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W. H. Pugmire: Der dunkle Fremde

Vor einigen Jahren fragte ich Wilum „Hopfrog“ Pugmire per Mail, ob ich einige seiner Geschichten übersetzen dürfe und er antwortete, dass ich gerne alles von ihm übersetzen dürfe, was ich wolle. Gerne hätte er ein Büchlein seiner Geschichten in deutscher Sprache, von der er schwärmte, weil seine Vorfahren aus Deutschland gekommen waren. Allerdings, teilte er mir mit, seien bereits Freunde von ihm damit beschäftigt, ein Buch mit Übersetzungen auf den Weg zu bringen. Heute weiß ich, dass zumindest einer dieser Freunde Eric Hantsch war. Trotzdem gehörte ich zu Pugmires ersten Übersetzern, lange bevor „Der dunkle Fremde“ im Blitz-Verlag erschien, ein schön aufgemachtes klassisches Taschenbuch mit einem Titelbild von Björn Craig, übersetzt von Dr. Frank Roßnagel.

Natürlich weiß auch hierzulande jeder, der sich mit Lovecraftian Horror oder dem kosmischen Schrecken beschäftigt, wer Pugmire war. Viele lasen ihn bereits im Original, denn oftmals bleibt einem ja nichts anderes übrig. Übersetzungen der besten Horrorautoren sind bei uns nicht immer leicht zu finden.

Bevor wir uns die versammelten Geschichten in diesem Büchlein anschauen, müssen wir noch einmal zu Wilum zurück kommen, denn es gibt ja auch noch jene, die ihn nicht kennen und nie etwas von ihm gehört haben, oder vielleicht auch jene, die zögern, ihn zu lesen. Man mag vielleicht der Meinung sein, dass die Werke Lovecrafts völlig ausreichen (inklusive jener Erzählungen, die er im Verbund mit anderen Autoren geschrieben hat), da bräuchte man keine „Nachahmer“, von denen es ja viele zu geben scheint. Der wichtige Unterschied besteht jedoch darin, dass es zwischen Nachahmung und einer Tradition eine gewaltige Kluft gibt. Pugmire ist nämlich niemand, der imitiert, er ist nach August Derleth und Ramsey Campbell wohl derjenige, der das Schreiben in der Tradition Lovecrafts entscheidend mitbegründet hat.

Hopfrog

Pugmire war lange Zeit ein Brieffreund Robert Blochs, dem berühmten Autor von Psycho und selbst langjähriger Brieffreund von H. P. Lovecraft. Dieser Kontakt brachte Pugmire dazu, schreiben zu wollen. Das ist um so erstaunlicher, als er sich eigentlich vorgenommen hatte, der nächste Boris Karloff zu werden und zunächst kaum überhaupt etwas las, sondern sich nur für die alten Horrorfilme interessierte. In Nordirland, wo Pugmire als mormonischer Missionar arbeitete, entdeckte er in einer Buchhandlung eine Anthologie mit der Lovecraft-Geschichte „Jäger der Finsternis“, die Bloch gewidmet ist. Und es war diese Widmung, die Wilums Aufmerksamkeit erregte, die Geschichte selbst aber aktivierte seine Fantasie. Er hatte den Cthulhu-Mythos für sich entdeckt und beschloss schnell, ihn sich anzueignen, genauer gesagt, er beschloss, „für immer im Schatten des Titanen zu bleiben“.

Doch Lovecraft ist nicht der Haupteinfluss seiner Prosa. Mit Shakespeare, Oscar Wilde und Henry James fließen weitere illustre Wortartisten in seine Arbeit ein, wobei Henry James seinen Stil wohl am meisten beeinflusst haben dürfte, während Wilde Pugmires Verständnis eines Künstlers entscheidend prägte. Es gibt nicht wenige Stimmen, die diesen Stil veraltet oder als viktorianisch bezeichnen, aber Pugmire ist stets darum bemüht, Schönheit durch literarische Kunst zu erschaffen. Es mag sein, dass ihn sein Stil manchmal beim Erzählvorgang selbst behindert, aber gerade durch seine extreme Individualität wurde er zu einer eigenständigen Kraft unter den Mythos-Schreibern, wo andere nur nachahmen.

Nyarlathotep

Nyarlathotep ist wahrscheinlich der Liebling eines jeden lovecraftianischen Schriftstellers. Der Mainstream ist in Cthulhu verliebt, aber die meisten Fans werden doch wegen der Menagerie seltsamer Kreaturen vom Mythos angezogen. Nyarlathotep ist ein Mann, der, so Lovecraft „aus Ägypten gekommen ist. Wer er war, konnte niemand sagen, aber er war von altem einheimischen Blut und sah aus wie ein Pharao.“ Den schlanken, dunkelhäutigen Pharao sah Lovecraft zuerst in einem Traum, in dem er als eine Art okkulter/wissenschaftlicher Schausteller auftrat, der mit seinen öffentlichen Ausstellungen Angst verbreitete, stets „seltsame Instrumente aus Glas und Metall“ kaufte und sie zu „noch fremderen Instrumenten“ kombinierte. Er wird auch als „gesichtsloser Gott“ oder „kriechendes Chaos“ in „tausend anderen Formen“ beschrieben, und andere Autoren haben es genossen, diese bunten Beschreibungen zu erweitern, aber Pugmires Interesse ist irdischer:

„Er ist cool“. Er ist unheimlich. Ich mag finstere Typen, weil sie irgendwie sexy sind. Versaut.“-
– W. H. Pugmire

Lovecraft hat den Sex in der Mehrzahl seiner Arbeiten ausgelassen, aber die Fans von Lovecraft werden bei Pugmire keinen Mangel an „Anzüglichkeiten“ finden. The Strange Dark One,  so der Titel der vorliegenden Sammlung im Original (was im Buch aus dem Hause Blitz leider nirgendwo vermerkt wurde; dafür aber bekommt man die Informationen auf der Webseite des Verlags) zeigt einige der vielen Avatare des gesichtslosen Gottes. Jede dieser Geschichten hat eine unbestreitbare Sinnlichkeit. Viele Autoren schreiben über das, was man sehen, hören oder berühren kann, aber Wilum beschreibt Geruch, Geschmack und spielt sogar auf einen sechsten Sinn an, indem er versucht, das auszudrücken, was er „The Outré“ nennt. In seinen Worten:

„Das Gehirn aktiviert und zeichnet unsere Sinne auf. Wenn wir vom Seltsamen oder der Außenwelt angegriffen werden, wirkt sich das auf unsere Psyche, unser Seele und unser Fleisch aus. Das Outré wird mit allen Sinnen erlebt und kann sogar Sinne auslösen, von denen wir nicht wissen, dass wir sie haben, was zu einer anderen Art von Bewusstsein führt, einer Realität, die nicht vollständig ergründet werden kann, über die wir uns aber vage bewusst sein können.“

Das Sesqua-Valley

Lovecrafts Geschenk an das menschliche Bewusstsein war das Necronomicon, ein Sammelbecken für arkanes und kosmisches Wissen. Pugmire schenkt dem Mythos das „Sesqua-Tal“, ein verstecktes Tal, eingebettet in das Waldgebiet eines zweigipfligen Berges, schlummernd unter einem schwach leuchtenden Himmel und einem gelben Mond. Als Kind verbrachte Pugmire viel Zeit in North Bend im pazifischen Nordwesten der Vereinigten Staaten und war vom Mount Si fasziniert. Als er sich entschied, Lovecraftian Horror zu schreiben, erinnerte er sich an Ramsey Campbell und schickte Geschichten an August Darleth, die in Arkham und Dunwich spielten. Darleth gab ihm den Tipp, seine eigenen Städte in einer Umgebung zu schaffen, die er kennt. Campbell erfand seine britischen Orte, also dachte Wilum, dass sich der Nordwesten dafür ebenfalls eigenen würde. So kam ihm North Bend in den Sinn.

Sesqua ist inspiriert von North Bend. Zuerst war es nur ein Schauplatz für typische Mythos-Geschichten, aber als Wilums Schreiben erwachsener wurde, wurde es zur Heimat seiner eigenen originellen und dauerhaften Ideen.

Das Tal könnte auf einer Karte gezeigt werden, allerdings nur der kleinen Teil, wo das Tal beginnt. Tatsächlich nämlich ist es mehr ein Fenster, eine Tür oder viele Türen, die sich zu den grenzenlosen Träumen des Autors hin öffnen.

Die Bewohner des Sesqua-Tals bestehen aus exklusiven Personen, die Fremden misstrauen. Alle Siedler teilen das Geheimnis der wahren Natur des Tals. Die Bürger haben Kenntnis von einigen Dingen im Zusammenhang mit den Urgöttern, so dass jeder im Dorf weiß, wer Nyarlathotep ist, was das Buch Eibon ist und was die Shoggoten sind, die in der Nähe des Dorfes erscheinen. Alle Touristen, die das Tal rund um das Dorf betreten, werden verrückt, werden getötet oder vom Tal selbst verzehrt. Hingegen wird jeder, der mit übernatürlichen Kräften und älteren Wesenheiten zu tun hat, vom Sesqua-Tal angezogen, ohne zu wissen, warum.

Es gibt ein Schattenreich, eine eigene Domäne, die von schattenhaften Kreaturen bewohnt wird, die einen Weg in unsere Welt gefunden haben. Aber sie mussten geführt werden. Die erste Person oder Kreatur, die herausgefunden hat, wie man die Grenze überschreitet, war Simon Gregory Williams, dem wir auch gleich in der ersten Geschichte „Ein Fenster zwischen den Welten“ begegnen. Simons Gesichtszüge offenbaren bis ins kleinste Detail seine unmenschliche Qualität. Zwar haben alle Schattenbewohner die Fähigkeit, ihr eigentliches Aussehen zu tarnen, aber Simon verherrlicht seine grotesken Züge und mag es, wenn die Menschen von seinem monströsen Gesicht schockiert sind. Mit seinem breitkrempigen Hut und flotter Garderobe erscheint er wie eine Mischung aus Oscar Wilde und Doktor Faust, der alte Wälzer und wurmgetränkte Zauberbücher für seine magischen und bösartigen Praktiken sammelt.

Acht Stories

Pugmire ist mehr ein Prosa-Poet als ein klassischer Erzähler. Auf kurzer Strecke schafft er es durchaus, eine gewisse Stimmung zu erzeugen, die längeren Texte scheinen ihm aber Mühe zu machen, oder vielmehr dem Leser. In der ersten Geschichte beschließt die Enkelin eines Buchhändlers, die nach dem Tod ihres Großvaters das Geschäft übernommen hat, einige seiner alten Bücher an einen Mann aus dem Sesqua-Tal zu verkaufen. Was sie findet, beunruhigt und verzaubert sie zugleich. Der morbide Zauber des Sesqua-Tales hat in dieser längsten Geschichte der Sammlung Vorrang und führt gut in den Pugmire-Kosmos ein. Hier werden die Schattenbewohner skizziert, es dreht sich immer wieder um alte Bücher und schließlich entdeckt die Protagonistin einen Schrein für Nyarlathotep.

Wenn man sich einen Überblick über die hier enthaltenen acht „Geschichten“ macht, die lose zusammenhängen, dann findet man in diesem Buch einige interessante Begebenheiten und manchmal ist Pugmires überhöhte Sprache auch effektiv. Wenn es die Handlung jedoch erfordert, die Bewohner aus dem Sesqua-Tal miteinander agieren zu lassen, passen die Dialoge nicht mehr richtig ins Bild. Denn Wilum schraubt auch die wörtliche Rede nach oben. Das behindert in manchen Fällen das Gefühl des Staunens, weil es ja eigentlich die Dissonanz im Nebeneinander von Gewöhnlichem und Außergewöhnlichem ist, das dieses Gefühl überhaupt erst auslöst. Befindet sich alles auf dem gleichen Sprachniveau, erzeugt das eine etwas monotone Qualität, ähnlich wie Musik, der man die Dynamik nimmt.

Als Einführung in die Gedankenwelten Pugmires ist dieses Büchlein jedoch eine ausgesprochen gute Wahl.


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