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Jim Butcher: Geistergeschichten (Die dunklen Fälle des Harry Dresden 13)

In der Dresden-Files-Reihe sind wir nun bei Buch 13 angekommen und im Gegensatz zu vielen langlebigen Serien, die sich irgendwann in Wiederholungen ergeben und nicht wissen, wie sie weitermachen sollen, ist das für Jim Butcher überhaupt kein Problem. Von Beginn an, namentlich der Sturmnacht, zieht Butcher sein Projekt hoch und wird von Buch zu Buch besser, bis er irgendwann ein Plateau erreicht, auf dem die besten Teile miteinander tanzen, ohne sich etwas zu nehmen. Wer vielleicht nur das erste oder zweite Buch gelesen hat, wird kaum verstehen, warum die Dresden-Files das beste sind, was die Urban Fantasy zu bieten hat. Das mag daran liegen, dass Butcher die Welt, mit der wir es hier zu tun bekommen, sorgfältig vorbereitet. Die Leser werden nicht einfach in irgendetwas hineingeworfen, das sie dann mühevoll herausfinden müssen. Alles beginnt interessant und spannungsgeladen, aber noch nicht auf dem höchst möglichen Niveau. Doch darüber sind wir längst hinaus, und so ist Geistergeschichten ein weiteres Monument der Saga um den unaufhaltsamen Magier aus Chicago. Wobei… unaufhaltsam? Nicht ganz, denn Harry Dresden ist tot. Er starb im letzten Band Wandel.

Im Laufe von 13 Romanen, in einem sich ständig erweiternden Universum von Magiern, Vampiren, Dämonen, Mystikern und Feen, hat sich Dresden im Umgang mit den Gesetzen der paranormalen Welt ziemlich gut bewährt. Früher hatte er ein ganz normales Büro, in dem Klienten erschienen (übernatürliche und andere), die ihn darum baten, den Müll, der seine Stadt bedrohte, aus dem Weg zu räumen. Und Harry rettete am Ende des Tages wieder einmal die Welt. Für Harry lief alles mehr oder weniger wie immer – mit anschwellender Tendenz zum unmöglichen. Bis zu seinem Mord.

Als Geist bekommt Harry die andere Seite von Chicago zu sehen. Es ist eine Seite, die in den 13 Romanen von zwar mehrfach erwähnt, aber nie vollständig beschrieben wurde. Dieses Zwischenspiel bietet dem Autor die Möglichkeit, seine Welt aus einer anderen Perspektive zu betrachten und einen neuen Bogen für die Serie zu schlagen. Auf der anderen Seite trifft Harry auf alte Freunde, die ihre „Fleischanzüge“ schon vor langer Zeit aufgegeben haben. Es gelten neue Regeln, wenn man nicht mehr körperlich anwesend ist, aber mit der Zeit und ein wenig Übung gelingt es Harry, seine neu gewonnenen Fähigkeiten genauso zu beherrschen wie die Magie, die er zu Lebzeiten zur Verfügung hatte. Diese Parallele zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Ironischerweise erfahren wir erst jetzt, da der Held tot ist, wie er zu dem Mann wurde, der er einst war. Und das ist sicher eines der zahlreichen Highlights hier.

Im Leben und im Tod, bei jeder Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, gibt es einen Raum für das Bedauern: für Verlust, für Leid, für Schmerz und Versagen. Im Laufe von Geistergeschichten findet Harry heraus, wer und was er ist, und vor allem, was er getan hat. Die Menschen in seinem Leben, seine Erfahrungen mit ihnen sind unauslöschlich. Sie haben ihn beeinflusst, so wie seine Anwesenheit auch sie beeinflusst hat. Als er sechs Monate nach seinem Tod nach Chicago zurückkehrt, mag es Harrys oberstes Ziel sein, seinen Mörder zu finden, doch sein unveränderliches Ziel ist es, diejenigen zu schützen, die ihm wichtig sind. In der kurzen Zeit, in der er „nicht anwesend“ war, hat sich viel verändert, und zwar nicht zum Besseren. Seine langjährige Freundin Murphy hat wegen Harry ihren Job bei der Polizei verloren. Sie ist abgehärtet, fast rücksichtslos in ihren Urteilen und tut alles, was nötig ist, um die nächtlichen Bedrohungen einer Stadt im Niedergang zu bekämpfen. Molly, Harrys Lehrling, wurde gezwungen, die Verantwortung eines vollwertigen Magiers zu übernehmen. Sie ist unvorbereitet, ihr Verstand ist angeknackst, und sie wird dazu getrieben, die Gesetze der Zauberer und der Menschen zu missachten.

Andere langjährige Fan-Lieblinge wie die Alphas (ein Team von Werwölfen), Father Forthill (ein Priester mit einem tiefen Verständnis für das Paranormale), Daniel Carpenter (der riesenhafte Bruder von Molly) und Butters, der Gerichtsmediziner, tauchen alle in dieser Geschichte wieder auf. Und der Geisterflüsterer Mortimer Lindquist spielt sogar eine Hauptrolle und es wird klar, dass Harry sich auch in ihm geirrt hatte. Und auch wenn sein Bruder Thomas oder Gentleman Marcone nicht als handelnde Figuren dabei sind, werden sie zumindest erwähnt und wir wissen, was sie gerade tun.

Eine gefährliche Nekromantin kehrt zurück, um sich an den Seelen der Toten zu laben. Kleine Zauberer führen Banden von Kindern an und versuchen, die Machtlücke zu füllen, die mit der Vernichtung des Roten Hofes der Vampire einhergeht. Da Harry nicht in der Lage ist, sich durch seine Feinde zu prügeln, muss Harry seine Probleme mit anderen Mitteln lösen. Er hat mehr Zeit zum Nachdenken während er versucht, sich mit den Ereignissen zu versöhnen, die zu seiner aktuellen Krise geführt haben. Nachdem eines ihrer Teammitglieder bei einem Angriff auf ihr Haus verletzt wurde, ist Murphy bereit, erst zu schießen und dann Fragen zu stellen.

Offenbar war dies die Rolle, die Harry bis dahin eingenommen hatte. Es war die Rolle, die schließlich zu seinem Tod führte. Da Harry die Attentäter aufspüren kann, bekommt er Einblick in eine Situation, die er selbst gut genug kennt. Die Kinder, die dieses Attentat verübten, wurden von einem zweitklassigen egomanen Magier dazu gezwungen. Harry hat Mitleid mit ihnen, Murphy allerdings nicht. So entsteht fast ein Rollentauch, den in den vorherigen Büchern war es stets Murphy, die Harry bremsen musste.

Harrys Unfähigkeit, zu handeln, gibt ihm die Möglichkeit, seine Prioritäten neu zu überdenken. Nachdem ihm sein eigenes Leben genommen wurde, empfindet er eine neue Verachtung für diejenigen, die andere kontrollieren und ohne Rücksicht töten:

„Wenn man jemandem den Willen nimmt, nimmt man ihm damit die Identität. Das ist schlimmer als Mord, denn wenn man jemanden umbringt, leidet dieser Mensch wenigstens nicht mehr.“

Während Harry sich langsam weiterentwickelt, bleiben seine Welt und seine Gegner weitgehend gleich. Genre-Literatur hat das wenig beneidenswerte Ziel, die Erwartungen der Fans zu erfüllen. Die Fans erwarten bestimmte Elemente und Charaktere: eine Prise übernatürliche Action, einige witzige Bemerkungen und Anspielungen auf die Popkultur, eine ständig wachsende und verschlungene Mythologie und eine Reihe von Figuren, die ihnen vertraut, wenn auch nicht immer sympathisch sind. Die Veränderung von Harrys körperlichem Zustand ändert nicht viel an seiner Persönlichkeit oder seinem detektivischen Konzept. Er ist vielleicht ein bisschen introspektiver als im ersten Buch, eine natürliche Entwicklung des Älterwerdens, aber er ist immer noch derselbe Klugscheißer. Es gibt neue Hindernisse, die es zu überwinden gilt, neue Methoden im Umgang mit Widersachern, aber nichts allzu Radikales. Diejenigen, die die Serie bereits verworfen haben, werden hier wahrscheinlich nichts finden, was sie wieder anlockt; bei so viel Hintergrundgeschichte sollten diejenigen, die die Dresden-Files noch nicht kennen, woanders anfangen. Für die Anhänger der Serie dürfte es ein angenehmes Vergnügen sein, zu sehen, dass die Serie eben nicht einfach mit dem Tod des Helden endet. Der Fortgang der Handlung fühlt sich eher wie ein Seitenschritt als ein Sprung nach vorn an. Trotz der unklaren Position des Helden ist es klar, dass diese Serie weiterleben wird, solange die Fans zufrieden sind.


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