwischen den Pappeln und Eichen hörte ich die Nacht wie einen Chor von flüsternden Engeln, die mich an ihre Brust riefen.“

Louis, der ewig Zweifelnde, der rastlos liebt und leidet, lässt sich nicht fallen, und trotzdem er mit seinem ihm von Lestat eingebrockten Schicksal, ein Vampir zu sein, immer wieder hadert, bekennt er doch eine ganz spezielle Lebensfreude:

„Ich trank die Schönheit der Welt, wie ich Blut trinke.“

Das klingt beneidenswert gut, derart herrlich poetisch, – realistische Zungen sagen dazu „herrlich kitschig“, egal -, hätte es Stoker’s Dracula wohl nicht formuliert. Oder gedacht. Zumindest erweckt Dracula nicht den Eindruck, die so schöne Welt als besonders umarmenswert zu empfinden. Den Blick nach draußen wirft er eher gelangweilt, wenn auch mit Bedacht, und sein Durst wirkt doch mehr zweckorientiert. Nüchtern betrachtet. Soll hier gar nicht Thema sein. Obgleich…man kommt nicht so ganz dran vorbei.

Lestat und Louis wurden erschaffen, erdacht, gemalt von der amerikanischen Erfolgsautorin Anne Rice, und spätestens seit der Verfilmung (Regie: Neil Jordan) von Interview mit einem Vampir 1994, 18 Jahre nach der Fertigstellung des Buchs, gelten die attraktiven Blutsauger als legendäre (Licht-) Gestalten im düsteren Genre. In Draculas Fußstapfen pulsiert ihr Blut, das verdient Respekt.

Freilich: Der Graf, – da ist er wieder -, könnte Lestat auf den Kopf spucken, Leinwand vorausgesetzt. Denn da würde Christopher Lee, ein Zweimetermann, wohl mehr das Bild bestimmen als Tom Cruise mit seinen bescheidenen 1,69.

In den literarischen Vorlagen sind beide lange Kerle, Stoker’s Dracula hochgewachsen, glatt rasiert, außergewöhnlich blass mit raubtierartigem Gesicht, Lestat groß, hellhäutig, anmutig und verlockend, mit vollem blonden Haar.

So einen wie Lee hatte Rice für die Verfilmung ihres Welterfolgs ursprünglich wohl auch im Visier, präsentiert wurde ihr der ewig junge, ewig strahlende Sonnyboy Cruise. Rice war mit der Wahl äußerst unzufrieden, fühlte sich dann freilich mit ihm als Lestat absolut gesegnet und lobte ihn enthusiastisch für seine Rolle. Die hat er ‚rübergebracht wie kein Zweiter, dessen Name unwichtig bleiben muss. So kann’s kommen, gut getan.

Gut zudem, dass Brad Pitt den sehnsuchtsvollen, in sich zerrissenen und doch so bejahenden Beau aus New Orleans gibt. Tatsächlich hatte man sich, erstaunlicherweise mit Zustimmung der Autorin, in den strengen Kopf gesetzt, die Rolle in einen weiblichen Charakter umzuschreiben und mit der US-Schauspielerin und Sängerin Cher zu besetzen. Homophobie war das schlimme Wort, die diesbezüglich prüden 90er taten sich schwer mit Männern, denen es ganz warm um’s, – in diesem Fall -, kalte Herz wird, wenn sie unter sich sind.

Krönung des Bösen: Eine Liebe

Freilich, so geschickt man sich mit einer Hetero-Beziehung aus der Affäre ziehen wollte, so glücklich und richtig hat man sich letztendlich doch entschieden: Für eine zwinkernd vertretbare Erotik, die sanft und nicht zu gefährlich heiß unter die Haut geht, für die aber keine Frau noch extra sorgen muss. Und die Louis‘ Worten an den unwiderstehlichen Armand (Antonio Banderas im Film), Chef des „Théâtre des Vampires“, ein 400 jähriger Adonis mit alten, erfahrenen Augen, das gewisse Prickeln verleihen, das doppelten Boden hat und doppelten Genuss verschafft:

„Das ist die Krönung des Bösen, dass wir sogar so weit gehen, einander zu lieben.“

Cher sei Dank, dass sie nicht dabei ist. Bei aller gebührenden Achtung vor der exzentrischen Künstlerin, einen Louis, wie wir ihn uns erhofft, gewünscht und gottlob auch erhalten haben, hätte sie nicht geliefert. Louis (im Film) ist zwar im Gegensatz zu Louis (im Buch) blond, die andere Optik wirkt aber schlichtweg durchdachter. Die blutsaugenden Akteure im „Théâtre des Vampires“ sind allesamt schwarzhaarig, schwarzgekleidet und sprechen mit „affektierten Partystimmen“, eine aufgesetzte, überzogene Bohème, in die Louis nicht gehört.

Was ihn ausmacht, ist das Bewusstsein, dass er, obgleich als Verdammter geltend, immer noch eine Persönlichkeit ist. Mit einer Vergangenheit, die ihn gelehrt hat, empfinden, bedauern, lieben, verstehen und trauern zu können. Grandios bezeichnend, wie er denkt, als er gegen Ende des Buches den völlig verstörten und verwahrlosten Lestat wieder trifft. Er hat die Vision von ihm als dem stattlichen, attraktiven Kavalier mit wehendem Umhang aus längst vergangenen Tagen, sieht, wie Lestat „..mit voller, makelloser Stimme eine Arie aus der Oper sang, von der wir gerade kamen, mit dem Stock auf dem Pflaster den Takt schlug und zugleich lächelnd mit einer jungen Frau flirtete, die gerade vorüberging, so dass eine Sekunde lang, als seine Augen die ihren trafen, alles Böse ausgelöscht schien in einem Anflug von schierer Lebenslust.“

Man könnte mehr und mehr zitieren, nur bruchstückhaft käme zum Ausdruck, was für wunderbare Worte Anne Rice in Interview mit einem Vampir immer wieder wählt, als hätte sie zuvor in einer Schatzkiste mit vollendeten Vokabeln gestöbert. Ihre Sprache ist keine spezifische Mode, sie ist besonderer Stil in Perfektion. Im Film verdient der Versuch, diese Sprache als lebendiges Mittel zu nutzen für die optimale Leinwandtauglichkeit, soweit umsetzbar und fesselnd genug für ein großes Publikum, wirklich absolute Anerkennung.

Das Buch ist mehr als gut, Rice knüpfte an diesen Erfolgs-Kracher, obgleich weiterhin äußerst respektabel schriftstellerisch aktiv, nicht mehr an. Der Film, zwei Oscar-Nominierungen, vier Saturn Awards, den allein in deutschen Kinos 1,61 Millionen Besucher sahen, ist dementsprechend, da darf prinzipiell kein wenn und aber geduldet werden.

Pompöser, tragischer Schauer

Wer sich indes im Vorfeld nicht zumindest über die Kerngeschichte informiert und blutgeile Vampir-Power-Action erwartet hat, wird enttäuscht (gewesen) sein. Rice hat die literarische Vorlage für „einen grandiosen, tragischen Tanz der Vampire“ (TV-Spielfilm) geliefert. Interview mit einem Vampir ist pompös und glamourös verpackt vor der zeitgerechten Kulisse des 18. Jahrhunderts, atmosphärisch dicht, da (natürlich) verstaubt wie die antike Truhe auf dem Speicher, die mit zittrigen Fingern geöffnet wird, um Vergangenes einatmen zu können.

So sieht’s aus, da sollen die Nörgler noch so maulen: Es würde viel zu viel geredet, nervend und langweilig sei das ewige Gequatsche, die Schönlinge sollten sich vom Acker machen, und gruseln ginge sowieso ganz und gar nicht. Echter, richtiger Horror sei anders.

Tja denn. Letztgenannte Kritik, definiert man Horror platt als Garant für Schreckenschreie, Entsetzen, gar Gemetzel, trifft zu. Das ist hier aber nicht wichtig und wird der Sache so gar nicht gerecht. Ziemlich dumm, pardon, ist in diesem Zusammenhang der Kommentar im Lexikon des Internationalen Films, der da lautet: „Die Spannung erstickt in papiernen Endlosdialogen.“

Wer das so sieht, konnte und kann auch mit dem Buch nichts anfangen (Wette gilt): Da liefert der Vampir Louis, 1791 gebissen und definitiv gebrandmarkt, gut zweihundert Jahre nach seiner Verwandlung in ein Geschöpf der Nacht einem Journalisten seine Geschichte. Er erzählt von seinem Schöpfer Lestat, von der kleinen Claudia, von Armand, von den kühlen, eleganten, kaltschnäuzigen Vampiren in Paris und von deren völlig verrohten Artgenossen in Osteuropa („gräßliche Ungeheuer“ mit „schmutzigem Blut“, Dracula wäre not amused).

Kurzum: Louis liefert dem Reporter die (!) Story über ein faszinierendes, facettenreiches Leben der etwas anderen Art, geprägt von Tiefgang, Sinnsuche, Einsamkeit, Verrat und unstillbarem Durst auf Blut und Liebe.

Punkt. Das steht als Inhaltsangabe. Wen das allein nicht neugierig macht, der mag das Ganze einfach nicht. Und verpasst das grandios Eingemachte. Nochmals Punkt.

Zustimmung findet allemal, , dass Anne Rice, die auch am Drehbuch mitwirkte, und Neil Jordan als Regisseur mit Bravour eine „fulminante Wiederbelebung des Vampirfilms“ (Cinema) gelungen ist. Ergänzend gesagt sei, des klassischen Genres ohne den unnötigen Schnickschnack modernster Technik, der hier nur störend und verzerrend gewesen wäre. Das Bild eines leicht antiquierten, schaurig-schönen Wohlgefühls, das sich einstellt beim Schwarz-Weiß-Schocker aus vergangenen Tagen, stimmt auch hier so, wie es ist; es trifft. Anne Rice hat phantasievoll neue Vampire, aus neuer Perspektive betrachtet, entstehen lassen, hat sich aber an das bewährte Grundkonzept gehalten, das Stoker’s Dracula ausmacht: Der Vampir ist unheimlich und geheimnisvoll, höchst anziehend, zweifellos erotisch, alterslos und stark, prinzipiell unsterblich, freilich besiegbar. Und er ist „von einer außergewöhnlichen Blässe“ (Bram Stoker), „ganz und gar weiß und glatt, als wäre er aus gebleichten Knochen geschnitzt“ (Anne Rice).

Spiegelbild ja, Kruzifix nein

Eigene Spielerei der Autorin ist die für ihre Vampire nicht gegebene Gefahr durch Kruzifixe und Holzpflöcke. Das ist nicht weiter von Bedeutung, gleichfalls wie der Umstand, dass sie sich im Spiegel betrachten können, der wohl mehr zuvorkommend gemeint denn einem tieferen Gedanken entsprungen ist. Louis, Lestat, Claudia, Armand & Co. legen deutlich Wert auf ihre Optik und sehen im Normalfall stets wie aus dem Ei gepellt aus, da wird die Eitelkeit von Rice mit einem Spiegelbild bedient. Warum nicht? Zu Sonnenanbetern allerdings werden die Blutsauger auch hier nicht und niemals, und dabei muss es bei aller künstlerischer Freiheit bleiben.

Wie sehr indes die Sonne demjenigen fehlen muss, dem Jahrzehnte, Jahrhunderte allein die Nacht gehört, drückt Louis dem Reporter gegenüber mit seinen ihm eigenen, wunderbar traurigen und sehnenden Worten aus:

Und ich sah zum letzten Mal die Sonne aufgehen. (…)Das Licht kam zuerst durch die obersten Scheiben der Glastüren, ein blasser Schein hinter den Spitzenvorhängen, und dann wurden die Flecken zwischen den Blättern der Bäume heller und heller. Schließlich leuchtete die Sonne voll durch die Fenster, und die Spitzen warfen ein Schattenmuster auf den Steinfußboden (…). Und ich fühlte sie auf meinen Händen, die auf der Bettdecke lagen, und dann in meinem Gesicht. Ich dachte über alles nach, was der Vampir mir erzählt hatte, und dann sagte ich dem Sonnenaufgang ‚Lebe wohl!‘ und ging davon, ein Vampir zu werden.“

Wahl, die ich nie hatte

150 Jahre danach sieht er im Kino in „Vom Winde verweht“ (1939) die Sonne wieder aufgehen, sieht 1978, wie Supermann auf der Leinwand der Sonne entgegenfliegt. Wie er da großäugig staunt und ehrlich warm ergriffen ist…man möchte Brad Pitt = Louis in den Arm nehmen und liebevoll streicheln. Auch, wenn der beißt.

Der Film endet mit der Heimfahrt des krass beeindruckten und leicht verstörten Reporters in seinem Auto, ein Ford Mustang, Cabrio. Hat was, passt in eine nostalgische Nacht. Lestat, der sich auf der Rückbank versteckt hat, schnellt vor, schlägt ihm die Zähne in den Hals und fühlt sich sichtlich großartig. Er übernimmt das Steuer, sagt zu ihm diesen einen Satz, den der Zuschauer zu Beginn schon mal gehört hat (Lestat zu Louis), – „Ich werde dich vor eine Wahl stellen, die ich nie hatte“ -, lacht und startet durch zu den himmlischen Höllenklängen von Guns N‘ Roses (Stones-Cover)

Das ist ein klasse Abgang und richtig gut.

Das Buch endet anders. Der Reporter macht sich auf den Weg zu Lestat.
Ende.

Das ist nicht so gut, aber Anne Rice fehlt leider die Musik zum Schluss:

Sympathy for the devil!
Besser ging’s dem Teufel nimmer.


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