Maupassant

Guy de Maupassant

Guy de Maupassant

Maupassant kümmerte sich nicht um die Ansprüche der Bourgeoisie oder um ein ordentlich geführtes Leben, das für ihn voller Fäulnis war. Ganz bewusst hat er den Schein und den Trug bürgerlicher Etikette aufgezeigt, durch seine Prosa wie durch seine Persönlichkeit. Allerdings hat ihn das auch sein Leben gekostet. 1893 starb er geistig umnachtet in seinem 43. Lebensjahr. Zu Lebzeiten genoss er den zweifelhaften Ruf, ein rücksichtsloser Verführer von Frauen zu sein, der jeden zu seinem Vorteil manipulieren konnte. War Maupassants Haltung ironisch, pessimistisch oder nur schockierend?

1850 wurde er geboren und hatte zeitlebens eine Abneigung gegen jede moralische Etikette. 1857 wurden Flaubert und Baudelaire vor Gericht gestellt, weil sie den öffentlichen Anstand durch Bücher wie „Madame Bovary“ und „Die Blumen des Bösen“  beschädigt hatten. Flaubert nahm den jungen Maupassant später unter seine Fittiche und ermutigte ihn in der sanften Kunst des bürgerlichen Betragens. Sie besuchten ein Bordell, und der junge Guy, völlig sexbesessen, brauchte keine weiteren Zusprüche. Flaubert – der sich für alle Gedanken züchtigte, die ihn von der Muse ablenken könnten – versuchte, seinen Freund zurückzuhalten, aber endlose Ratschläge über die klösterliche Rolle des Künstlers stießen bei  Maupassant auf taube Ohren.

Er konnte jedoch nicht vor seiner Mutter Laure entkommen. Maupassant identifizierte sich so stark mit ihr und so wenig mit seinem Vater, dass er oft nicht glauben konnte, dass er der Sohn seines Vaters war. Gustav war ständig untreu und konnte gewalttätig sein – und als Guy 11 Jahre alt war, brachte Laure die Kinder in den modischen normannischen Ferienort Étretat. „Nach diesem Tag veränderte sich für mich alles“, schrieb er. „Ich hatte einen Blick auf die andere Seite der Dinge geworfen, die schlechte Seite, und ich habe die gute Seite seitdem nicht mehr gesehen.“

Obwohl „Der Horla“ zu seinen bekanntesten Geschichten gehört, handelt es sich bei der titelgebenden Figur um ein wiederkehrendes Motiv, nämlich immer dann, wenn Einzelgänger auftreten, die sich nicht mit der Gesellschaft im Einklang befinden. Sie hören Schritte und werden bald mit einem geisterhaften Anderen konfrontiert (Le Horla). Die Kurzgeschichten Maupassants arbeiten vor allem die paradoxe und nahezu schwebende Figur des Junggesellen und seines Doppelgängers, dem Horla, als Krise der männlichen Identität des 19. Jahrhunderts, heraus. Dabei erscheint der Horla mehr als nur eine phantastische Trope zu sein. Er ist vielmehr Ausdruck der Angst, die mit der Veränderung der Geschlechterrollen verbunden ist und der Unfähigkeit von Maupassants Figuren, sich mit ihnen zu arrangieren. Am Ende sind die meisten seiner Figuren gebrochene Männer, die keinen lebenswerten psychischen oder sozialen Ort mehr bewohnen.

Für Maupassant, der behauptete, zahlreiche Begegnungen mit seinem Doppelgänger gehabt zu haben, erwies sich die Geschichte als etwas Prophetisches. Am Ende seines Lebens wurde er nach einem Selbstmordversuch 1892 in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Im folgenden Jahr starb er. Es wurde vermutet, dass die Visionen von einem Doppelgänger mit einer psychischen Erkrankung durch Syphilis zusammenhängen könnten, mit der er sich als junger Mann angesteckt hatte.

Seine blühende Karriere wurde vorher tragischerweise bereits durch Kopfschmerzen, Anfällen von Blindheit und wahnsinniger Melancholie (wie es damals hieß) unterbrochen.

Sicher ist Maupassant kein typischer Vertreter einer phantastischen Literatur, aber wie alle großen Autoren hat er phantastische Kurzgeschichten verfasst. Einige Kritiker haben seine Horrorgeschichten – etwa 39 an der Zahl – mit seiner sich entwickelnden Geisteskrankheit erklären wollen. Stilistisch ist das jedoch völliger Unfug, der eben regelmäßig aus dem Ghetto der Feuilletons herüberschwappt. Maupassant mag nicht als einflussreichster Taktgeber der phantastischen Literatur gelten – sieht man einmal von seinem Horla ab – aber ein gewisser Einfluss ist dennoch vorhanden. So wurde zum Beispiel Stephen Kings berühmter Roman „Shining“ mit Maupassants Kurzgeschichte „Das Winterquartier“ verglichen, wobei man zugeben muss, dass das dann doch etwas zu weit hergeholt ist. Eine Berghütte, die Reisenden während der Sommermonate in den Schweizer Alpen als Unterkunft dient, wird im Winter von nur zwei Männern und einem Hund betreut. Völlig abgeschnitten verbringen die dort die nächsten vier Monate. Als der ältere von ihnen von der Jagd nicht zurückkommt, wird der andere darüber irrsinnig. Sicher, es gibt den Winter, der alles abschneidet, und es gibt den Wahnsinn. Das ist aber auch schon alles, was die beiden Werke miteinander teilen.

Maupassants dunkle Geschichten umfassen also nur etwa ein Zehntel seines Gesamtwerks. Da es darin häufig um das Thema Wahnsinn geht, hat man seine Texte auch mit denen Edgar Allan Poes verglichen, aber auch hier macht man den Fehler, nicht zu berücksichtigen, dass Poe mehr der Schauerromantik zugetan war als dem Psychologischen.

„Ein Abend“ ist ein paranoider Alptraum: Der Erzähler fühlt sich durch irgendetwas gezwungen, durch die Straßen von Paris zu gehen. In „Wer weiß?“ leidet jemand unter Wahnvorstellungen über die Möbel in seinem Haus. „Tagebuch eines Mörders“ ist die Geschichte über einen Richter, der aus reiner Neugier einen Mord begeht und einen unschuldigen Mann für das Verbrechen zum Tode verurteilt. „Die Totenhand“, die auf seiner Jugenderinnerung basiert, hat spätere Autoren und Filmregisseure inspiriert.

Man erkennt: So weit fort ist der merkwürdige Franzose nie gewesen.

Nur wenigen Schriftstellern gelang es, die unerforschten Regionen des menschlichen Geistes und die dunklen Tiefen des Herzens so tief zu erforschen wie Guy de Maupassant. Die düsteren Realitäten, die Maupassant vor allem in seinen Kurzgeschichten präsentiert, umfassen menschliche Todesfälle und Trugbilder seiner Zeit. Er schrieb über Aristokraten ebenso wie über die Bourgeoisie, die Reichen ebenso wie die Armen und betonte all ihre Fehler und Verrücktheiten. Seine literarische Beschäftigung mit dem niedrigen Stand führte ihn dazu, die Tiefe seiner eigenen schöpferischen Kraft auszuloten. Jedoch musste er sich wegen dieser Haltung viel Kritik vonseiten der Kritiker wegen seiner Darstellung und Entblößung aller Stände gefallen lassen.

Aber solange der Künstler seinen Standpunkt darlegt, spielt es nur eine untergeordnete Rolle, ob er sich zur Erreichung seines Ziels auf Prüderie oder Unsittlichkeit einlässt. Maupassant entschied sich eindeutig für Letzteres. Wie ein wahres Genie geht er mit den anstößigen Themen nach den Maßstäben seiner Zeit um, aber auf eine Weise, die nie vulgär, beschämend oder schockierend ist. Es ist schwierig, den Wahrheiten zu entkommen, die Maupassant dem Leser praktisch ins Gesicht drückt. Eine seiner größten Qualitäten ist, dass er das Offensichtliche gar nicht sagen muss, und den Leser dennoch spüren lässt, was er meint.

MEP

MEP

Michael Perkampus wurde am 2. April 1969 im Fichtelgebirge geboren. Als Solitär der deutschen Literatur arbeitet er in seinen Texten mit "Bewusstseinsfragmenten" und "Synkopen", einer "philosophischen Phantastik". Von 2005 - 2010 moderierte er die Schweizer Literatursendung "Seitenwind" in Winterthur. Letzte Erzählungen erschienen im Blitz-Verlag unter "Das Kriegspferd", herausgegeben von Silke Brandt. Im Januar 2015 ging das Phantastikon online, später folgte der gleichnamige Podcast. 2018 gab er die Anthologie "Miskatonic Avenue" heraus, deren Namen jetzt für eine Rubrik im Magazin steht. Wer sich für Metaebenen interessiert, sollte sich den Blog "Crossroads" anschauen: https://crossroads.phantastikon.de

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