Mother

Darren Aronofskys „mother!“

Am 5. September 2017 feierte dieses psychologisch herausragende transzendentale Drama Premiere. Es wurde bei den 74. Filmfestspielen in Venedig gezeigt. Am 14. September kam es zu uns in die Kinos. Nicht wenig Applaus, aber auch jede Menge Buh-Rufe hat es geerntet. Als misogyn oder platt-feministisch wurde es bewertet. Gar biblisch wurde es ausgedeuet.

Mother
©Paramount Pictures Germany

Aronofsky, der mit einer Filmografie aufwarten kann, die Perlen beinhaltet wie: Pi (1998), Requiem for a Dream (2000), The Fountain (2006) oder The Wrestler (2008), hat mit dieser erschütternden Home Invasion-Darbietung meiner Meinung nach sein absolutes Meisterwerk unter seinen Meisterwerken vorgelegt. Dem Post-Horror ist es zuzurechnen. Neben Jennifer Lawrence und Javier Bardem spielen nicht minder überzeugend Ed Harris und Michelle Pfeiffer. Einige Kritiker sahen in dem Film immerhin einen Oscaranwärter 2018 in mehreren Kategorien.

Was wir erleben, ist eine zweistündige, nicht enden wollende Eskalation mit stets zunehmender Dramatik. Es reicht nicht, eine kurze Inhaltsangabe im Klappentext zu geben, die da lautet:

Die Beziehung eines Paares wird auf eine harte Probe gestellt, als ungebetene Gäste in ihr Haus kommen und den friedvollen Alltag stören.

Denn das erzählt nur von einem kleinen Bruchteil der ganzen Wahrheit! Es benennt nur den Auslöser, nicht die beiden Gründe, die bei dem unverhofften Besuch entfesselt werden, nämlich: „Mother“ und „Him“.

„Mother“ & „Him“

Sie, handwerklich begabt, restauriert ihm, dem Schriftsteller, der an einer Schreibblockade leidet, das Haus seiner Kindheit, das er in einem Feuer verlor und sie ihm bereits wieder aufgebaut hat. Beide leben recht abgeschieden. Wir lernen das Haus mit dem Erwachen von „Mother“ kennen, entdecken Zimmer um Zimmer, indem wir ihr nah folgen. Wir sehen wie sie das Haus berührt, restauriert und spürt. Wir begegnen ihrem Mann, nehmen an der Konversation und Zärtlichkeit der beiden teil, werden Zeuge wie sie sich in ihre Arbeit, in ihr jeweiliges Lebenswerk zurückziehen. Doch die scheinbare Idylle der beiden wird je durchbrochen, als eines Tages ein Fremder (Ed Harris) vor ihrer Tür steht, ein Bewunderer ihres Mannes. Frau (Michelle Pfeiffer) und Söhne des Fremden folgen bald. „Him“, der von Anfang an den hereinfallenden Besuch begrüßt, nimmt kaum Notiz von den Andeutungen seiner Frau, der die Überfälle der Gäste zuviel sind, da sich diese über die Maßen neugierig verhalten, plump und sorglos mit dem Haus umgehen. So nimmt der Horror seinen Lauf. Es kommen mehr und mehr Menschen, die in das Heim der beiden einfallen, es nach und nach zerstören. Und das alles vor den Augen von „Mother“, die die Zerstörung ohne Unterlass zu verhindern versucht, stets Hilfe bei ihrem Mann suchend, dem der Schaden, den das Haus nimmt, offenbar nichts ausmacht, ebensowenig die Gefühle seiner Frau. Denn all jene, die da kommen, kommen wegen ihm, dem Schriftsteller, der aufgrund der Schwangerschaft seiner Frau wieder zur Inspiration gefunden und seine Schreibblockade überwunden hat.

Und obwohl wir die ersten Eindringlinge – gemeint sind „Frau“ (Michelle Pfeiffer) und „Mann“ (Ed Harris) – als Adam und Eva im Paradies von Gott („Him“) und Mutter Erde („Mother“) identifizieren können, und ihre Söhne als Kain und Abel, denn der eine erschlägt ja den anderen, erzählt diese Geschichte für mich nicht die Geschichte von Mann und Frau schlechthin. Sie erzählt vor allem von einem bestimmten gelebten Typus von Mann und Frau. Er, der Schriftsteller, verkörpert einen Künstlertypus, der durch die Bewunderung und das Fantum seiner Anhänger erst aufblüht. Er entspricht somit als Allegorie einem möglichen Gottbild, das wir haben können. Seine schöpferische Kraft aber wird erst durch „Mother“, durch sie als Lebensspenderin, durch das Geschenk eines Kindes entfacht. Das von ihr wiederbelebte, sanierte und restaurierte Heim stellt ihm hierbei den Grund, das Leben / eine Existenz als solches zu Verfügung. Dabei verkommt „Mother“ keineswegs zu einem passiven Typus von Frau, der sich nicht wehrt, obgleich sie der Zerstörung kaum eine adäquate Gegenwehr aufbieten kann, da sie von einer Katastrophe in die nächste läuft. Keine Pause wird ihr dabei gegönnt. Sogar ihr Kind gebiert sie innerhalb dieser um sie herum wütenden und lebensfeindlichen Zerstörung, die für ihn, „Him“, zu einem ihn zelebrierenden Kult geworden ist, den er feiert. Und so kann und konnte das Fremde und Zerstörerische eindringen in etwas, das Risse hat und offenbar schon hatte, das nicht ganz ein und eins ist, und es folglich offenbar nie gewesen war. Wie eine verletzte Haut, die zur Pforte für einen Virus wird, gegen den „Mother“ keine Abwehr haben kann, lässt „Him“ ihn doch ein. Es ist ein blinder Gott, der uns hier gezeigt wird, der „Mother“ gegenüber ebenso blind ist, wie seine Anhänger ihm blind folgen, während sie, die Liebende, eine Sehende ist, die mit allen Sinnen, mit Haut und Haar, Herz und Holz wahrnimmt, was mit ihr und dem Haus geschieht. Dies gelingt besonders dadurch, dass ihr die Kamera die meiste Zeit dicht über die Schulter schaut oder ihre Reaktionen auf das Geschehen durch die Nahaufnahmen ihres Gesichtes gezeigt werden.

Burning down the House

Was mich an diesem Film so dermaßen beeindruckt, sind weniger die Ideen der allegorischen Figuren, die abermals auf die Bibel referieren, als die schwindelerregende Rasanz, mit der es Aronofsky gelingt, diese Idylle – ein mit viel Kraft und Energie aufgebautes Leben – schmerzhaft konsequent in Schutt und Asche zu legen. Authentisch! Trotz des Stilmittels der ständigen und stets zunehmenden Übertreibung. Eine Rasanz, die es dennoch zulässt, uns mit „Mother“ zu identifizieren. Wir fühlen, wie tief die Wunden klaffen, die die Fremden ins Haus, in „Mother“ schlagen. Denn das Haus wird von ihr als ein ebenso lebendiges Wesen begriffen: „Mother“ ist das Haus : das Haus ist „Mother„. Hier wird dem Künstler als Schöpfer die Schöpfung der Mutter gegenübergestellt. Eine Schöpfung, die imstande ist, Leben zu geben, es zu erhalten und möglich zu machen. Die aber doch, konfrontiert mit der von ihrem Mann gebilligten zerstörerischen Gewalt seiner Anhänger, in die Knie gezwungen wird, trotz der immensen ihr gegebenen Kraft. Der brennende Künstler, das brennende Haus, die brennende Frau und ein neuer Tag, aus der Asche aufzuerstehen … zumindest für einen von beiden. Vielleicht eine Allegorie auf das, was das Leben ist, und wie es sich überhaupt erst grausam ermöglicht, ganz sicher aber auch eine Liebeserklärung auf ein lebenskonstituierendes Prinzip.


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