Edgar Schumann liebte seine Helga. Sie erduldete es still, wenn er ihre Brüste ungestüm quetschte, als würde er Zitronen ausdrücken wollen. Er zerkaute ihre frisch frisierten, roten Locken, die nach seinem Apfelshampoo rochen, biss ungestüm in ihren Bauch und kniff in ihre Schenkel, wenn er auf ihr herumturnte, stets in der Hoffnung, sie würde bittebitte! nicht platzen wie Stefanie. Angst davor hatte er nur bedingt. Helga war ein zähes Prachtweib.
Stefanie hatte er günstig erstanden, eine Zuckersüße mit Karamellhaut. Seine Steffimaus. Wie sehr er sie geliebt hatte. Eine wahre Schönheit. Aber eben ein Sonderangebot. Keine Leidenschaft für die Ewigkeit. Viel zu schnell verpufft war ihre pralle Wonne, sie wurde immer schlapper und seufzte tief, als er sie mit seinem Oberkörper platt wälzte. Fürchterlich erschrocken hatte er sich. Heulte wie ein Baby. Ärgerte sich über sich selbst. Was war er auch so hemmungslos, so grob gewesen. Nie würde er die gemeinsamen Stunden vergessen, schwor er sich feierlich. Rieb seine Hände mit Fichtennadelöl ein und stopfte Stefanie betrübt in den Müllsack. Noch in derselben Nacht, in der das Unglück geschehen war, bestellte Edgar sich die rothaarige Helga. Es kam ihm nicht wie Verrat vor. Das Leben, sein Leben, prinzipiell streng geordnet, ging schließlich weiter. Und ihm fehlte die Frau.
Acht Tage wartete Edgar auf sie. Er war nervös, er musste raus. Bloß nicht unter Menschen, die ihn mustern würden. Oder gar ansprechen. Sie wollten nichts Gutes von ihm. In Kneipen ging er nie. Die Leute dort hassten ihn. Sie kannten ihn nicht, aber er wusste, dass sie ihn hassten. Edgar ging zum Bahnhof. Zweimal. Einmal in den Park. Einmal in die Drogerie. Er kaufte Fichtennadelöl und Apfelshampoo. Und Fichtennadelschaumbad für den Fall. Die restliche Zeit blieb er zuhause. Dann war die Wartezeit um. Er hatte aufgeräumt, geputzt, geduscht, sich sorgsam eingeölt. Gut riecht es hier, fast wie im Wald, dachte er zufrieden. Den anderen Geruch merkt man gar nicht.
Als der Paketbote klingelte, war Edgar noch nicht angezogen. In seinen alten, karierten Frottebademantel eingewickelt stand Edgar etwas beschämt an der Tür und nahm Helga in Empfang. Der Bote grinste ihn frech an. Edgar war sich sicher. Der Kerl lacht mich aus.
„Ist irgendwas?“, fragte Edgar ihn gereizt. „Was soll sein?“ Der Mann zuckte mit den Achseln. Viel zu gelassen. Der hasst mich. Edgar bohrte seine Hände tief in die Taschen seines Bademantels. Nur nicht provozieren lassen. „Sie grinsen. Lassen Sie das.“
„Mit Sicherheit nicht. Aber von mir aus. Nur kein Stress.“
Er lächelte Edgar unverschämt an, dann ging er einfach. Edgar sah ihm empört nach. An der Treppe drehte der Bote sich noch einmal zu ihm und sagte: „Bei Ihnen riecht’s komisch.“
Das geht nicht. Das weiß der nicht. „Ja. Nach Fichtennadel. Arschloch!“ Edgar warf die Tür ins Schloss. Er zitterte am ganzen Körper. Atmete tief durch. Helga war da. Sie zählte.
Helga war Qualitätsarbeit. Fett und robust. Blaue, dumme Augen. Dumm waren sie immer. Unwichtig. Helga war stabil und schön. Recht teuer, aber „unkaputtbar“. Das hatte ernsthaft unter ihrem Bild in der Beschreibung gestanden. Edgar war kein Idiot. Früher oder später würde auch sie nachlassen. Eine Vorstellung, die Edgar jetzt schon quälte. Es gab andere, natürlich, niemand würde ihm den Spaß an der Sache nehmen können, aber Edgars Schwäche für Helga war diese eine besondere Zuneigung. Vielleicht, weil sie ihn an die rothaarige Frau auf der Parkbank am vergangenen Freitag erinnerte. Das war einen Tag, bevor Helga kam. Die Frau ging mit ihm, nachdem er ihr mit klopfendem Herzen ein paar Scheine gezeigt und ihr versprochen hatte, Schnaps für einen gemütlichen Abend zu besorgen. Er machte so was nur widerwillig, grundsätzlich sollte man nicht für Liebe bezahlen.
Recht betrunken war sie gewesen. Ziemlich hübsch, eher wohl Durchschnitt, aber ein Adonis war auch er nicht, und was seinem Anspruch genügte, war dick und vollbusig mit blauen, dummen Augen. Zu seiner Freude hatte sie diese herrlichen roten Locken, die auch Helga haben würde. So was konnte man sich wünschen, es war im Preis inbegriffen wie auch der Duft. Zitrone mit Erdbeere. Seine Wahl. Das Aroma würde sich rasch verflüchtigen. Aber er hatte das Fichtennadelöl. Besser ging es eh‘ nicht.
Edgar erinnerte sich gern an diese hübsche, besoffene, dummäugige Frau mit dem französischen Vornamen. Chantal. Honigfleisch. Ein guter Puppenname. Helga gefiel ihm aber besser. Insgeheim bezeichnete er Helga als seine Nummer Fünf, aber das würde er in ihrem Beisein nie laut aussprechen. Er fand das vom Grundsatz her verletzend. Irgendwie pietätlos. Er hätte die Zahl auch nicht erklären wollen, er wäre verlegen geworden. Wenn seine Mutter mal käme und das wüsste, würde sie ihm sagen, dass sie an alldem keine Schuld trüge. Vielleicht würde sie ihn schütteln und beschimpfen. Oder schlagen. Das könnte er nicht ertragen, da würde er sich nicht mehr kontrollieren können. Wieso überhaupt Schuld und schlechtes Gewissen? An ihm war nichts verkehrt. Fünf Frauen. Wenn schon. Er war erst dreiunddreißig. Da hätte er mehr haben dürfen.
Sein Nachbar Stoiberhoff zog ihn immer auf. „Keine kennengelernt am Wochenende, Eddi? Wieder nur die Glotze an? Mach endlich mal was aus dir, Mann. Such‘ dir mal Abwechslung.“
Stoiberhoff hatte keine Ahnung.
Edgar machte natürlich was aus sich. Er zog sich chic an, gelber Pullunder und rote Lederslipper, strich sich Butter ins Haar, rieb sich die Zähne mit einem Küchentuch ab und tanzte mit Helga. Tangas hatte er mal ausprobiert, aber die waren unbequem. Die großen Unterhosen mit dem Eingriff fand er praktischer.
Und wie herrlich er schwitzte, wenn er Foxtrott tanzte. Ein Stern, der deinen Namen trägt…Was für eine Musik, was für ein Himmel. Wie wundervoll alles nach Schweiß und Fichtennadel roch. Edgar sah sich als Rose zwischen Helgas Lippen, als nassen Ton in den Händen einer willigen Töpferin, und er stieß mit seiner Zunge in ihr Hirn, um sie denken zu lassen. Dachte sich selbst in sie hinein, blickte Helga zärtlich an und lutschte ihren kalten Nacken. Wanderte weiter. Pinkfarbene wulstige Lippen, Brüste, die exakt passten, rechts in die eine, links in die andere Hand. „Tittchenspielchen“, kicherte er, kam sich dreist vor und genierte sich. Kurz nur, dann war er wieder bei der Sache. Lutschte an ihr, biss und knautschte sie und war zufrieden. Sie roch wunderbar.
Ihr Duft stieg ihm in die Nase und lenkte ihn für einen köstlichen Moment gefälliger Hingabe von diesem anderen Geruch ab, der ihn störte. Sogar empfindlich störte. Vor dem Paketboten, diesem ekelhaften Schnüffler, hätte Edgar natürlich nichts zugegeben. Dass es bei ihm nicht nur intensiv nach Fichtennadel und auch ein bisschen Apfelshampoo roch, sondern eben auch nach etwas Eigenartigem. Nach etwas Unangenehmen, das nicht passte, nicht dahin gehörte. Edgar verscheuchte die fiesen Bilder. Wegwegweg. Er sah sich und Helga gemeinsam im Spiegel am Kleiderschrank, betrachtete beinahe erstaunt die beiden nackten Fremden, kniff fest die Augen zusammen und sagte: „Pfui. Weg.“ Öffnete die Augen wieder, atmete tief, hätte kotzen können. „Es stinkt,“ schrie er, „Schimmel in den Wänden wäre normal. Nichts ist normal. Hier ist nichts mehr gut.“
Edgar hätte nicht gedacht, dass alles so schnell gehen würde. Er lauschte panisch. Summen da Fliegen? Es schauderte ihn.
Der Film, den er neulich nachts gesehen hatte, fiel ihm ein. Ein furchtbarerer Film mit einem ganz schrecklichen Kerl. Der Typ hatte sich um den Gestank in seiner Wohnung nicht geschert. Alkoholiker, klar. Dem war das scheißegal gewesen, zugedröhnt mit Schnaps. Edgar trank nicht.
Er griff nach dem bestickten Taschentuch, das zerknüllt am Fußende des Bettes lag, und warf es in den Wäschekorb. Edgar besaß mindestens drei Dutzend von den großen Stofftaschentüchern mit seinem von Veilchen und Rosen umkränzten Monogramm, Geburtstagsgeschenke seiner Mutter, die kopfschüttelnd stickte und sich über ihn beklagte. „Machst mir nur Kummer, Eddie.“ Edgar kränkte das maßlos. Er machte keinen Kummer. Er machte gar nichts. Er wollte seine Ruhe.
Seine weißen, bestickten Taschentücher waren mittlerweile gelbstichig, aber wen interessierte das? Edgar säuberte Helga, verteilte Öl auf ihrem hinreißenden Körper und schämte sich dafür, ihre Frisur durcheinander gebracht zu haben. Die Locken waren ganz zerzaust. Aber er hatte ja dieses bunten Plastikwickler. Wie seine Mutter. Die trug ihr Haar immer ordentlich gelegt.
Edgar sah sich in der Wanne liegen. Fichtennadelschaumbad. Jeden Samstagabend. Bis er dreißig wurde und bei seiner Mutter auszog. Das war spät, aber sie hatte ja nur ihn. Er sah sich dort im Schaum liegen, derweil sie mit ihren Wicklern im Wohnzimmer unter der Haube saß, in Illustrierten blätterte und ihm zurief: „Spiel‘ nicht an dir ‚rum, Eddi. Sonst beiß‘ ich dir die Finger ab.“ Dann lachte sie. Er lachte auch, sie erwartete das wohl von ihm. Er lachte, bis er dreißig wurde. Tauchte, nachdem er genug gelacht hatte, seinen Kopf unter Wasser, lag ganz still und zählte langsam : Eins, zwei, drei…Bei elf kam er wieder hoch, schnappte nach Fichennadelluft und dachte: Wenn ich einfach weiterzählen würde, wäre ich irgendwann tot.
Edgar war rückblickend ein braver Junge. Manchmal besuchte er die Kaninchen in Pohlmanns Schuppen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, die ihn anstarrten. Er streichelte sie und gab ihnen Karotten, obgleich ihm klar war, dass er ihnen nichts bedeutete. Sie hassten ihn. Vermutlich. Warum eigentlich?
„Was glotzt ihr mich so frech an?“, fragte er sie laut und versuchte, gefährlich zu klingen. „Ich könnte euch töten, wisst ihr das?“
Edgar tat ihnen aber nichts an. Er hätte sich auch nicht gut gefühlt dabei, er mochte Tiere. Sein Vater versprach ihm einen Hund, da war er vier. Als er fünf war und im Fichtennadelschaumbad lag, versuchte sein Vater, ihn in der Wanne zu ertränken Er drückte seinen Kopf unter Wasser, und Edgar dachte, er mache nur Spaß, aber er drückte immer fester und hätte ihn wohl auch nicht frewillig wieder losgelassen. Er zog er ihn dann doch wieder hoch, weil Edgars Mutter dazugekommen war. Sie tobte und zerrte an ihm und schrie: „Was machst du mit dem Jungen? Dafür kommst du ins Gefängnis.“ Und er schrie zurück: „Wenn schon, ich wollte ein Mädchen.“
So war das gewesen, Edgar hätte es beschworen, doch niemand wollte wirklich etwas wissen. Seine Mutter meinte, dass der Vater schrecklich krank sei und ein versoffener Versager obendrein, aber sie stellte ihm weiterhin Bier kalt, bis er einen Tages weg blieb und nicht mehr wiederkam. Edgar fragte sie nach dem versprochenen Hund, er war in Sorge, sie könnte vergessen, dass er einen bekommen sollte. Sie sagte: „Davon war nie die Rede.“
Edgar sprach nicht mehr darüber. Zumindest brauchte er sich keine Gedanken mehr darüber zu machen, ob der Hund ihn überhaupt hätte leiden können. Wenn er ihn angeknurrt hätte, gar gebissen. Ich hätte dich wohl totmachen müssen, dachte er. Lieber nicht.
Nachbar Stoiberhoff hatte eine Katze. Gelb und böse. Die hockte im Treppenhaus und fauchte Edgar an, wenn sie ihn sah. Edgar fiel dann immer der Hund ein, den er nie besessen hatte. Sein Hund hätte die Katze für ihn erledigt.
Stoiberhoff besaß auch eine Wanne. Die gab es in Edgars Badezimmer nicht, es war nicht geräumig genug, da war nur eine Dusche. Stoiberhoffs Wohnung war insgesamt größer, natürlich auch teurer, eine mit Keller. Edgar brauchte keinen. Ihm genügte die Abstellkammer. Er hatte sie ausgeräumt, um Platz zu schaffen. Der Staubsauger, das ganze Putzzeug, die schwere Werkzeugkiste und sein Koffer waren in der Küche untergebracht. Da gehörten die Sachen nicht hin, aber es war notwendig, sie woanders zu deponieren. Das Regal für die Konserven in der Kammer störte nicht. Es stand an der hinteren Wand, Edgar setzte die Frauen einfach davor. Drei waren es. Ilona, Katja und Chantal.
Die Frauen saßen dort bei ihm auf dem Boden in der Kammer und kippten gottlob nicht um. Er guckte zwischendurch nach ihnen, sie sollten bloß nicht umfallen, das wäre ihm nicht recht gewesen. So sitzend sahen sie aus wie Puppen, damit kam er klar. Lieber noch hätte er sie hingelegt, aber das passte alles mit der Tür nicht, er hatte es versucht, es ging nicht. Die Beine waren komplett im Weg. Er besaß auch kein gescheites Werkzeug, um da was zu kürzen. Wegschneiden, Weghacken…wobei allein die Vorstellung ihm eisige Schauer über den Rücken jagte. Edgar traute sich auch nicht, an ihnen herumzumanövrieren, das Geräusch von knackenden Knochen hätte ihn hysterisch losschreien lassen.
Der Säufer in dem Film, Honka hieß der, war da nicht pingelig gewesen. Der hatte die Frauen einfach zersägt, Stück für Stück in den Müllsack gestopft und ab damit in den Bretterverschlag. Widerlich, dachte Edgar, ganz widerlich, sowas könnte ich nicht.
Edgar schüttelte sich angeekelt, betrachtete versonnen Helga, die auf seinem Bett lag und so wundervoll nach Fichtennadelöl roch, strich ihr sanft über die vollen Brüste und den herrlich gewölbten Bauch. Er dachte wieder an Chantal. Seine letzte vor Helga. Gleicher Typ. Hätte er sich wahrhaftig kneifen können. Zwei Versuche wären genug gewesen. Aber nein, du musstest ja, warum musstest du denn, Eddie? Er kam sich wie ein dreckiger Lump vor.
Chantal saß ganz vorn in der Kammer, sie war die Frischeste und immer noch nett anzusehen. Rechts dahinter saß Lona, links in der Ecke Katja. Die hatte er zuerst angesprochen, das war am Bahnhof, nach dem entsetzlichen Malheur mit seiner Stefanie.
Chantal hatte ihn an Ilka Hommberg erinnert. Lange her. Keine Liebe. Nur ein Lied. On The Street Where You Live, Rosalie…Nur ein Lied. Und Ekel.
Edgar kannte Ilka Hommberg von der Arbeit im Bretzmann-Papier-Lager, sie war eine der Reinigungskräfte, die kurz vor Feierabend kamen und mit den Männern eine rauchten, bevor sie anfingen. Edgar rauchte nicht, aber er stellte sich immer dazu. Sagte nichts und fühlte sich als einer von ihnen, obwohl niemand direkt mit ihm sprach. Sie nahmen ihn hin, er war der Eddie Dingsda, das machte ihn wütend. Aber er blieb ruhig. Edgar war für die großen Pappkartons zuständig. Sortieren, Stapeln, Zerschneiden. Der Job gefiel ihm. Diese Hommberg gefiel ihm auch. Sie war klein und korpulent, blondes, kurzgeschnittenes Haar, pinkfarbener Lippenstift, blaue Augen. Dummer Blick, natürlich, kein anderer Blick, der hätte ihn nur irritiert.
Auf der Betriebsfeier küsste sie ihn beim Foxtrott auf die Stirn. On The Street Where You Live, Rosalie…wird nur die Stirn geküsst. Das erschien ihm viel zu harmlos, das war, als würde seine Mutter ihm mit Spucke den Puddingrest aus dem Gesicht wischen. Edgar stellte sich vor, sie würde fleischfarbene Unterwäsche tragen. Wenn das wahr wäre, Gott, lass es wahr sein.
Weil alle betrunken waren und niemand auf ihn und die Hommberg achtete, wagte Edgar es, sie zu fragen, ob sie mal mit ihm ausgehen würde. Sie lehnte ab, das tat weh, küsste ihn später aber dann doch einmal richtig. Ilka Hommberg schmeckte nach Schnaps und Mitleid. Eine abscheuliche Kombination. Er hätte ausspucken können. Edgar schmeckte den unerträglichen Kuss noch Jahre später. Wie Galle stieß ihm die Erinnerung auf. Ich hätte sie töten sollen dafür.
Edgar küsste widerwillig. Den Frauen gab er Schnaps, den er für sie am Kiosk gekauft hatte, – die gute Marke, sonst wären sie vielleicht nicht mitgegangen – , dann machte er Musik an, tanzte mit ihnen und hoffte, sie würden ihn nicht küssen wollen. Warum auch? Man kennt sich doch gar nicht. Man mag sich doch gar nicht.
Dass er nicht mittrank, kümmerte keine. „Magenbeschwerden“, erklärte Edgar. Er ließ sie in seiner Wohnung rauchen. Die Heizung war voll aufgedreht, sie sollten schwitzen und sich ausziehen und anfassen lassen. Er tanzte wie ein Wilder, das konnte er, drehte sich, hüpfte und sprang. „Ich bin ganz aufgedreht“, erklärte er, wenn sie kicherten.
Als er sie dann sturzbetrunken im Bett hatte, brauchte er nichts mehr zu erklären. Auch nicht zu lügen. Es funktionierte nicht. Er erstickte sie mit seinem großen, roten Kissen, das musste sein, er schämte sich zu sehr, um sie lachend wieder gehen zu lassen. Er rieb sie aber sanft und geduldig mit Fichtennadelöl ein, gut riechen sollten sie zumindest, alles andere wäre ungezogen gewesen. Dann setzte er sie in die Kammer. Katja am Montag. Lona am Mittwoch. Chantal am Freitag. Am Samstag kam gottlob Helga, die ihm seine Verwirrung nahm. Erleichtert liebte er sie. So wunderbar unkomliziert. War doch klar, dachte er, es geht anders nicht. Ach, sie können ja nichts dafür. Nie werden sie was dafür können
Dieser Honka hatte alte Nutten umgebracht. Die von tief unten. Die sowieso Kaputten. Wo seine Frauen hergekommen waren, wusste Edgar nicht. Bestimmt auch von tief unten, dachte er.Das beruhigte ihn aber nicht. Sowieso kaputt! Egal. Kein Argument.
Er war’s. Er. Und sie stanken fürchterlich.
Edgar seufzte tief auf, strich mit den Fingerkuppen über Helgas herrliche Lippen und verließ sein Schlafzimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen. Auf dem Küchentisch, neben seinem Portemonnaie, stand die grüne Flasche mit dem Fichtennadelschaumbad. Ein gutes mit ätherischen Ölen für das perfekte Wohlgefühl. Im Radio spielten sie Oldies.
Yesterday klang aus, das bedauerte er, er hätte gern noch einmal zugehört. Vor sich hingeträumt. Sich weggeträumt. Er verstand kaum Englisch, das spielte aber keine Rolle. Edgar wollte nur fühlen. Und ein bisschen traurig sein. Er zog einen Zwanziger aus seiner Brieftasche, drückte sich die Flasche an die Brust, verließ die Wohnung, ohne die Tür hinter sich zuzuziehen. Sollen sie doch alle gucken kommen, dachte er, sollen sie doch ihre neugierigen Nasen hineinstecken. Es riecht nach Fichtennadel, ihr Arschlöcher.
Edgar klingelte nebenan bei Stoiberhoff, schluckte kurz, unbehaglich berührt, als der ihm öffnete, weil seine Bitte vermutlich völlig lächerlich in Stoiberhoffs Ohren klingen musste. Er holte tapfer Luft. „Darf ich ausnahmsweise mal deine Badewanne benutzen?“ Fragte das vermeintlich Lächerliche und fügte hastig hinzu: „Ich geb‘ dir einen Zwanziger dafür. Kaufst dir eine Kiste Bier. Ich brauch‘ auch nicht so lange. Schaumbad hab‘ ich mitgebracht.“
Stoiberhoff kratzte sich grinsend am Kinn. „Für’n Zwanziger willst du in meine Wanne? Von mir aus, du Spinner. Aber mach‘ voran.“
Stoiberhoff stellte tatsächlich keine Fragen, das war in Ordnung so. Er hätte ihn ja durchaus fragen können, was denn so verdammt wichtig an einem Bad in seiner Wanne sei. Das interessierte Stoiberhoff aber nicht. Ich interessiere ihn nicht, dachte Edgar. Natürlich nicht.
Die gelbe Katze saß auf der Kommode im Flur und starrte ihn an. Edgar ging hastig an ihr vorbei. Sie fauchte böse. „Ich weiß“, sagte er.
Edgar lag bereits in der Wanne, als Stoiberhoff an die Badezimmertür klopfte und brüllte: „Deine Wohnung stand offen, du Penner. Ich hab‘ zugemacht. Scheiße auch, bei dir stinkt’s wirklich, zieht bis in Treppenhaus.“
Edgar lachte. Tauchte, nachdem er genug gelacht hatte, seinen Kopf unter Wasser, lag ganz still und zählte langsam : Eins, zwei, drei…Bei elf kam er wieder hoch, schnappte nach Fichennadelluft und dachte: Wenn ich einfach weiterzählen würde, wäre ich irgendwann tot.
Er tauchte noch einmal.
(erschienen in: Zwielicht 17, 2022, Hrsg. Michael Schmidt und Achim Hildebrand)
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